Live – Birds Of Pray :: Motor

Ohne die Stimme Ed Kowalczyks, ohne sein Talent, selbst die simplesten Sätze bedeutend, ja geradezu lebensrettend klingen zu lassen, wären Live nicht mehr als eine Mitelklasse-Rockband. Da darf man sich nichts vormachen. Natürlich ist auf „Birds Of Pray“ vieles wieder mitreißender als auf den zwischenzeitlichen Ausflügen ins Esoterische, aber ein zweites „Throwing Copper“ ist das Album doch nicht geworden. Dafür fehlt Live heute nicht nur das Überraschungsmoment, das sie 1994 noch auf ihrer Seite hatten, sondern auch die Fähigkeit, zwischen gutem Mainstream-Rock und Kitsch zu unterscheiden. Und damals war es auch schon verdammt knapp, wenn auch im Grunge-Fahrwasser.

Um die schlimmen Augenblicke gleich abzuhaken: Der Chorus von „Run Away“ ist fast unerträglich, viel zu hoch gesungen und auch ohne das Falsett schon schwülstig genug. Es geht bei den meisten Liedern wieder einmal um freie Seelen und Offenbarungen und Licht im Dunkeln. Bei „Heaven“, das ausgerechnet auch noch als Single ausgewählt wurde, singt der Mann dies: „I don’t need no one to teil me about heaven/ I look at my daughter and I believe/ I don’t need no proof when it comes to god and truth/ I can see the sunset and I perceive.“ Elternliebe und Sonnenuntergänge in allen Ehren, aber irgendwann ist Schluss. Da muss sich doch sogar der spirituelle Ed an den kahlen Kopf fassen.

Dabei sind Live schon auf dem richtigen Weg: Sie setzen wieder auf Gesang und Gitarren, haben die Keyboards weitgehend zurückgefahren – und alle Bemühungen, wie eine moderne Rockband im 21. Jahrhundert zu klingen, eingestellt. Genau deshalb haben sie wohl mehr Schwung als in den vergangenen Jahren – kein unnötiger Bombast hält sie auf, Hymnen haben sie allerdings zuhauf. Deshalb erinnert „Life Marches On“ einen tatsächlich an Mötley Crüe, allerdings an die beste Phase mit John Corabi (und wer es nicht glaubt, der sollte sich deren „Misunderstood“ noch einmal genau anhören). Deshalb sind Stücke wie „What Are We Fighting For?“ja erstldassige Stadion-Schunkler, die mit Coolness nichts zu tun haben, sondern solche Fragen stellen: Warum wird die Welt immer kleiner, aber die Bomben werden immergrößer? Wie soll man das alles den Kindern erklären? Und: „The crucifix ain’t no baseball bat/ Teil me what kind of god is that?“ Oder eben auch: Geht’s noch?

Ein Zyniker wird aus Kowalczyk nicht mehr werden, und das ist schon in Ordnung. Wer Unfrieden und Krawall will, bekommt ja bereits Marilyn Manson.

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