Merle Haggard :: Hag – The Studio Recordings 1969-1976

Umfassende Dokumentation der Alben jener Jahre auf sechs CDs in einer Box im LP-Format nebst Begleitbuch und einem Essay von Deke Dickerson sowie Interviews mit Haggard selbst.

Nur elf Monate jünger als Tom T. Hall (der sich leider schon lange ins Rentner-Dasein zurückzog, obwohl er möglicherweise ein nicht minder großes Comeback-Album in sich hat als unlängst Porter Wagoner), erwies sich Merle Haggard als der zähere Typ mit dem unbedingteren Überlebenswillen auch als öffentliche Figur. Sein chaotisches, öfter von Katastrophen und Abstürzen geprägtes Privatleben hat ihn nie in Resignation (oder die Einsamkeit des Tonstudios) treiben können.

Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass er sich von einem Kollegen wie Johnny Cash in einem entscheidenden Punkt total unterscheidet: Er war nie ein flamboyanter Showbusiness-Typ, hatte anders als Cash tatsächlich mal länger im Knast gesessen, erfand nie ein stilisiertes Bühnen-Alter-Ego, blieb im Grunde und im wörtlichen Sinn des Begriffs immer ein Volksmusiker, aus jenem White-Trash-Milieu stammend, das er auch in manchen Songs thematisierte wie letzthin wieder ganz anschaulich Gretchen Wilson. Für den gewöhnlichen Rock-Fan war er spätestens nach den Hits mit „Okie From Muskogee“ und „The Fighting Side Of Me“ Anathema, und wenn irgendwer in den späten 6oer Jahren prophezeit hätte, dass dieselben ihn Jahrzehnte später langsam heiligsprechen würden, hätte man ihn für verrückt erklärt. Mit dem auch sehr persönlich kommentierten Jimmie-Rodgers-Tribute „Same Train… A Different Time“ hatte er sich irgendwie auch als Anwalt von Amerikas Arbeiterklasse (so die denn je so ausgeprägtes Bewusstsein entwickelt hätte) und Unterprivilegierten, der Ausgebeuteten und der Hobos profiliert. Wenige Monate später zündelte er mit „Okie From Muskogee“, Amerikas einfaches und hart arbeitendes Volk gegen diese ganze frivole und leichtlebige Hippie-Kultur ausspielend. (Ein ähnliches Lied sollte er vielleicht heute mal über Amerikas aktuellen Drogenkonsum schreiben! Spannend genug wäre das als Thema.) Damals polarisierte er nur, obwohl er das halb ernst und halb als Jux und tongue-inches gemeint hatte.

Im Jahr zuvor hatten die Everly Brothers gleich zwei seiner Songs für ihr Meisterwerk „Rnots“ aufgenommen, nämlich „Mama Cried“ und „Sing Me Back Home“, ihm damit denselben Rang zusprechend wie den dort auch mit Vorlagen auftauchenden Jimmie Rodgers, George Jones und Randy Newman. Aber „Roots“ war ein Misserfolg, die Everly Brothers ziemlich aus der Mode gekommen, der Name Merle Haggard dadurch also keinen Deut bekannter bei Pop- und Rock-Fans als zuvor. Im Übrigen war „Okie From Muskogee“ kein gerissener PR-Schachzug, mit dem er sich ins Gespräch bringen wollte, nur ein Song wie jeder andere für ihn, ein privates Statement wie sein „Workin‘ Man Blues“, „White Line Fever“ oder „Things Aren’t Funny Anymore“.

Sehr persönliche Lieder schrieb er auch danach immer wieder, klassische Honky-Tonk-Heuler genauso wie Besinnlichere à la „If We Make It Through December“. „It’s Not Love (But It’s Not Bad)“ folgte vielleicht derselben patentierten Formel von „Today I Started Loving You Again“. Aber das war ja auch eine bewährte, gut für Evergreens der Gattung.

Wie „Untamed Hawk“ (die frühen Jahre) dokumentiert auch dieses neue Box-Set (die späten) absolut akribisch und unübertrefflich die Capitol-Ära von Merle Haggard. Unter den Raritäten hier unter anderem seine Ur-Version von Lefty Frizzells „That’s The Way Love Goes“, erst in seiner Neuaufnahme 1983 ein ganz großer Hit für ihn. Exemplarisch einmal mehr, wie man im Hardcover-Buch der Persönlichkeit von Künstler und Privatmann vorsichtig ausbalanciert gerecht wird.

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