Joe Cocker :: Organic

Remedur. Erstens: Joe Cocker ist kein Blues-Sänger. Ein Blues-Sänger trägt etwas vor, weil er traurig ist Er drückt sich aus. Joe Cocker singt traurige Songs, die andere geschrieben haben. Der Blues ist eine Haltung, keine Musik. Deshalb ist Randy Newman ein Blues-Sänger. Leonard Cohen. Und Nick Cave. Nicht Joe Cocker. Zweitens: Joe Cocker hat keine „schwarze Stimme“. Joe Cocker hat eine heisere Stimme. Drittens: Cockers Interpretationen großer Songs sind keine „Auslese“, sondern Pantscherei. Er begreift nicht, daß „You Can Leave Your Hat On“ nicht nur ein Song vor dem Schmusen ist, sondern das skizzierte Psychogramm eines groben Machos, dessen Beschränktheit mit verschmitzter Sympathie evoziert wird.

Joe Cocker lebt jetzt in Colorado, ist nicht traurig und befaßt sich mit Forellenfischen und Pferdereiten. Was kann man zwischendurch machen? Ein „Unplugged“-Album, aber nicht richtig. Weshalb man es „Halfplugged“ nennt – oder „Organic“. Produzieren mußte das natürlich Don Was, der sich irgendwann vorgenommen hat, die gesamte alte Garde in die Zukunft hinüberzuretten. Was redet und glaubt den Unfug, bei Joe Cocker und Randy Newman handele es sich um „zwei Seelenverwandte“. Womöglich glaubt das auch der manchmal bedauerlich verwirrte und in Geschmacksfragen wankelmütige Newman, der Cocker bei dessen Umdeutung von „Sail Away“ am Klavier begleitete. Andere Opfer: Van Morrison, Bob Dylan, Stevie Wonder, Lovin‘ Spoonfoll, Steve Winwood, Tony Joe White. Denen kann es egal sein, aber Cocker weiß, wo es am meisten schmerzt. Und am wenigsten wehtut. „Sail Away“ ist ein Song über die Versklavung und – nicht nur laut Greil Marcus – einer von Newmans besten. „We will cross the mighy ocean into Charleston Bay/ Into the land

of free / Where evetybody’s happy like a monkey in a monkey’s tree“: Das verliert zur sehnsuchtsvollen Kindermelodie schnell die bittere Ironie, weil Cocker niemals etwas Uneigentliches singt. Newmans Song wurde attackiert, weil der Begriff „little wok“ darin vorkommt. Bei Cocker muß sich niemand Sorgen machen: Komm, kleiner Mohr, segle mit Onkel Joe über den Ozean! Onkel Joe zeigt dir die Forellen in Colorado.

Obligatorische Profi-Musiker wie Jim Keltner, Dean Parks und Darryl Jones helfen bei Cockers perfidem Klassiker-Potpourri. Alles klingt blitzeblank sauber, wenn die Hammond-Orgel angeworfen wird, die Mundharmonika schmeichelt und der Chor drübersäuselt Okay, lassen wir es dabei: Joe Cocker ist ein erlesener Wein, ein Erdbeben und eine Naturgewalt, er ist der erfolgreichste weiße Blues-Sänger aller Zeiten, eine Legende und voll der Leidenschaft.

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