Misty Miller Girlfriend :: Noch Rock’n’Roll und schon Rock, reitet Misty Miller auf dem schmalen Grat zwischen Swing und Stampf, zwischen Coolness und Krampf. Und bleibt auf beiden Sides dieser 7-Inch-Single auf der richtigen Seite, rutscht nie ins Quatro-Burschikose oder in Jett-Breitbeinigkeit ab. Die frühreif-stilsichere 18-Jährige, deren Fan-Schar in London nicht überraschend sehr schnell wächst, wuchert vor allem mit tollen Melodien, mitreißenden Gitarrenläufen und einer wandelbaren Stimme, mit der Misty selbst widerstreitende Gefühle auf den Punkt zu bringen weiß. Talentiert? Eine Untertreibung.

(Relentless)

MOODS von Maik Brüggemeyer

Pharmakon Abandon **** Mary Ocher Eden ***1/2 Express Brass Band We Have Come *** Werner Muth Nachtaufnahme ****

Die Menschheit weiß es seit Charles Baudelaire oder den futuristischen Klangexperimenten der Russolo-Brüder und wir spätestens seit Throbbing Gristle: Wenn die modernen Zeiten ein Musikstück wären, dann eine zerschossene Sinfonie des Lärms. Aber auch der hat sich natürlich über die Jahrzehnte verändert, und der neueste, aufregendste Krach kommt von einer jungen Frau aus New York. Sie heißt Margaret Chardiet und nennt sich Pharmakon -Arznei oder Gift also. Und das trifft’s eigentlich ganz gut, denn die Elektro-Industrial-Apokalypse, gegen die Chardiet auf ihrem ersten Album „Abandon“ markerschütternd anschreit (und das über mehrere Oktaven), kann einen je nach Stimmung kathartisch durchspülen oder an den Rand des Wahnsinns treiben. Doch es bleibt nicht bei der Opposition zwischen Stimme und artifiziellen Sounds, Chardiets klangliche Bearbeitungen changieren zwischen Durchdringung und Dekonstruktion. Die Stimme wird Instrument, und der Laptop macht auf Mimesis. Nach vier Stücken ist alles vorbei, denkt man, doch nach 94 Leer-Tracks (ob man die bei iTunes auch kaufen muss?) erwacht noch ein 27-minütiges Monster zum Leben.(Sacred Bones/Cargo)

Die in Moskau geborene, in Tel Aviv aufgewachsene und in Berlin lebende Performancekünstlerin Mary Ocher packt ihre Kulturkritik in weitaus gefälligere Klänge. So eine Art Multi-Kulti-Folk-Paradies deutet sich im Titel ihres zweiten Albums („Eden“) ja auch schon an. Da steht sie musikalisch und/oder ideologisch durchaus in der Tradition von Vashti Bunyan, Sandy Denny, der jungen Kate Bush und Bill Fay oder neuerer Queer-Pop-Acts wie Baby Dee und CocoRosie. Zugleich spielt sie hier aber auch alte Formen des gegenkulturellen Widerstands -Post-Punk von Slits bis Suicide -durch. Klingt reichlich eklektisch, funktioniert aber in der Produktion von King Khan ziemlich bruchlos.(Buback/Indigo)

Mit multikulturellen Musiken und mystischen Formen des Widerstands beschäftigt sich auch die Express Brass Band. Das viel gereiste, manchmal bis zu 20 Mann und Frau starke Ensemble sieht sich in der Tradition von Sun Ras Arkestra und dem Art Ensemble Of Chicago. Auch wenn die Münchner nicht ganz die wilde Wucht der Vorbilder oder prominenter Nachahmer wie Jerry Dammers‘ Spatial A.K.A Orchestra erreichen und die auf „We Have Come“ versammelten Aufnahmen aus Studios, Proberäumen, Clubs und Konzertsälen nur teilweise audiophilen Ansprüchen genügen, ist diese Mischung aus Jazz, Afrobeat und orientalischer Musik äußerst ansteckend. (Trikont/Indigo)

Der Duisburger Dichter Werner Muth zieht nicht in die Welt hinaus, sondern findet die Magie vor der eigenen Haustür. Wenn er zu einem melancholischen Track durch seinen Stadtteil Marxloh spaziert und in Erinnerungen schwelgt, muss man an die Beschwörungen einer Belfaster Kindheit von Van Morrison denken, an anderer Stelle wird die Musik Velvet-Underground-esk, und Muth gibt den Lou Reed von „Coney Island Baby“. Und der Produzent Ralf Chmarowski, der mit seiner John Silver Band einige Stücke begleitet, klingt beim tollen eigenen Song „Town“ wie Warren Zevon. Man bekommt wirklich Lust, mal wieder ins Ruhrgebiet zu fahren. „Wär es gut, wenn keiner wüsste, wie fantastisch wir hier leben?/ Wo sich Rhein und Ruhr begegnen, treibt die Kunst bizarre Blüten.“ „Nachtaufnahme“, Werner Muths drittes Album auf Tom Liwas Ludwig-Label, ist auch sein bisher bestes.(Ludwig/Indigo)

ROOTS von Arne Willander

Guy Clark My Favorite Picture Of You **** The Handsome Family Wilderness ***1/2 Hiss Golden Messenger Haw *** J Mascis, Evan Dando u.a. A Tribute To John Denver ***1/2

Guy Clark war schon 34 Jahre alt, als 1975 seine erste Platte erschien -das Meisterwerk „Old No. 1“. Er arbeitete als Gitarrenbauer, war sowohl Mentor als auch Fan von Townes Van Zandt und Steve Earle und führte in Nashville ein offenes Haus, Asyl für die Streuner unter den Songschreibern. Eine Karriere wurde so recht nicht daraus: Spätere Platten wie „Dublin Blues“(1995) und „The Dark“ (2002) waren noch immer bewunderungswürdig, erschienen aber auch in großzügigen Abständen. Mit seiner sanften Raspelstimme singt Clark Lieder aus dem mexikanischen Grenzland zu versiertem Gitarrenspiel und sentimentaler Fiddle, so süffige und kantable Stücke wie den „Cornmeal Waltz“,“Hell Bent On A Heartache“,“El Coyote“ und „Rain In Durango“. Würde Randy Newman neuerdings Folk-Balladen schreiben, würden sie vielleicht klingen wie „Heroes“:“He brought the war home with him/He still has sand in his boots/He’s wrestling with demons/ And the cold hard truth.“ Je länger man diese unendlich sensiblen, transparenten Country-Swing-Stücke hört, desto unwirklicher wird die Tatsache, dass draußen das Jahr 2013 ist. Ein Song stammt von Lyle Lovett, einen anderen schrieb Clark mit Rodney Crowell. Der Mount Rushmore der Liedkunst.(Dualtone Music)

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