Asia Argento :: Missverstanden

Die Tochter des Horror-Meisters Dario Argento inszeniert eine Kindheit, die fast ihre eigene sein könnte

Die neunjährige Aria verfügt über eine blühende Fantasie. Mit ihrer besten Freundin, Anjelica, liest sie heimlich die Post des unglücklich verliebten Enzo, um der gescheiterten Liebesgeschichte zu einem Happy End zu verhelfen. Wenn die beiden Mädchen ausflippen, verkleiden sie sich mit den Kostümen der Mutter und nehmen die Marktstände mit Wasserbomben unter Beschuss. Und um die Aufmerksamkeit des coolen Skate-Punks Adriano zu gewinnen, sagt Aria einen Zauberspruch auf. Einen Schutzengel findet sie in Gestalt einer auf der Straße aufgelesenen schwarzen Katze. Mit ihrer Geschichte über den Kater Dac, der sie vor der Lieblosigkeit der Erwachsenenwelt schützt, gewinnt Aria an ihrer Schule sogar den ersten Preis. Aria hat aber auch gute Gründe, sich in ihre eigene Wirklichkeit zu flüchten: Von den narzisstischen Eltern wird das Mädchen nämlich die meiste Zeit ignoriert.

Der cholerische Vater, ein lächerlicher Schönling mit blonden Strähnchen, sorgt sich vor allem um seine Schauspielkarriere. Sein Liebling ist die älteste Tochter, Lucrezia, die sich in eine pinkfarbene Lolitawelt zurückgezogen hat. Die väterliche Zuneigung nimmt mitunter grenzwertige Auswüchse an, aber emotionale Exzesse sind im Hause Bernadotte normal. Mutter Yvonne (Charlotte Gainsbourg) gibt Aria einmal die Brust – ein seltener Moment mütterlicher Fürsorge, denn die Rabenmutter projiziert ihre ganze Liebe auf die mittlere Tochter, Donatina. Aria stellt sich dem elterlichen Liebesentzug mit stolzem Trotz: „Ich bin kein verstoßenes Kind,“ flüstert sie Dac zu. „Wir sind Krieger der Nacht.“

„Missverstanden“, die dritte Regiearbeit von Asia Argento, ist ein ungestümer und ziemlich drastischer Schrei nach Liebe. „Ich bin kein Opfer“, sagt Aria am Ende in die Kamera. „Aber vielleicht seid ihr jetzt ja etwas netter zu mir.“ Ein „Punk-Drama“ hat Argento ihren Film genannt.

Als Queen of Drama mit Hang zu Punk und Gothic kannte man sie schon aus ihrem Regiedebüt, „Scarlet Diva“, in dem sie auch die Hauptrolle spielte. Ihr emotionaler Exhibitionismus legt den voreiligen Schluss nahe, hinter ihren skandalös-verspielten Filmen stecke möglicherweise eine autobiografische Erzählung. Auch in „Missverstanden“ sind solche Spuren zu finden, doch Argento macht sich einen Spaß daraus, den Zuschauer auf falsche Fährten zu locken. Aria ist der Geburtsname der Regisseurin. Ihre Eltern, der Horror-Impresario Dario Argento und die „Dark Lady“ des italienischen Kinos, Daria Nicolodi, führten ein ähnlich exzessives Glamourleben wie die Eltern der Figur Aria. 1985 ließen sie sich scheiden. In dieser Zeit, einer Zeit des Um- und Aufbruchs, spielt auch die Geschichte von „Missverstanden“: Aria gerät zwischen die Fronten einer hässlichen Trennung. Der Soundtrack zum Emanzipationsprozess: Punk und New Wave.

„Missverstanden“ ist keine gewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte, das macht Argentos wilde, sprunghafte Inszenierung schnell deutlich. Die Erwachsenen sind ausnahmslos Karikaturen, denen Aria sich mit allen Mitteln widersetzt. „Missverstanden“ rauscht mit der Intensität eines Punk-Songs durch Arias Kindheit, die sich mit unschuldiger Neugier gegen die Normierung ihrer Mädchenträume zur Wehr setzt. Mit Barbie und Ken spielt sie in ihrem Zimmer eine Vergewaltigung nach. Ihre Freiheit findet sie außerhalb des Elternhauses.

Aria erkundet ihre Umwelt auf eigene Faust. Nachts stromert sie allein durch die Straßen, begleitet von Dac in seinem Metallkäfig. Sie feiert mit Obdachlosen, versucht mit Liebesbriefen die Aufmerksamkeit Adrianos zu gewinnen und sprüht mit dem neuen Freund der Mutter, einem Musiker, Punk-Slogans an die Wohnungswände.

Giulia Salerno spielt das Mädchen mit einer unerschöpf lichen, kindlich-überdrehten Energie, die an Louis Malles Zazie und den Quälgeist Luzie aus der tschechoslowakischen Kinderserie „Luzie, der Schrecken der Straße“ erinnert. Doch Aria ist auch unverkennbar eine Figur Argentos. Arias bonbonfarbene Welt hat eine melancholische Grundierung. Ihre anarchistischen Interventionen sind ein verzweifelter Versuch, der Welt eine Struktur zu verleihen, die die Eltern ihr nicht geben können. Wenn man denn in Argentos Film unbedingt einen autobiografischen Kern finden möchte, liest er sich etwa so: „Missverstanden“ handelt von Erwachsenen, die um eine unbeschwerte Kindheit gebracht wurden.

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