Off The Record :: Der Ex-Kraftwerker erforscht weiter die Romantik der Maschinen

Ralf Hütter, das einzig verbliebene Original-Mitglied von Kraftwerk, arbeitet seit Jahren hart daran, das Oeuvre der Düsseldorfer in den musealen Kanon der Kunst(-Musik) zu überführen: MoMA, Kunstsammlung NRW und demnächst Tate Modern – das sind die Orte, an denen Kraftwerk-Konzerte heute stattfinden.

Nun veröffentlicht Hütters ehemaliger Kollege Karl Bartos ein Album, auf dem er aus persönlichen Audioskizzen aus den Jahren 1977 bis 1993 neue Stücke entwickelt. Bartos war schon immer mehr als nur ein Angestellter in der Klangmanufaktur von Ralf und Florian. Er ist der Co-Autor vieler Klassiker wie „Die Roboter“, „Neonlicht“, „Das Modell“, oder „Heimcomputer“. Es gibt sogar Kritiker, die halten Bartos für den „Melody Maker“ des Quartetts. Und tatsächlich entwickelten sich die Songs von Kraftwerk nach seinem Ausstieg zu eher sterilen Fingerübungen in Klangdesign und Studiotechnik.

Kann es Bartos also besser als Hütter? Immerhin versucht er nicht nur den heiligen Gral zu bewahren. „Off The Record“ macht kein Hehl daraus, dass es nach Kraftwerk den Elektro-Pop der Achtziger, aber auch Air und Sébastien Tellier gegeben hat. Die Frage „Wer hat’s erfunden?“ wird allerdings immer eindeutig beantwortet: „Atomium“ könnte jederzeit als Bonus-Track von „Die Menschmaschine“ durchgehen.

„Nachtfahrt“ ist vielleicht das interessanteste Stück des Albums, weil es am weitesten in eine Parallelwelt vordringt: Das Intro führt zunächst noch in die unterkühlt schillernde Klangwelt von Kraftwerk. Doch dann entwickelt sich „Nachtfahrt“ melodisch in Richtung Ohrwurm und zu jener süffigen Sorte Pop, die man auch von Annette Humpe und Ich + Ich kennt. Der eher banale Text und der naive Gesang können beim ersten Hören etwas nerven. Doch zusammen mit den elegant designten Sounds entsteht ein reizvoller Popsong, der vermutlich sogar Chancen in den Charts hätte.

Der Gesang ist bei den meisten Stücken verfremdet – nicht durch Autotune, wie man das vom modernen R&B kennt, sondern im klassisch roboterhaften Vocoder-Sound der Düsseldorfer Schule. Das ist sicher ein möglicher Kritikpunkt: Bartos hätte noch weiter gehen können. „Musica Ex Machina“ zeigt, wohin – und gibt dem Hörer die Techno-Peitsche: Hier würde ein Remix Sinn ergeben, schon das Original ist physisch und kraftvoll genug, um einen Dancefloor zu rocken.

Interessant, dass im Booklet des Albums nirgendwo der Name Kraftwerk auftaucht, nicht einmal in den Liner Notes. Dabei ist „Off The Record“ eine klare Weiterführung von Stücken wie „Nummern“ – nicht nur für Mike Banks von Underground Resistance der „secret code of electronic funk“. Denn eins hat Bartos dem Spätwerk des Museumswächters Hütter ganz klar voraus: Melodien, Songs und ein Gespür für die Romantik von Einsen und Nullen. (Bureau B/Indigo) Jürgen Ziemer

Palma Violets

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