Landing On A Hundred :: Großes Comeback: Ein verlorener Sohn des Soul kehrt zurück

Das Leben ist kein Song-Contest und auch keine Talentshow. „Get rich or die tryin“, lautet das Motto – und das gilt nicht nur für Rapper, sondern auch für Sänger und Songwriter. Würde allein Qualität eine Rolle spielen, hätte einer wie Cody Chesnutt längst ein Haus am Strand von Malibu.

Vor zehn Jahren kam der heute 44-Jährige aus dem Nichts und war mit seinen lakonischen Soul-Songs eine Saison lang everybody’s darling. Sein erstes und bisher einziges Album hatte Chesnutt 1997 mit einem Vier-Spur-Rekorder in der eigenen Wohnung aufgenommen. Doch wie es Männern eben passiert, die sich für die falschen Frauen und die falschen Drogen interessieren, wurde „The Headphone Masterpiece“ erst fünf Jahre später veröffentlicht. Aber was für ein Werk! Die Roots coverten noch im gleichen Jahr eins der 36 Stücke – mit Cody als Sänger und Gitarristen. „The Seed“ war einer der Songs des Jahres 2002. Doch es folgte: nichts.

„Ich habe mir eine Auszeit genommen, um mein Leben zu leben und Zeit für meine Familie zu haben“, sagte Chesnutt vor zwei Jahren. Damals hatte er gerade die EP „Black Skin, No Value“ veröffentlicht und war guter Hoffnung, dass sein zweites Album unmittelbar darauf folgen würde. Doch es dauerte weitere zwei Jahre, bis er via Crowdfunding das Geld für die Veröffentlichung zusammen hatte.

„Landing On A Hundred“ ist jede Sekunde wert, die wir darauf warten mussten. Wo „The Headphone Masterpiece“ noch wie ein Notizbuch voller Skizzen wirkte, sind die Songs nun opulent und schwelgerisch arrangiert. Die Aufnahmen entstanden zum größten Teil in den Royal Studios in Memphis, mit einer zehnköpfigen Band. Ein Teil der Produktion fand aber auch in Köln statt, im Supow Studio des deutschen Soul- und Reggae-Sängers Patrice.

„That’s Still Mama“ ist eine Hymne an die alleinerziehende schwarze Mutter und weckt Erinnerungen an Curtis Mayfield und Marvin Gaye. Wie die meisten Songs des Albums bewegt sich auch dieser in einer fast schon puristischen Siebziger-Soul-Tradition – im Mittelpunkt steht das Leben der „kleinen Leute“, der gefühlt fast verschwundenen Arbeiterklasse. „Don’t Follow Me“ erzählt mit großer Geste und lebensmüdem Sound vom Straucheln eines Mannes, der sich nach dem Verschwinden sehnt, weil ihm die Last seiner Sünden zu groß erscheint. Wenn der Streicherteppich sich langsam aufrollt und der Chor in die Klage einstimmt, ist das so ergreifend wie nur wenige Lieder des Jahres 2012. Auch „Everybody’s Brother“ beginnt als Soundtrack eines Film noir, wechselt dann aber in einen der typischen, leicht rockigen Schelmen-Grooves, die man auch von „The Headphone Masterpiece“ kennt. Songs wie „Love Is More Than A Wedding Day“ und „Where Is All The Money Going“ beweisen, dass Vitalität und Lebensfreude des Mannes ungebrochen sind.

„Landing On A Hundred“ ist nach dem grandiosen Dexys-Album das zweite große Comeback des Jahres. „Soul Power“, fürwahr.

(One Little Indian) Jürgen Ziemer

Tammy Ingram

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