Laurel Halo :: Hour Logic

Bei „Quarantine“ handelt es sich um Laurel Halos Albumdebüt. Zuvor hat sie schon einige EPs herausgebracht, zum Beispiel 2011 „Hour Logic“ auf dem Hypnagogic-Pop-Label Hippos in Tanks; unter dem Namen King Felix erschien im April dieses Jahres eine EP namens „Spring“ auf Liberation Technologies, dem neuen Label von Mute-Records-Gründer Daniel Miller. Hier wie dort erschuf Laurel Halo mit antiken elektronischen Tastengeräten und neuesten Retrosoundprogrammen eine nostalgische Weltraummusik, die manchmal an den jungen Jean Michel Jarre erinnerte, manchmal auch an ihren aktuellen Lebensgefährten, den viel gefeierten Brooklyner Klangbastler Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never.

Die menschliche Stimme kam auf diesen Platten nur gelegentlich vor, meist als schafherdenähnliches Blöken oder ätherisches Geisterfrauhauchen. Auf „Quarantine“ singt Laurel Halo nun erstmals in jedem Song. Und wie sie singt! Sie singt im Duktus zweifelnder Androidinnen, wie man ihn etwa von Fever Ray kennt, oder im kühn oktavenauf- und abkletternden Stil der frühen Björk; manchmal meckert sie wie Joanna Newsom oder leiert studienratsbärtig wie Robert Wyatt. Vor allem aber – und das ist das Tollste daran – manipuliert Laurel Halo ihre Stimme mit Autotune- und Vocoder-Programmen, mit Knister-, Rausch- und Halleffekten und verflicht all dies in der kunstvollsten Art mit den besonderen Klangideen, die die einzelnen Stücke bestimmen.

Man höre etwa den zweiten Song „Years“: Hier wird der leicht vocoderverfremdete Gesang über stotternde Klaviersamples gelegt, deren rhythmische Logik sich erst nach einer längeren Dauer erschließt; am Ende singt Laurel Halo dann mit sich selber in einem windschiefen Chor. Und je schiefer sie singt, desto bruchloser verbindet sich ihre Stimme mit dem harmonischen Ensemble der Sounds drumherum: „sensual ugliness“ nennt sie selber diesen Effekt. Wer will, kann darin Bezüge zum Spätwerk von David Sylvian erkennen, insbesondere zu der epochalen „Blemish“-LP, die er 2003 mit dem inzwischen verstorbenen Free-Form-Gitarristen Derek Bailey und dem Noisemusiker Christian Fennesz aufgenommen hat. Wie Sylvian damals nur mit der melodischen Kraft des Gesangs noch die sprödesten Improvisationen zu herzzerreißender Schönheit zu erheben verstand, so wird auch die abstrakte Laptopmusik Laurel Halos in auratischer Art von ihrer Stimme beseelt.

Den stärksten Effekt erzielt die Sängerin indes am Ende, in dem Stück „Light + Space“ – wenn sie all den Hall, all die Filter, Verdopplungen, Vocoder-Effekte plötzlich entfernt und ganz nackt, ganz ungeschützt und verletzlich zu einem silbrig schimmernden Laptop-Drone singt: „Words are just words, words are just words, that you soon forget.“ Schöner kann man es nicht formulieren! Am 8. Juni gibt Laurel Halo im Berliner Berghain ihr erstes Deutschlandkonzert – ein Ereignis, das Freunde der fortschrittlichen Singer- und Songwriter-Musik keineswegs verpassen sollten.

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