Kelis – Kelis Was Here

Dass Kelis Rogers‘ zweite Platte 2001 mangels Perspektive nur in Europa und Asien und nicht in den USA erschienen ist, wird immer wieder gern erzählt. Obwohl Kelis dem, was als speziell europäischer R&B-HipHop-Alternativ-Geschmack gilt, im Prinzip genau so meilenweit fern steht wie Lil‘ Kim und Ähnliche. Ironie ist es sicher nicht, wenn sie hier in „Bossy“ als Diamanten-Bitch vorbeiparadiert (im Video mit türkis gefärbtem Pudel) und ihren Claim absteckt – gern auch etwas langsamer, singt sie, damit die geistig Minderbemittelten besser mitkommen. Damit ist wohl 50 Cent gemeint, der auf der letzten Platte gegen Kelis und Ehemann Nas gestänkert hat. Andererseits – und das sagt man über Leute aus ihrem Genre erst nach reiflicher Überlegung – geht sie noch immer nicht auf Nummer Sicher. Echte Überraschungen sind im Reich der Digital-Soul-Schnepfen so derart selten, dass man Kelis gerne nachsieht, dass auch „Kelis Was Here“ wieder nicht die Hammer-Platte geworden ist, die eigentlich mal fällig wäre. Weil sie das eben aus ganz hervorragenden Gründen nicht ist: die Kinder-Seilspringreime von „Handful“, der rüde gehechelte Schlafzimmer-Stomp „Blindfold Me“, das etwas alberne „Like You“ mit Mozart-Sample, der Glam-Rock „I Don’t Think So“, der grandiose Hippie-Funk „Circus“, das alles sind eher Skizzen, die Kelis‘ unterschiedliche Tageszeitgesichter zeigen. Sinn ergeben sie tatsächlich erst als Album, in gesammelter Beutelform, wo alles gegeneinander reibt.

Die Klunker, die hochbezahlte Diven gewöhnlich an Ketten um die Hälse tragen – bei Kelis kullern sie mehr aus der Hosentasche oder werden im Hof für Murmelturniere verwendet. Die treuen Neptunes, die ihr zuletzt noch die Hits „Milkshake“ und „Trick Me“ programmiert hatten, sind bei „Kelis Was Here“ nicht mal mehr dabei. Was gar nicht so auffällt, weil mittlerweile auch Black Eyed Peas-Mann Will, i.am und Scott Storch die Klick-Schmatz-Produktionstechnik imitieren können. Cee-Lo von Gnarls Barkley singt sein „Lil‘ Star“ mit ihr, noch so eine kleine, melodieselige Banalität, die an 14. Stelle aber mehr wie eine Schokoperle ist, die beim Kuchenverzehr ganz zufällig vorbeikommt.

Der schönste Moment ist allerdings, wenn Kelis am Ende mit geröteten Wangen zu „Have A Nice Day“ swingt und plötzlich, in den freien Nachthimmel hinein, die Flamenco-Gitarre explodiert. Auch das wird sicher kein R&B-Charterfolg. Dafür kann man sagen – und das ist nicht europäisch gemeint -, dass Kelis tatsächlich so etwas wie ein ambitioniertes Album gelungen ist. (

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