Harvey Mandel-Snakes and Stripes;Janis Ian- Grapevine/Amorique;Grant Hart-Ecce Homo;Magic Dick & Jay Geils-Bluestime; Cypress Hill-III:Temples of Doom

Ehre, wem Ehre gebührt. Hatte sich der einstige Gitarrist extraordinaire Harvey Mandel (u. a. waren Canned Heat und Pure Food &. Drug Act mal stolz auf ihn, die Stones wären’s Ende der Sechziger gern gewesen) mit seinem letzten Opus „Twist City“ man wollte seinen Ohren kaum glauben – bis in die unteren Niederungen der Amateurliga gegniedelt, so macht er mit diesem Album nonchalant, so, als wäre nichts gewesen, alles wieder gut. Mußte der Mann damals nur flugs Alimente nachzahlen? Belastete ihn eine vergessene Hypothek? Oder drohte der Repo-Man, den neuen, noch nicht bezahlten Cadillac mitzunehmen? Wir wissen es nicht.

Dafür wissen wir jedoch, daß „Snakes And Stripes“ zwar nicht nahdos, aber erfreulich oft an Mandels Opus eximium „Cristo Redentor“ heranreicht. Mit einer Schar von Bläsern im Kreuz und angefeuert von massiver Percussion läßt Mandel seine Gitarre singen, sprechen, lachen und weinen – und mindestens 90 Prozent seiner Konkurrenten auf die Plätze verweisen.

In welcher Klasse dieser Musiker (vergessen wir mal seinen Ausrutscher) spielt, belegt auch gut hörbar die Produktionsweise dieses Albums: Die Songs wurden nämlich live und digital direkt auf Computer-Harddisc gebannt und anschließend weder geschnitten noch sonstwie bearbeitet.

„Snakes And Stripes“ ist ein Gitarren-Feuerwerk der Extraklasse, das Mandel mit zwei Reverenzen an seine Roots zu krönen weiß: Canned Heats „Future Blues“ und „My Soul’s On Fire“ von Pure Food & Drug Act. – Super!

Janis Ian Grapevine/Amorique. Dies ist nicht mehr Janis Ians Welt. Hatte sie nicht vor 30 Jahren in „Society’s Child“ die Bigotterie und den latenten Rassismus angeprangert, hatte sie nicht gegen die erbärmliche Heuchelei der Medien angesungen und hatte sie nicht bereits als Teenager mutige Fanale gesetzt wider Intoleranz und Barbarei? Und: Hatte sie nicht kleine Siege für eine bessere, gewaltfreie Welt errungen an der Seite von Joan Baez und Leonard Bernstein, hatte man sie nicht für ihr Engagement ausgezeichnet und mit Grammys geehrt?

Was damals weltbewegend war, muß dem einstigen Wunderkind heute vorkommen wie in den Wind gepißt „Hope is just a four letter word“, endet der letzte Song von „Revenge“, und die Resignation ist Janis Ian nachzufühlen. Begonnen hatte ihr Rückzug ins Private indes schon vor mehr als 20 Jahren. „At Seventeen“ verzauberte noch durch die Genauigkeit der Bilder und die Präsenz der Sprache, in deren Realität sich eine ganze Generation

wiederfand und kollektiv den Kopf schüttelte über die eigene Dummheit Pop verite, wenn auch nur in einer Gefühlswelt und auch das nur für den gutsituierten Teil der amerikanischen Gesellschaft.

Immerhin gelang es Janis lan, den schmerzlichen Prozeß des Erwachsenwerdens meisterhaft in Song-Form zu gießen, während ihr eigenes Leben auseinanderfieL Es folgte eine Phase des Selbstmitleids und entsprechend lähmender Musik, dann Auftragsarbeiten und Commercials. Erst seit kurzem schreibt die inzwischen 44jährige wieder für sich, sehr persönliche Lieder meist, die besser im Badezimmer geblieben wären und in fremden Ohren banal klingen müssen. Ausnahmen bestätigen die Regel: „Davy“ erinnert an Randy Newmans leichtere Kost, und „When The Silence Falls“ kann sich mit Gordon Lightfoots feinstem Folk-Rock messen.

Die Versuchung ist groß, „Revenge“ abzutun als Grüße aus dem Klimakterium, doch machte man es sich damit entschieden zu leicht. Zwar geben die Texte nicht viel mehr her als Kaffee am Morgen, hinaus in den feindlichen Alltag, heim ins Shangri-La, Gutenachtkuß. Doch gibt es Risse zwischen den Zeilen, Brüche in den Melodien. Und da ist immer dieser leicht dissonante Tonfall in Janis Ians Stimme, der schon seit jeher für genaueres Hinhören gesorgt hat. Auch Carole King hat diese Doppelbödigkeit, diese Intelligenz in der Stimme. Also hören wir zu und finden hinter manch profaner Song-Fassage ein kleines, auf den ersten Blick unscheinbares Sittengemälde, aus dem sich lernen läßt gerade weil sich die Sitten geändert haben.

Der amerikanische Tragöde. Ein Unglück kommt bei ihm nie allein, und wenn er schon ganz unten angelangt zu sein scheint, dann sinkt er noch ein bißchen tiefer. Als Hüsker Du auseinanderbrachen, kämpfte Hart gegen Heroinsucht und Alkoholismus, und während Bob Mould auf seiner Farm das „Workbook“ aufnahm, einen Rechenschaftsbericht und ein Zeichen der Gesundung, war von seinem ehemaligen Partner nichts mehr zu erwarten. Dann aber erschien „Intolerance“, ein Geniestreich im Freistil, auf dem Hart besessen eine alte Orgel röhren ließ und sich die Seele aus dem Leib sang. Stimmt wirklich.

Denn Grant Hart ist ein Soul-Sänger, der sich sein kindliches Gemüt wundschreibt und dilettantisch auf der Gitarre schrammelt, obwohl er bei Hüsker Du der Schlagzeuger war. Bob Mould schrieb die meisten Songs und die spektakuläreren, aber vielleicht sind doch „Green Eyes“ und „Sorry Somehow“ und „Never Talking To You Again“ die bewegendsten Stücke einer Band, die während ihrer Karriere von einem Außenposten des Hardcore zu Beades-Melodien und perfektem Songwriting konvergierte. Als „Wärehouse: Songs And Stories“ erschien und Hüsker Du am Ende waren, hatten sie alles vorweggenommen, was die amerikanische Rockmusik bis heute prägen sollte: Grunge und Neo-Punk waren schon da.

Mould gründete Sugar und wurde ein Semi-Star, Hart gründete Nova Mob und blieb ein Verlierer. Immer wieder schrieb er Song von schmutziger Schönheit, verzweifelter Grazie; immer wieder verzettelte er sich aber auch und verlor die Richtung. Während einer Tournee durch Deutschland vor drei Jahren, als es endlich ein bißchen aufwärts ging, verunglückte die Band im Bus. Im beteiligten Auto starb ein Pfarrer; kurz zuvor hatten Hart und seine Musiker einen Grabkranz an ihrem Kleinbus appliziert, den sie auf einem Schrottplatz gefunden hatten. So die Legende. Und die wird gedruckt.

Grant Hart allein: „Ecce Homo“ heißt die Werkschau pathetisch (mit Verweis auf George Grosz), die – typisch Hart – aus einer Verlegenheit entstand: Weil er sich mit dem Kollegen Chris Hesler zerstritten hatte, spielte er hilflos in Seattle. Er spielte Hüsker Dü-Klassiker wie „Pink Turns Tb Blue“ und „She Floated Away“, er spielte „The Main“ und „2541“, er spielte „Admiral Of The Sea“ und „Last Days Of Pompeii“, lauter liebe alte Bekannte – aber, ach: Es sind Rohfassungen, Skizzen nur; Nachklänge der schon aufgenommenen, besseren Versionen; Versuche über großartige Songs, die mehr verbergen als bergen. Hart ist als Sänger (und als Gitarrist) nicht versiert genug, um sich so ungeschützt hervorzuwagen.

Das gilt auch für die nackte Emotionalität, mit der sich Hart atemlos durch das Programm bellt und wimmert. Beim Konzert ist seine Intensität einzigartig und magisch, doch der Zauber ist nicht konservierbar. Grant Harts Kunst wäre ein Deut weniger Leidenschaft zuträglich – und statt dessen mehr Genauigkeit. Noch in den harschesten Arrangements ist das stupende Gefühl und Talent dieses Zerstreuten zu spüren.

Man wünscht ihm Glück. Er kann es brauchen.

Magic Dick & Jay Geils Zensor Die ersten drei Alben der Bostoner J. Geils Band, das gleichnamige Debüt von 70, „The Morning After“( ‚7l) und „Live -Full House“(’72) waren Offenbarungen. Knallharter, trockener R&B und mit jeder Nummer der Paul Butterfield Blues Band mindestens ebenbürtig. Doch dann erlagen die Jungs um J. Geils den Lockungen des Kommerzes, machten fortan zwar keine üblen Platten, waren aber alles andere als eine R&B-Band. Als 1984 dann auch noch Sänger Peter Wolf das Handtuch warf, war’s endgültig um die Gruppe geschehen.

Gut zu hören, daß sich zehn Jahre später zwei der Band-Mitglieder, Gitarrist Jay Geils und Mundharmonika-Spieler Magic Dick, auf ihre alten Tugenden besonnen haben und wieder Chicago-Blues mit swingendem Jazz verquicken. Getreu dem Count-Basie-Motto „Keep it simple, sincere and swinging at all times“ benutzte das um Gitarrist Jerry Miller, Bassist Michael „Mudcat“ Ward und Schlagzeuger Steve Ramsay verstärkte Duo bei den Aufnahmen von „Bluestime“ nur uraltes, bewährtes Equipment und legte live im Studio los.

Das Spektrum der hervorragend aufeinander eingespielten Routiniers reicht von heiter – „(I’m The) Coolest Cat In This Car“ (genialer Jive Talk von Michael Ward) bis traurig – „Iodine In My Coffee“ (der Muddy-Waters-Klassiker) und wer noch Magic Dicks alte Mundharmonika-Orgie „Whammer Jammer“ im Ohr hat, der wird nun bei „Füll Court Press“ sein blaues Wunder erleben.

Wie sagte Louis Armstrong doch stets so schön: „And now folks, it’s bluestime.“ Und nicht vergessen sei (auch hier und heute) Peter Wolfs Anfeuerungsruf: „Lemme hear ya Dicky!“.

Den Rapper an sich sieht die weiße Welt oft immer noch als schwarzen Kapuzenträger, der grimmig um eine brennende Mülltonne herumspringt. So posierten Cypress Hill 1991 auf dem Cover ihres selbstbetitelten Debüts, das sich rund 1,5 Millionen Mal verkaufte. Bei Nachahmern wurde diese zur profillosen Pose, die das Macho-Image des hustler LL Cool J mit seiner pfundschweren Goldkette auf nackter Brust ablöste. Cypress Hill aber entpuppten sich darüber hinaus als Erneuerer.

Der Italo-Amerikaner DJ Muggs, der Exil-Kubaner Sen Dog und der Schwarze B-Real, der Afro-Locken und T-Shirts von Metal-Bands trägt, brachen in ihrer Besetzung das Postulat der black Community. Sie treten für Cannabis statt Crack ein, traten mit dem Song „I Wanna Get High“ bei der Woodstock-Feier ’94 auf und in den letzten drei Jahren beim Lollapalooza-Festival neben Sonic Youth an. Diesen Stellenwert haben sonst nur die Beastie Boys erreicht.

Diesen Konsens zementierte ihr zweites Album „Black Sunday“, worauf sie Black Sabbath-Riffs sampelten und mit bollernden Bässen und schleppenden Schleifen zu düsteren Sound-Schwaden verwoben. Von ihrem ganz eigenen Rhythmus gaben die Joint-Jünger ihrer Posse House Of Pain eine Prise ab, indem Muggs ihnen den Hit, Jump Around“ produzierte. Daß Naughty By Nature sich davon für die Songs „OJP.“ und „HipHop Hooray“ inspirieren ließen, schien das Trio nicht zu stören. In „So Rest For The Wicked“ attackiert B-Real nur Ice Cube, er habe Elemente von Cypress Hill für das Stück „Wicked“ kopiert. Rap, dessen Stilmittel längst im Mainstream aufgegangen sind, zehrt wie der Rock’n’Roll bereits von Variationen einmal erfolgreicher Impulse.

Wie der Alternative Rock suchen auch Cypress Hill auf der Erfolgswelle nach radikalen Nischen in ihren Roots. Von ihrem ersten Album zu „Black Sundaf‘ haben sie den Funk getilgt und Blues erweitert, und auf III: Temples Of Doom“ ihr seltsames Spektrum weiter verfeinert. Fette Baß-Linien und rollende Beats sind etwas zurückgenommen, statt dessen klopft der neue Schlagzeuger Eric Bobo spröde den Takt zu B-Reals markantem nasalem Quäken. Winseln, Pfeifen, Tierlaute, sakraler, schräger Singsang, Intros mit Sitar, dämonische Orgel-Melodien und enervierende Loops füllen die redundanten Strukturen. Dir dunkler, dynamischer Groove ähnelt einem Spuk-Soundtrack. Nur beim jazzigen Meisterstück „Boom Biddy Bye Bye“ leiert ein Saxophon zu lieblichem Klingeln. Der Stoff der kalifornischen Kiffer dröhnt entspannt, als habe man sich einen blunt angezündet Während House Of Pain sich wie irische Hooligans aufführen, Ice-T den „Original Gangster“ mimt und Snoop Doggy Dog seine Anklage wegen Totschlags als Street-Credibüity begreift, rappen Cypress Hill tatsächlich über die B-Seite des Lebens. „Locotes“ erzählt vom tragischen Raubüberfall eines Jungen, und in „Strictly HipHop“ wütet B-Real gegen Kritiker und Konkurrenz: ,I’ve got these phony muthafuckas talking txnit keep it real/ Nigga, this is HipHop, not fashion, so get die hell out.“ Der Song „Make A Move“ beginnt mit Samuel L. Jacksons Rezitation von Hesekiel 25, 17 aus „Pulp Fiction“. Die Alternative predigen Cypress Hill mit rührender Ernsthaftigkeit im Titel ihrer Schluß-Ode: „Everybody Must Get Stoned“. Herrlicher Hippie-HipHop.

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