Neil Diamond

12 Songs

Wunderbar inniges Album des großen amerikanischen Melodramatikers

Was für ein Schrecken, einen Satz wie „I was working like a madman“ von Neil Diamond lesen zu müssen. Nichts verbanden wir weniger mit diesem Mann als profane Arbeit, nichts schien dem Minnesänger ferner zu sein als Verrücktheit. Neil Diamond stand für Glamour, für Brusthaare, für Goldketten, für Luxus. Für Herzschmerz als edles Gewerbe. Erst für junge, dann für reife, dann für ältere Frauen.

Schon als Jüngling stilisierte er sich – Mitte der 6oer Jahre – zum „Solitary Man“, obwohl er im College-Jahrbuch als „most cheerful“ beschrieben wurde. Auch staunte er über die Bewunderung, die dem dunklen Troubadour von jungen Dingern entgegengebracht wurde, und schrieb „Girl, You’ll Be A Woman Soon“. Aber das Mädchen blieb ihm auch später treu, mindestens bis in die späten Siebziger, als er noch einmal mit „Desiree“ auftrumpfte. Sein stolzester Song handelt von seinem Umzug von der Ostküste an die Westküste, von New York (wo er geboren wurde) nach Los Angeles (wo er dann lebte, natürlich am Pazifik-Strand): „I Am… I Said“ ist der emotionalste Adressenwechsel aller Zeiten, zugleich natürlich eine pathetische Selbstauskunft. Für „Sweet Caroline“, „Song Sung Blue“, „Dry Your Eyes“, „September Morn“ und „Forever In Blue Jeans“ lasse ich jederzeit die Songs von Bacharach/David liegen.

Nun hat der große Mann mit Rick Rubin viel Musik gehört, auch die eigenen alten Songs, und – derart inspiriert – neue Stücke geschrieben. Bis die Bleistifte zu Stummeln wurden, so Neu. Natürlich sind es nicht nur die Gitarren von Smokey Hormel, Mike Campbell und ihm selbst sowie Piano und Orgel von Benmont Tench, Billy Preston und Larry Knechtel (auch schon eine Menge), die hier erklingen. Ein wenig opulenter muß es für Diamond doch sein. Mit „Oh Mary“ (sofort denkt man an „Lady-Oh“ von „Beautiful Noise“) und „Hell Yeah“ beginnt er sehr langsam, redundant und intensiv, nimmt mit „Captain Of A Shipwreck“ melodramatische Fahrt auf, um bei „Evermore“ schon in ein Meer von Streichern einzutauchen. Doch „Save Me A Saturday Night“ ist wieder ganz Stimme, ganz Sehnen, Melodie, Gitarre, Glockenspiel. Diamonds wahrlich unverwechselbare, sonore, aufgekratzte, triumphale Stimme ist im Alter noch anrührender.

Noch ist Neil Diamond entfernt vom maladen, jenseitsgläubigen Vortrag des alten Cash. In „Delirious Love“ und dem grandiosen, mit Bläsern und Vibraphon arrangierten „Im On To You“ ist er noch einmal der Lebemann. Doch die Western-Romantik von „What’s It Gonna Be“, das kirchenorgelnde „Man Of God“, das glühende „Create Me“, das innige „Face Me“ lassen ahnen, was Arbeit für Diamond bedeutet, wenn die Schatten länger werden. Nie zuvor aber hat er ein Lied über die Liebe und das Leben geschrieben, das so lässig, heiter und spielerisch ist wie „We“, der fabelhafte Mardi-Gras-Ausklang dieser „12 Songs“.

„What’s it gonna be when the night is cold/ Climb on board and ride with me.“ Auf dem Trittbrett eines erfüllten Lebens. (SONY BMG) Tonträger