Lloyd Cole / Hans-Joachim Roedelius Selected Studies Vol. 1

Deutscher Elektro-Pionier und britischer Singer/Songwriter ergründen neue Klanglandschaften

Angefangen hat es vor mehr als zehn Jahren. 2001 veröffentlichte Lloyd Cole, seines Zeichens ein Mann der Stimme und der Klampfe, überraschenderweise ein rein instrumentales Elektronikalbum. „Plastic Wood“ zeigte sich merklich von Cluster beeinflusst, der experimentellen Krautrockband von Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius. Insbesondere deren Album „Sowiesoso“ (1976) hatte es dem britischen Singer/Songwriter angetan. Durch einen gemeinsamen Bekannten wiederum kam Roedelius Coles Abstecher in ambiente Gefilde zu Ohren, woraufhin der 1934 in Berlin geborene Elektro-Pionier ungefragt die gesamte Platte remixte beziehungsweise den einzelnen Tracks Overdubs hinzufügte. Cole fühlte sich geschmeichelt, Roedelius‘ Material indes verschwand in der Schublade.

Etliche Jahre später, nach einer ersten persönlichen Begegnung in Wien – Roedelius lebt im nahe gelegenen Baden -, wurde der Plan, eines Tages zusammenzuarbeiten, dann in die Tat umgesetzt. Die beiden Musiker schickten einander Files zum Ergänzen und Variieren, bis daraus eine ausgefeilte Komposition wurde, die ohne Gesang und Gitarre auskommt. „Selected Studies Vol. 1“ lädt dazu ein, mit nachdenklicher Miene auf dem Sofa zu liegen ßund zu lauschen. Denn ein wenig Muße und Konzentration sollte man schon mitbringen, um den verschlungenen Wegen dieser feinsinnigen, oft mit repetitiven Mustern spielenden Klangforschungen zu folgen. Sie beweisen wieder einmal, dass Musik, so bedächtig, meditativ und maulfaul sie daherkommen mag, niemals langsam wird.

Impressionistisch muten die meisten Tracks dieser ungewöhnlichen Kooperation in ihrer wogenden Melodik an: in sich versunken und doch offen, rätselhaft, aber nicht geheimniskrämerisch, so traumverloren wie retro-futuristisch. Nur „Fehmarn F/O“ klingt so, als wäre Captain Future auf dem Weg zur deutschen Ostseeinsel in ein Elektronengewitter geraten. Die direkt darauf folgenden Stücke „Virginie L“ und „Lullerby“ hingegen – akzentuiert von Roedelius‘ autodidaktischem Klavierspiel, das auf „Selected Studies Vol. 1“ sonst nur selten zum Tragen kommt – entführen schlaftrunken in ein Zwischenreich der Harmonie, in dem man sich getrost verlieren kann, ohne gleich zum Esoteriker zu werden. Zu weichgespülter Wellness-Mucke besteht jedenfalls ein himmelweiter Unterschied. Hier geht es darum, im Dialog eine eigene Klangsprache zu entwickeln, die sich unmittelbar erschließt, selbst noch in ihrer geräuschhaftesten Ausformung wie in dem wundersamen „Wandelbar“. Sich darauf einzulassen, ist nicht immer einfach und erfordert eine gehörige Portion Geduld. Wem auf der Couch dabei die Füße einschlafen, der hat die Horizonterweiterung verpasst. (Bureau B)

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