Manic Street Preachers Live :: Berlin, Huxley’s

Ganze 172 Sekunden dauert es, und James Dean Bradfield hat das benannt, was ein jeder im Publikum schon vorher gedacht und/oder bei Facebook gepostet hat: „All we want from you are the kicks you’ve given us.“ Die Zeile ist zwar 20 Jahre alt, klingt dennoch, als wäre sie direkt aus dem Jetzt gegriffen. Hier spricht die zufriedene Bewunderung der Manic Street Preachers, die von der mit prunkvollem Kitsch geschmückten Bühne auf ihr Publikum schauen, das größtenteils schon dabei war, als der zitierte Song, „Motorcycle Emptiness“, erschien. Denn natürlich ist man heute hier im Huxley’s versammelt, weil man der Nostalgie frönen will, den Kicks hinterjagen, die einen durch die Neunziger und die frühen Nullerjahre gebracht haben. Aber so war es ja auch gedacht: Die Manics sind in der Phase, in der sie ihr Erbe verwalten, ihre Singles im gewohnt ironischen Größenwahn als „National Treasures“ deklarieren und die Zuschauermengen ein wenig größer machen, indem sie gleich ein Set voller Hits ankündigen.

Den lukrativen Auflösungs-Reunion-Quatsch, den andere Bands in den vergangenen Jahren zelebrierten, haben sie sich gespart, sogar das Verschwinden eines Mitglieds mit Würde weggesteckt – und noch immer sind sie voll von ansteckender Spielfreude. James Dean Bradfield schafft dabei die fast tongenaue Reproduktion von Gesang und nicht gerade unkomplizierten Gitarrenparts. Sean Moore spielt geduckt, aber treffsicher im Hintergrund, und Nicky Wires Mimik merkt man an, wie stolz diese Band auf all die Hits und Evergreens ist, die sie geschaffen hat. Dabei sieht der Bassist wohl nur aus der Nähe betrachtet älter aus als damals. Wobei die Tricks offensichtlich sind: Sein anmutiges Gockeln beim Spielen des Basses und seine wie immer offensive Jackenwahl (eine Kreuzung aus Uniform, Sakko und Kutte, mit aufgenähtem Batman-Logo auf dem Rücken) lenken die Blicke vom vielleicht faltigen Gesicht ab. Auch bei der Deko dürfte der Ästhet Hand angelegt haben: Plastikbäume mit rosaroten Blüten rahmen die Bühne, zwei mit Spiegelsplittern beklebte Büsten stehen herum, an der Rückwand hängt das Bild des wunderschönen Mädchens vom „National Treasures“-Artwork.

Die Manic Street Preachers machen an diesem Abend tatsächlich alles richtig. Bei den offensichtlichen Favoriten wie „A Design For Life“, das die Mitte des Sets markiert, lassen sie ihren Fans den Raum zum Mitsingen, ohne es bis ins Bonoeske zu treiben. Aber – zugegeben – die kicks fallen an diesem Abend nicht ganz so berauschend aus wie einst, und das liegt ausnahmslos an jenen, die doch genau diese heute abholen wollten. Anstatt die Nostalgie in Euphorie umzuwandeln, ist die Anzahl der Thekensteher recht hoch. Dort schwadronieren alte Freunde über die guten alten Zeiten, die Manics-Shows, die sie dereinst in England – oder noch besser: in Wales – gesehen haben und verpassen derweil die gelungene Show des Abends.

Die Manics bemühen sich redlich um die Aufmerksamkeit dieser Spezies der vom Gestern Berauschten. Anfangs allerdings vergeblich. „You Love Us“ klingt schließlich fast wie ein Befehl: Nun liebt uns doch endlich, verdammt! Tun wir ja, tun wir ja.

Am Ende haben sie dann auch fast jeden auf ihrer Seite. Denn da kommen die Hymnen, die man einfach nicht ignorieren oder totlabern kann. Gleich drei davon beenden das aus insgesamt immerhin 23 Songs bestehende Set: „Little Baby Nothing“, das auch ohne Traci Lords ziemlich gut funktioniert, „Motown Junk“ – und zum Schluss das Lied, das im Spätsommer 1998 ihren zweiten oder dritten Frühling einläutete: „If You Tolerate This Your Children Will Be Next“. Danach ist nun wirklich alles gesagt für diese Nacht. Eine Zugabe gibt es nicht mehr. Und die braucht es nicht.

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