Lawless :: Shia LaBeouf, Tom Hardy

Der amerikanische Populärmythos des Outlaws ist zählebig und rezessionsresistent. Er hat sich durch die gesamte Kinogeschichte ungebrochener Beliebtheit erfreut. Es liegt eine genuin amerikanische Faszination in der Figur des Gangsters, in der sich der libertäre Geist der Gründerväter und das ökonomische Prinzip des Neoliberalismus vereinen. Weniger Staat geht eigentlich nicht – das organisierte Verbrechen ist entfesselter Kapitalismus in Reinkultur. Kein Wunder, dass in den großen amerikanischen Gangster-Erzählungen von Al Capone über Meyer Lansky bis Bugsy Siegel – oder zuletzt Mickey Cohen in Ruben Fleischers verschenktem Comic-Noir „Gangster Squad“ – immer ein Hauch von Romantik mitklingt. In Wirklichkeit kämpft heute die amerikanische Bundespolizei mit dem mexikanischen Militär gegen schwer bewaffnete Drogenkartelle. Die alten Gangster wurden wenigstens noch in Liedern besungen.

Auch Nick Cave hat Songs über Mörder und Todeskandidaten geschrieben, aber sein Interesse am amerikanischen Verbrechen ist noch etwas anders gelagert. Die Protagonisten seiner Lieder waren Verbrecher aus Überzeugung. In Andrew Dominiks „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“, für den er zusammen mit Warren Ellis die Musik schrieb, tritt Cave am Ende sogar persönlich auf: Als Bänkelsänger stimmt er ein Lied auf den toten Outlaw an. Da war er auf einmal ganz nah dran am Mythos, der vom Tod und vom Todestrieb erzählt.

Es dürfte offensichtlich sein, was Cave an der Geschichte der Bondurant-Brüder, die Anfang der 30er-Jahre in den Wäldern von Virginia ein kleines Schwarzbrenner-Imperium errichteten, so faszinierte: Howard, Forrest und Jack eilte der Ruf voraus, unsterblich zu sein. In Caves Drehbuch zu „Lawless“, das auf der Bondurant-Familiensaga „The Wettest County In The World“ basiert, wandeln sie unbeschadet durch Maschinengewehrfeuer.

„Lawless“ ist nach dem Gefängnisdrama „Ghost Of The Civil Dead“, dem Outback-Western „The Proposition“ und dem Endzeitfilm „The Road“ Caves vierte Zusammenarbeit mit Regisseur John Hillcoat. Man spürt die Routine, die die beiden im Laufe der Jahre entwickelt haben; sie muss sich dieses Mal allerdings an einem Genre bewähren, das als weithin auserzählt gilt.

„Lawless“ erfüllt alle Kriterien von großem Genrekino, aber am Ende überwiegt der Eindruck, dass die Bondurants eher ein regionales Kapitel in der amerikanischen Gangster-Folklore darstellen. Die lokalen Eigenarten am Rande der Zivilisation schmücken Hillcoat und Cave jedoch ausgesprochen pittoresk aus: vom golden-braunen Schmelz der Herbstwälder, in denen nachts die Feuer der Destillerien wie Glühwürmchen leuchten, bis hin zum patinierten Look der Depressionsära, der mit der puritanischen Hinterwäldler-Ästhetik der Waltons nicht mehr viel gemein hat. Und Tom Hardy ist ein Naturschauspiel in der Rolle des wortkargen Forrest, der sich verbal meist auf ein paar Grunzlaute beschränkt. Die Waldbewohner sind schon ein spezielles Völkchen.

Die Hillbillies produzieren vor allem konsequent am Markt vorbei. Während in Chicago bereits der Bandenkrieg um den Alkohol tobte, sind die Schnapsbrenner in den Bergen noch Selbstversorger. Der Besuch von Floyd Banner (Gary Oldman), einem Mobster aus der Stadt, ist das Erweckungsmoment in „Lawless“. Jack (Shia LaBeouf), der jüngste Bondurant, blickt ihm in die Augen, als der im eleganten Zweireiher mit rauchender Maschinenpistole über die staubige Hauptstraße flaniert – und sieht die Zukunft. Er kappt über die Köpfe seiner Brüder hinweg die Mittelsmänner und verkauft eine Ladung Schnaps zu Höchstpreisen direkt an die Abnehmer jenseits der Bezirksgrenze. Plötzlich sprudelt das Geld. Jacks Unternehmergeist erregt auch die Aufmerksamkeit eines geschniegelten Special Deputys, der aus der Stadt nach Franklin County beordert wurde. Guy Pearce spielt den sadistischen Dandy wie einen Todesengel des Jüngsten Gerichts.

„Lawless“ erzählt also von einem Kulturkampf, der älter ist als der amerikanische Bürgerkrieg. Die sturen Hinterwäldler, die beim Sprechen kaum die Zähne auseinanderkriegen, verteidigen ihr Land gegen das Gesetz, das ihnen distinguierte Anzugträger aus dem Norden aufzwingen wollen. In ihrer archaischen Gewalt finden sie eine gemeinsame Sprache. Auch Hillcoat und Cave beherrschen dieses Vokabular überzeugend: In „Lawless“ wird geteert und gefedert, es werden Eier abgeschnitten und Kehlköpfe zertrümmert. Zum Heldenepos taugt das sicher nicht, aber es ist der Stoff, aus dem Legenden gemacht werden. Wenn am Schluss der alte Ralph Stanley mit ausgemergelter Stimme „White Light/White Heat“ singt, zeigt sich die brüchige Patina dieser Legende. (Koch Media)

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