Prince

Chaos & Disorder

Warner VÖ: 05.07.1996

Michael Jackson sieht zwar nicht mehr aus wie Michael Jackson, nennt sich aber noch so. Prince dagegen sieht immer noch aus wie Prince, heißt aber jetzt irgendwie anders. Die beiden großen Kontrahenten der 80er Jahre gehen aus dem Leim. Ihre Identitäten sind in unzähligen Image- und Rollenspielen verloren gegangen. Die Postmoderne entläßt ihre Kinder.

Um den Soul durch das anything goes-Jahrzehnt zu boxen, hatten sich Jackson und Prince in Schmelztiegel verwandelt; der eine in der glitzernd glatten Art der Motown-Schule, der andere, indem er in schwülen, rotlichtigen Inszenierungen den Eros feierte. Jackson suchte zu gefallen, Prince mußte verführen. Der eine wollte gar kein Geschlecht haben, der andere am liebsten zwei. Neverland gegen Paisley Park – das war der Kulturkampf der dekadenten Art. Heute sind beide Reiche weitgehend zerfallen. Ihre Könige irren ruhelos umher.

Während Jackson sein Heil in immer gigantischeren Medien-Feldzügen sucht und einzelne Alben auf Jahrzehnt-Basis ausschlachtet, macht der Ex-Prince das Gegenteil: Er behandelt Alben wie Singles, nimmt jedes Jahr mindestens eines auf. Und auf Tournee kommt er eher ruckartig, spontan.

Hyperaktiv war er ja schon immer. Aber in den 80er Jahren lag das Publikum auf der gleichen Frequenz wie er. Wenn ein neues Prince-Album fertig war, wurde es auch erwartet. Heute produziert der artist in wilder Autonomie vor sich hin, ohne sich noch um den großen Markt zu kümmern.

Sein Eigensinn erlaubt keine Fünfjahrespläne. Kalkül ist seine Sache nicht. Natürlich wurde ihm genau dieses unterstellt, als er vor Jahren begann, seine Namen zu ändern: Prince habe sich einen besonders guten PR-Gag ausgedacht. Dabei war es das Gegenteil, nämlich der Versuch, die Vermarktungspläne einer großen Firma zu durchkreuzen und „Prince“ nicht zum Markenzeichen gerinnen zu lassen. Von der Arbeitsweise her steht der artist unermüdlichen Funkateers wie Bootsy Collins und George Clinton näher als den Soul-Superstars der 70er Jahre. Sein Studio in Minneapolis ist eher ein Clintonsches mothership als eine Hitfabrik. Es gilt das Session-Prinzip, nicht die Maxime der perfekten Produktion. Langsam entwickelt sich ein Prince-Markt, so wie es heute einen Black-Metal-Markt gibt oder einen Frank-Zappa-Markt. Ein Tummelplatz für Experten. Aus Mainstream wird wieder eine Sub-Strömung: Nur so kann man es verstehen, wenn der frühere Prince sich als „Slave“ der Plattenfirma bezeichnet, deren zweiter Präsident er ist „Chaos & Disorder“ ist ein typisches T.A.F.K.A.P.-Album dieser Jahre: kein breitangelegtes Werk, sondern eine neue Folge aus der Reihe „Funk & Rock aus Minneapolis“. Es wurde in zwei Tagen komplett eingespielt. In dieser Zeit hätte Michael Jackson höchstens einige kaum hörbare Veränderungen an der fünften Baß-Spur vorgenommen. Die Spontaneität hört man der Aufnahme durchaus an – von Chaos und Unordnung kann allerdings keine Rede sein. Zusammen mit seiner New Power Generation hat der kleine Mann eine Platte gemacht, die wie immer auf eine fast zappaeske Weise durcharrangiert klingt. Der beliebige Standard-Funk, mit dem uns Prince jahrelang gelangweilt hat, ist vergessen: Nun spielt er vorwiegend Rock, bleibt dabei aber immer im Koordinatensystem seiner musikalischen Welt. Auf die typischen schnell eingeworfenen Chorfetzen, die immer etwas dünn klingenden Bläser, die hingesprochenen Soul-Weisheiten wurde auch diesmal nicht verzichtet Ansonsten hat die E-Gitarre weitgehend die Macht an sich gerissen. Und unser artist müßte sich schon sehr verändert haben, folgte dem neuen Stilwechsel nicht auch gleich das dazugehörige Glaubensbekenntnis: Noch vor wenigen Jahren sang er: „My name is Prince and I am funky.“ Nun heißt es: „I rock therefore I am.“ Es spricht für seine ironische Haltung, daß ausgerechnet der Song mit diesem Titel aus dem Rock-Konzept ausbricht und den klassischen Princeschen Mix bringt: Einen Funk mit Ragga-Raps und einer kurzen, liebevollen Anspielung auf Marvin Gaye – eine Stimme flüstert „Makes me wanna holler“.

Prince ist kein Rock’n’Roller geworden, die Gitarre ist nur ein Spielzeug für ihn. Und schmachten kann er auch noch: Auch auf diesem Album gibt es wieder einige von diesen Falsett-Balladen, in denen einer Frau die ewige Treue geschworen und am Ende die Gitarre zum Weinen gebracht wird. „Dinner With Dolores“ und „I Will“ setzen die schmalzige Tradition fort. Ihr könnt die Kerzen schon mal anzünden.

Das große Meisterwerk, das „Sign 0′ The Times“ der Neunziger, hat der Künstler, der früher als Prince bekannt war, auch diesmal nicht gemacht. Vieles spricht dafür, daß er das auch gar nicht will. Große Meisterwerke sind ja auch immer ein bißchen unheimlich, und die Welteroberungspläne ohnehin gescheitert Als Mitte der 80er Jahre ein Prince-Konzert für den „Rockpalast“ nach Deutschland übertragen wurde, begrüßte er das Publikum mit den Worten: „Hello America and the world, my name is Prince and I want to play with you.“

Größenwahn dieser Art gehört der Vergangenheit an. Die Produktionsweise von T.A.F.K.A.P. entspricht einem Leben, das nicht für die Ewigkeit gelebt wird, sondern für den Moment. Es sind kaum noch Stücke dabei, mit denen Tom Jones seinen Alt-Männer-Sex aufmotzen könnte. Was in jedem Fall für den Mann spricht, der heute nur noch um sein Recht zum Feiern kämpft: Die House-Party, die er auf der ganzen Welt mit sich herumschleppt, tobt rund um die Uhr treten Sie näher!