Patti Smith- Gung Ho

Heimlich weilt diese Frau nicht auf der Welt. Patti Smith trägt ihr Herz stets auf der Zunge, die Haare auf den Zähnen. Brüsk kann sie sein, aber ebenso herzlich. Ganz unamerikanisch. Freundlichkeit nicht als Farce, Kritik ohne Kredit. Beides muss erst mal verdient werden. Populär wird man so schwer, zumal in einem Land, wo es zum Komment gehört, den Andersdenkenden gegen Gummiwände rennen zu lassen. Lebensanschauung als Spielwiese. Und wer beim sportiven Wettkampf auf der Strecke bleibt, macht Talk oder Therapie. Gegner der Todesstrafe spielen Golf mit Henkern, Bob Dylan schäkert mit Charlton Heston. Patti Smith ist aus anderem Holz geschnitzt.

Vor 25 Jahren erschütterte ihre Debüt-LP „Horses“ die Musikwelt, freilich mit Verzögerung. Zu Hause herrschte Lethargie, Smith musste einen Umweg machen. Über London. Dort fand sie Sparringspartner für eine hitzige, polarisierende Debatte, die vornehmlich im „Melody Maker“ geführt wurde. Prog-Rock regierte in jenen pompösen Tagen, zur Oligarchie zählte, wer sein Instrument beherrschte. Dianes“ war der Gegenentwurf. Kratziger Primitivismus, unstet pulsierende Beats, atemloser und wilder Gesang. Wüst, urteilten die Traditionalisten. Wunderbar, meinte eine kleine, jedoch schnell wachsende Minderheit Der Boden war bereitet, die Pistols konnten kommen.

Ein Vierteljahrhundert später haben sich die Koordinaten zwar verschoben, musikalisch wie gesellschaftlich, doch sind die Beharrungskräfte mächtiger als je zuvor. Moral wird als Hobby geduldet, solange sie keine Arbeitsplätze oder Börsenkurse gefährdet. Was könnte weiter entfernt sein von diesem marodierenden Materialismus als militantes Schamanengeheul, fanatische Wahrheitssuche, ethischer Rigorismus, romantische Verklärung von Verlierern, Kanonisierung von kompromisslosen Rock’n’Rollern und Meditationen über Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh? Und, machen wir uns nichts vor, was könnte ihn weniger jucken?

Patti Smith hat keine Wahl. Die Wut will raus, die Dämonen müssen gefüttert werden. Nach zwei vergleichsweise ruhigen und eher introvertierten Alben, in denen sich die Künstlerin vornehmlich mit dem Verlust geliebter Personen beschäftigte und den Schmerz in Verse bannte, ist „Gung Ho“ eine Rückkehr zu Manifesten und Mutproben. Zumindest in Wort und Gesang. Musikalisch hat Produzent Gil Norton, der einst den Pixies klangliche Präsenz gab, indes arg retuschiert. Keine Lücken tun sich mehr auf zwischen Lenny Kayes spillerigen, aber drahtigen Gitarrenfiguren undjay Dee Daughertys robustem Trommeln. Was auf den beiden letzten LPs schon Mangelware war, kommt auf „Gung Ho“ vollends unter die Räder: Dynamik. Norton setzt stattdessen auf flächigen, integrierten Sound, der Pattis Stimme umgarnt und umspült. Die Antithese zu „Horses“ mithin. In „Lo And Beholden“ schlüpft La Smith in die Rolle von Salome, fordernd und zurückweisend, doch die Musik verplätschert. „Strange Messengers“ geißelt den Sklavenhandel der Gründungszeit, zornig und bitter, doch ist der Track wie aus Brei, die Instrumente übereinander und überall. Dem Wesen nach „Cortez The Killer“, hier aber bloß die Counting Crows. Patti Smith, anklagend und angehübscht Andere Cuts sind stimmiger, haben mehr Charakter. Das Twang-getriebene „Gone Pie“ oder das akustische, Old-Timey-spartanische „Libbie’s Song“, in dem sich Smith in die vereinsamte Gattin von General Custer versetzt: „Flower of the cavalry/ He swept me off my saddle.“ Exzellent auch der tonlos vorgetragene Titelsong, trotz allzu transparenter Dramaturgie: Ho Tschi Minh, Vietnam, Napalm… na? Richtig, da braucht es dann schon Helikopter im Hintergrund. „Glitter In Her Eyes“ dagegen ist straighter Punk-Pop zwischen Buzzcocks und Blondie, mit Gitarrist Tom Verlaine und Sänger Michael Stipe.

Die Texte spitz, die Töne rund. Widerspruch oder Dialektik? “ Gung Ho “ balanciert zwischen Empörung und Versöhnung. Aber eine bessere LP hat Patti Smith nicht mehr gemacht seit den Siebzigern. Mehr als man erwarten durfte.

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