Kanye West

808s & Heartbreak

Der Mainstream-HipHop malt sich die Welt gerne schwarzweiß oder in Primärfarben aus. Kanye West verpackt sein Album 808s & Heartbreak“ dagegen wagemutig in Zartrosa, Türkis und Lila. Aber HipHop-Puristen dürften diesen Mann, der mit seiner Reifeprüfungs-Trilogie („The College Dropout“, „Late Registration“ und „Graduation“) zehn Grammys gewonnen und elf Millionen Alben verkauft hat, eh längst abgeschrieben haben.

Tatsächlich hat Wests Album nur noch wenig mit HipHop zu tun, sondern liefert passend zur CD-Verpackung pastellfarbigen Elektropop ab und traut sich an all das heran, was Rap-Machos verabscheuen: Introspektion, Selbstzweifel und Konsumkritik: „My friend showed me pictures of his kids/ And all I could show him were pictures of my cribs/ He said his daughter got a brand-new report card/ And all I got was a brand-new sports car“, bekennt Kanye West in „Welcome To Heartbreak“. Der größte Markenfetischist seit Bret Easton Ellis‘ Patrick Bateman merkt plötzlich, dass nicht alles käuflich ist auf dieser Welt.

Nachdem seine Mutter vor einem Jahr nach einer Schönheits-OP gestorben ist und die Hochzeit mit der Modedesignerin Alexis Phifer platzte, mag es Kanye West lieber feinfühlig als funky. Die meisten Songs sind vor Selbstmitleid überlaufende Abschiedslieder -vom seelenwund aufstampfenden „See You In My Nightmares“ über das Drehwurmstück „Love Lockdown“ bis „Coldest Winter“, bei dem West „Memories Fade“ von Tears For Fears zur Hilfe holt, um seiner Mutter Adieu zu sagen.

Neben der titelgebenden Drum-Maschine Roland TR-808 prägen flächig-brummende analoge Synthiesounds aus den Achtzigern die Platte. Zudem bedient sich West, der kaum noch rappt, sondern vor allem singt, durchgängig der Auto-Tune-Software, die Chers „Believe“ berühmt gemacht hat. Dabei entstehen einfache, aber wirkungsvolle Songs, die sich oft als Ohrwürmer erweisen („RoboCob“, „Bad News“), mal zur minimalistischen Meditation geraten („Say You Will“), mal breitbeinig über die Tanzfläche schlurfen („Amazing“) und nur selten misslingen („Heartless“).

Und dann gibt es da noch das impressionistische Nachtstück „Street Lights“ mit seinen zittrigen Verzerr- und Verfremdungseffekten, bei dem sich Kanye West dem Weltschmerz hingibt („Life’s just not fair“) und verrät, dass er zwar sein Ziel, aber nicht seinen Weg kennt, weil ihm die Welt um ihn herum allmählich zu bunt wird. (Universal)

Gunther Reinhardt