Hank Ballard And The Midnighters – „Nothing But Good“

Von den größten Sangestalenten der Rhythm & Blues-Ära überlebten nur die wenigsten (und wandlungsfähigsten) den Niedergang und Ausverkauf der Indie-Labels, von denen in Amerika nach dem Krieg findige Köpfe wie Syd Nathan mehr als hundert gegründet hatten. Ray Charles und James Brown machten eine beispiellose Karriere. An Sänger wie Percy Mayfield, Wynonie Harris oder Clyde McPhatter erinnerte man sich dagegen immer weniger. Selbst Johnny Otis, in Sachen Rhythm & Blues ein Talent-Finder vergleichbar John Hammond bei Columbia, war bald ein Mann der Vergangenheit.

Der bei Syd Nathan unter Vertrag stehende Hank Ballard, seit Ende 1953 Leadsinger der Midnighters und eine der kontroversesten wie auch erfolgreichsten Figuren im R&B, überlebte zwar- aber am Ende im Vorprogramm der Revue desselben James Brown, für den Ballard ein Idol war. The „5“ Royales, eine der prominenteren R&B-Bands, hatte 1953 für mächtig Ärger mit dem Hit „Too Much Lovin'“ gesorgt. „Honey Love“, der zweite Nr.-1-Hit der Drifters, trug seine Botschaft noch relativ elegant verklausuliert vor, wie die Midnighters die von „Get It“ auch.

Aber als Hank Ballard mit denselben „Work With Me Annie“ aufnahm (Motto auch hier: „Get it while the gettin’s good“) und es mit diesem Nr.-1-Hit zu unglaublicher Popularität auch bei weißen Kids brachte, war der Skandal perfekt. Eigens gegründete Kommissionen erstellten Listen solch verdammenswerter Platten. Rundfunksender wurden aufgefordert, die zu boykottieren, Plakate und Handzettel gedruckt mit der Aufforderung „Kauft keine Negerplatten! Wenn Sie keinen Wert darauf legen, Neger in Ihrem Lokal zu bedienen, dann kaufen Sie keine Negerplatten für Ihre Musikbox und hören Sie sich auch keine Negerplatten im Radio an. Die idiotischen Texte und die Urwaldmusik dieser Platten untergraben die Moral unserer weißen amerikanischen Jugend.“

Die Geschichte, die zu diesem Skandal führte, erzählt Bill Dahl in den Liner Notes zu diesem Set natürlich haarklein. Schließlich hatte diese Platte das Sanges-Ensemble zum populärsten von Detroit gemacht, ungleich bekannter als die dort auch sehr geschätzten Diablos und Four Tops. Später behauptete Ballard gern, mit dem Song habe er eigentlich nur seine Freundin Annie in Louisville, Kentucky, beeindrucken wollen: „I was trying to woo her with the suggestive lyrics…“

Produzent Ralph Bass erinnert sich allerdings ganz anders an die Genesis der Aufnahme- vielleicht auch, weil er seine Verdienste um denselben in ein helleres Licht rücken möchte, wie Dahl spekuliert. Als Ballard erstmals mit dem Song ankam, hatte der angeblich noch den Titel „Sock It To Me, Mary“. Rasch dämmerte allen Beteiligten, dass den so kein Sender spielen würde. Zweifel hatte man auch beim zweiten Vers „Annie please don’t cheat, give me all my meat“ Also nahm man ein zweites Take mit dem geänderten Text „Annie please don’t cheat, make it real, real sweet“ auf.

Am Ende beließ man es beim „riskanteren“ Take. „Work With Me, Annie“ schaffte es sogar bis auf Platz 22 der Pop-Hitparade. Für die war aber „Sexy Ways“, nächster Hit der Midnighters („Shake, baby, shake shake shake/ Till the meat falls off your bone/ Shake, baby, shake shake shake/ Till your mama and daddy come home“) dann doch zu starker Tobak. Als Ronnie Hawkins das 1961 für Roulette mit Robbie Robertson und seinen Hawks aufnahm, änderte er letzteres in „‚Cause your mama and your daddy are gone“. Da klang das Original ja fast züchtiger.

Die Doo-Wop-Ära war gekommen und fast schon wieder versunken, als die Karriere von Henry Ballard und den Midnighters zu einem zweiten Höhenflug ansetzte. Keine üble Ballade war „Teardrops On Your Letter“, „The Twist“ die Vorlage, die Chubby Checker und den Tanz populär machen sollten (die eigene Single der Midnighters brachte es nur bis auf Platz 28), aber im selben Jahr 1960 konsolidierte er den Star-Status mit Top-Hits wie „Finger Poppin‘ Time“ und „Let’s Go, Let’s Go, Let’s Go“.

Wer sucht, wird in diesem Box-Set aber noch einige weit bessere Aufnahmen von Meister Ballard finden, „Look At Little Sister“ etwa oder den Song, der dem Set den Titel gibt. Das ist alles Klassen besser remastered als bei der Rhino-Retrospektive von 1993, „Look At Little Sister“ und viele andere endlich in prima Stereo-Mix, noch auffälliger jetzt überall, mit was für fabelhaften Gitarristen die Midnighters arbeiteten. In seinen Notizen porträtiert Dahl Ballard nicht zuletzt als einen der besten Songschreiber im ganzen Rhythm & Blues. (Bear Family)

Franz Schöler