JAZZ :: von Klaus von Seckendorff

Nicht, daß JAN GARBAREK sich seit „Visible World“ ganz vom Hang zum ausdrücklich Bedeutungsschweren verabschiedet hätHseit „Visible World“ ganz vom Hang zum ausdrücklich Bedeutungsschweren verabschiedet hätte. Auch die Doppel-CD „Rites“(ECM) zelebriert außerdem gelegentlich seinen Hang zum ärgerlich Schlichten. Aber beides bleibt diesmal unaufdringlich im Hintergrund. Geheimnisvolle Grundrhythmen wecken Neugier, die Garbarek als Saxophonist nur gelegentlich stillt mit seiner ungeheuren Perfektion bei der Phrasierung subtil variierter Melodien nordischer, indischer oder schwer lokalisierbarer Prägung. Überzeugender gelingt ihm das mit synthetischen Sounds und raffinierten Samples. Und dank seiner Band, dem pulsierenden Spiel der Polyrhythmikerin Marily Mazur, dem Keyboarder Rainer Brüninghaus. Ein Album, das – vielseitig von Don Cherrys „Malinye“ mit Akkordeonbegleitung über Anklänge ans Quartett mit Jarrett bis zu Sound & Groove-Abenteuern, die Bugge Wesseltoft einmal mehr als Genie im musikalischen Umgang mit elektronischem Gerät ausweisen – andeutet, wozu ein Garbarek fähig ist, wenn er das Gewand des nordischen Pathospriesters an den Ethno-Nagel hängen mag. 3,5

Nicht, daß JOSHUA REDMAN sein Gespür für lustvolle Grooves verloren hätte. Aber „Timeless Tales For Changing Times“ (WEA) ist vor allem als „Hommage an den Song“ gedacht, an die Standards der Tin Pan Alley und die Pop/Rock/Soul-Klassiker, mit denen der Saxophonist groß wurde: von Cole Porter bis Joni Mitchell. Und da fallt doch unangenehm auf, mit welcher Lieblosigkeit Redman manche Themen phrasiert. Da wirken originelle Arrangements – „Summertime“ im komplexen Latin-Rhythmus, „Yesterday“ mit Einfällen schier zugepflastert – eher manieriert als songdienlich (meilenweit entfernen sich solche Versionen vom Geist der jeweiligen Vocals). Stevie Wonder („Visions“) und Prince („How Come U Don’t Call Me Anymore“) müssen dran glauben, und bei Dylans „The Times They Are A-Changin'“ wird schmerzhaft deutlich, wie wenig es ab Jazz-Vehikel taugt. Kaum zu glauben, daß hier einer der sensibelsten Pianisttnpartner in critne war: Redmans Labelmate Brad Mehldau (der sich unlängst J-.ive At The Village Vanguard“ endgültig eines der raren Plätzchen im Jarrett-Olymp erspielte und kurz darauf mit „Songs“ seine Trilogie „Art Of The Trio“ in weniger exzessivem Geist vollendete) – samt seinem Bassisten Larry Grenadier. Zusammen mit Brian Blade (d) sorgen sie zwar für starke Momente, wenn sie wie bei „Love For Säle“ oder JEleanor Rigby“ ausfuhrlich zum Zuge kommen. Bei Redman selbst aber bleibt nur die begründete Hoffnung, daß sich sein Verhältnis zu großen Songs wieder entkrampft, sobald er ihnen kein Denkmal setzen will. 3,0

Denkmal für einen Lebenden will rAJazx Tribute To Stevie Wandet“ (Sony) sein. Wer ziemlich flauen Funk von Ramsey Lewis und Roy Ayers überstanden hat und sanft an den Salsa-Haaren herbeigezogenen Latin-Versionen ist zum saftigen Kern vorgedrungen: Monty Alexander swingt mit Milt Jackson durch „Isn’t She Lovely“. Pattis Tuck Andress stellt mit „I Wish“ sogar Joe Pass („You Are The Sunshine Of My Life“) in den Gitarrenschatten. Tja, und dann will wieder Fusion-Fades von Gene Harris, Stanley Turren tine und Ronnie Foster überstanden sein, bis Marcus Miller „Visions“ einen dezenten HipHop-Touch verpaßt. 2,5

Heftig ist der Hang zum Hip & Trip-Hop, wenn auf „Redhot & Rhapsody“ (Antilles/Motor) ein bunter Musikerhaufen von Morcheeba über Spearhead bis zu brav nostalgisch gestimmten Kollegen wie David Bowie und Sinead O’Connor Gershwin ein (mal wieder Geld für die Aids-Aufklärung abwerfendes) Geburtstagsständchen bringt Gut, daß das Komponistengenie nicht wirklich zu hören bekommt, wie Lucious Jackson „I Got Rhythm“ brabbeln. Auch sonst bleibt der Gershwin-Geist meist auf der Strecke, aber es ist durchaus originell, wenn Smoke City „They Can’t Take That Away From Me“ zum schrägen Bossa umfummeln, Baaba Maal die gute Bess afrikanisiert und Finley Quaye so tut, als habe Gershwin mit „It Ain’t Necessarily So“ einen Freibrief für Reggae-Abwege gemeint. 3,0

Daß Tributes nicht notwendigerweise entweder respektvoll oder originell ausfallen, dafür steht – rundum souverän wie schon länger nicht mehr – HERBIE HANCOCK. Bei seinem Umgang mit „Gershwin’s World“ (Verve) gelingt sogar, was bös in die Hose hätte gehen können. Daß Kathleen Battles klassische Koloraturen über dem mit Latin-Percussion gewürzten „Prelude in Cis Moll“ schweben. Daß Hancock über Ravel improvisiert und Joni Mitchell „The Man I Love“ singt Daß das Orpheus Kammerorchester „Lullaby“ in schwelgerische Streicherklänge taucht Daß Herbie mal wieder mit Chick Corea in die Vollen greift, was aber ab Stride-Spiel mit James P. Johnsons „Bhieberry Rhyme“ Sinn und Spaß macht Und dann sind da schlichte Geniestreiche wie die kurze Interlude-Version von „It Ain’t…“, so manches Bläserarrangement für James Carter, Kenny Garrett und Eddie Henderson, der unterschwellige Latin-Groove von „My Man’s Gone Now“, W.C. Handys „St Louis Blues“ ab Funk-Vorlage für Gaststar Stevie Wonder und der wunderbar intime Klaviersolo-Ausklang mit „Embraceable You“. 4,0

Nicht, daß JOHN PATITUCCI ganz orthodox geworden wäre. Aber der Ex-Corea-Bassist, nach tragischen Fehlgeburten nun doch Vater (und zutiefet religiös), hat auf jede Keyboard-Klangfülle verzichtet und John Scofield plus dessen Drummer Bill Stewart angeheuert Ab ebenbürtige Saxophonisten lösen sich Chris Potter und Michael Brecker ab auf w iV-w“(Concord): wunderbar offene Musik in der Nachfolge von Ornette Coleman, stark von Scofields Sounds geprägt und einem coolen Bluesfeeling. 4,0

Wohl aus Zeiten seiner „German Songs „hat er „noch einen Koffer in Berlin“ – und sogar in dem steckt viel Weichgespültes drin. Unglaublich smooth spielt Trompeter TILL BRONNER, bevorzugt auf der gestopften Trompete. Diese Dauerverführung durch Tongebung und Phrasierung mag etwas dick aufgetragen sein, aber ihr zu widerstehen, fällt schwer. Brönner und seine Kumpels von Frank Chastenier (keys) bb Wolfgang Haffner (d) sind ähnlich abgeklärte Vollprofis wie der Gastgitarrist Chuck Loeb. Leute, wie sie der softe Sänger Michael Franks liebt Und nach dem klingt Brönner ganz hemmungslos bei den zwei Gesangsnummern. Wohlkalkulierte Studiomusikermucke! Von wegen: Nicht technisches Auftrumpfen, sondern ganz individueller Spirit zählt In „Love“ (Verve) steckt Herzblut – von den innigen Balladen zum Einstieg bis zu souverän arrangierten Standards. 4,0

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