Magnetic Fields – Distortion :: Überschwengliche Pop-Kunst voll romantischer Verzweiflung

I wanted to sound more like Jesus and Mary Chain than Jesus and Mary Chain“, hatte sich Stephin Merritt, der Kopf der Magnetic Fields vorgenommen. Und obwohl seine Band eher ein Kammer-Pop-Ensemble ist, mit Cello, Piano, manchmal sogar Akkordeon, klingt „Distortion“, als hätte man die Beach Boys an ein gefährlich knisterndes Dritte-Welt-Kraftwerk angeschlossen. Der überlebensgroße Pop der Sechziger vermischt sich mit altmodisch hallendem Verzerrer-Dröhnen. Schon „Three-Way“, das erste Stück, führt uns in eine trügerisch überschwengliche Pop-Kunstwelt, inder sich auch Link Wray wohlgefühlt hätte. Der Text besteht aus einem mal von Merritt, mal von Shirley Simms hervorgebrüllten „Three-Way!“. Das Stück erzeugt Aufregung, Erregung – die in Zweifel umschlägt: Dreierbeziehung? Unerwiderte Liebe? Sexuelle Freiheit gleich Einsamkeit?

Auch „California Girls“ macht schnell klar, dass Pop hier nur die Form ist, in der das Leben selbst verhandelt wird – oft ausgesprochen humorvoll. Die aufgeblasene Künstlichkeit weiblicher Clones – „See them on the big bright street/ Tanned and blonde and seventeen“ – kann nur in dem Refrain münden: „I hate Californian girls.“ Ganz anders ist „Mr. Mistletoe“, den Merritt mitfühlend in einem dunklen Bariton besingt. Ein armer, verlassener Kerl, der mit hochgeschlagenem Kragen durch die verschneiten Straßen der Großstadt irrt und sich dabei von jeder weihnachtlichen Schaufensterdekoration verspottet und betrogen fühlt. Gesang und Melodie wirken altmodisch und warm, doch die fast schon absurd verfremdeten Instrumente, vor allem das mit lauter kleinen Verstärkern beklebte Piano, schaffen eine Atmosphäre, die an Brian Enos „Taking Tiger Mountain“ erinnert. Auch viele andere Songs sind bevölkert von Charakteren, deren romantische Verzweiflung so groß ist, dass sie den Figuren etwas Nobles verleiht. Wenn Shirley Simms „Till The Bitter End“ singt, dann ist das herzzerreißender großer Pop – der glücklicherweise nie rückwärtsgewandt klingt. Phil Spector und The Jesus and Mary Chain sind musikalische Sprachen, die sich die Magnetic Fields angeeignet und weiterentwickelt haben. Auf der notwendige Meta-Ebene der Reflektion findet sich wunderbare Ironie: „I want to be a Playboy’s bunny, I do whatever they ask me to“, träumt eine Nonne in „The Nun’s Litany“. Pop die große Wunschmaschine. Da darf ein „Zombie Boy“ auch mal die Toten wecken und für seine romantischen Zwecke einspannen. Das traurig dröhnende „Courtesans“ beschließt den Reigen und knüpft dabei an Michel Houellebecqs „Elementarteilchen“ an: Ginge es uns nicht besser, wenn Sex nur eine elegante Transaktion wäre und die Liebe bliebe außen vor?

Man sollte den faszinierenden Sound nicht überbewerten „Distortion“ ist in jeder Beziehung eines der besten Pop-Alben der letzten Jahre.

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