Jonathan Wilson

Fanfare

Bella Union/Cooperative

Ein ausuferndes Psychedelia-Westcoast-Folk-Meisterwerk rehabilitiert die Hippie-Musik

Was auch immer Jonathan Wilsons Bewusstsein erweitert haben mag: Viel half viel. Das erste Album, „Gentle Spirit“, erschien vor zwei Jahren und weckte einiges Interesse, weil Jackson Browne den jungen Gitarristen zu einer Tournee eingeladen hatte. Bei Konzerten in Spanien brachte Wilson zusätzliche spirituelle, ja ätherische Noten ins Spiel – ein Kunststück in Gegenwart des notorischen Sensibilisten Browne. Das Album dagegen ist eine sehr blasse, sehr stille Angelegenheit.

Vorbei! „Fanfare“ beginnt mit Streicher-Bombast und Gitarren-Soli, als wollte Wilson zugleich „The Lamb Lies Down On Broadway“ und „Wish You Were Here“ aufführen. „Dear Friend“ tönt mit verhalltem Gesang aus einer Nebelwand von 1969 und ist eigentlich schon vorbei, da setzt ein irres Instrumentalstück ein, das man nur mit Frank Zappas „Inca Roads“ vergleichen kann. „Her Hair Is Growing Long“ ist gespenstischer Hippie-Jazz-Folk nach Art von Terry Callier und John Martyn – und dann beginnt erst eine psychedelische Erweckung, die Kaleidoscope und Incredible String Band, Love und die Byrds, John Lennon, George Harrison und, jawohl, Jackson Browne evoziert, die Westcoast ebenso berückend herbeizitiert wie britischen Progrock. Die Songs bersten vor Spannung und Brüchen, schlagen Haken und ufern zu Sechs-Minuten-Ungeheuern aus, vereinen Chöre und Piano, Pedal-Steel-Gitarre, Orgel und Pauken. Nur in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren gab es diese absolute Freiheit, bei einem Stück noch einmal vollkommen neu anzufangen, ohne „Suite“ oder dergleichen dazuschreiben zu müssen.

Jonathan Wilson hat einen Kronzeugen für seine Rhapsodien, der unbestechlich ist: Ein Stück ist als Fingerzeig (siehe Cover!) „Cecil Taylor“ benannt. Wie der kultisch verehrte   Free-Jazz-Pianist geistert Jonathan Wilson durch die Formen und Genres, besingt die Wüste und „Moses Pain“, träumt von „Future Vision“ und „Illumination“. Noch vor ein paar Jahren hätte man den Schwärmer gönnerhaft mit den Worten „Is’ gut, Alter!“ auf seinen Cannabis-Konsum und sentimentale Wallungen verwiesen – aber wenn Bruce Springsteen heute auf der Bühne das gesamte Album „The Wild, The Innocent & The E Street Shuffle“ (aus dem Jahr 1973) mit dem Hymnus „He’s singing!“ in „New York City Serenade“ aufführt, dann kann Wilson „Keep on ridin’!“ wiederholen, so oft er will.

„We all see the thunderball, we all feel the glory“: Zu Geklöppel und gezupften Gitarren singt Wilson „Cecil Taylor“, das fantastische Herzstück von „Fanfare“, im Stil von Crosby, Stills & Nash, ein glücklich machendes Stück Psychedelia-Poesie. Und das ist erst die Hälfte der Platte.

Jonathan Wilson enthüllt den musikalischen Trip der Hippies als wahren, unzerbrechlichen Kern jenseits des Ideologischen und der Verirrungen; ein Zampano der Frickelei und der Entgrenzung, der die Musik der Altvorderen rettet. He is stardust, he is golden.