Placebo :: Sleeping With Ghosts

Der Morgen danach: Brian Molko setzt auf Melancholie statt Ekstase

Hau ab, rette dein Gesicht, denn hier kommt der Morgen danach. Aber nur, wenn du einen Ort weißt, an dem sie dich haben wollen. Brian Molko (besser: sein lyrisches Ich) scheint irgendwo eine Funzel zu sehen, die ihn dauerhaft aus dem Zwielicht rauszuführen verspricht. Die dort brennt, wo man morgens Erdbeermarmelade im Mund hat und nicht das Sperma und den Koksrotz von gestern. Sonst würde er auf „Sleeping With Ghosts“ nicht so gute Ratschläge geben, würde nicht aus lustigen Taschenbüchern zitieren („Don’t forget to be the way you are!“, immer wieder, in „Plasticine“) und nicht aufrufen: „Protect me from what I want!“

Das ist natürlich eine dieser völlig unzulässigen Kurzschluss-Deutungen: Mit dem vierten Album seien Placebo erwachsen geworden, hätten die Flausen und Schweinereien alle durch, seien womöglich „bei sich selbst angekommen“. Diese Stereotypen legt „Sleeping With Ghosts „jedoch gefährlich nahe, vor allem, wenn man sich an die bisher größte Qualität des Künstlers Molko erinnert. Ein purpurgerändeter Narziss, der ausnahmslos von den Schattenseiten des Hedonismus berichtet hat und kein einziges Mal davon, warum man sich dem Schmerz überhaupt aussetzt. Der Bowie der Untoten, der nie Spaß hatte, aber auch nie loskam vom eitrigen Duft seiner Laster. Nun kriegt er (nach den letzten zwei meisterlichen Platten) einen ernstzunehmenden Anfall irdischer Melancholie.

Um das auszudrücken, benutzen Placebo hier oft dieselben, längst runtergeknabberten musikalischen Chiffren wie die Rockband unten an der Straße. Sie nehmen viel Hall, lassen die Schläge des schweren Herzens fluffig dröhnen, Sänger Molko tritt höflich nach hinten und skandiert „Start again! Start again!“ als platte Klimax von „English Summer Rain“. Gelegentlich drehen sie ein paar Effekte ein bisschen zu weit auf und nennen das: experimentell. Weil sie zumindest das Tempo wie früher halten, fällt nicht sofort auf, dass Placebo in so hausbackener, hasenfüßiger Tagesform niemals irgend jemandem aufgefallen wären.

Wer Molko bisher für einen lärmenden Zwerg gehalten hat, wird ihn auf „Sleeping With Ghosts“ vielleicht zum ersten Mal mögen. Tatsächlich hat die Platte auch einen der besten Placebo-Songs überhaupt, „Special Needs“, mit einer U2-artigen Fingernagel-Gitarre, roboterhaftem Piano und viel Donner. Vertränt, unterdrückt neidisch mahnt Molko (in der Rolle des impotenten Rollstuhlfahrers) zum exzessiven Genuss der Jugendzeit: „Remember me whenever noses Start to bleed!“ Waren wahre Worte damals: A friend who bleeds is better.

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