Pulphead :: von Edward Lewis Wallant

Mr Moonbloom ***¿

Norman Moonbloom, klapperdürr, behaart, mit „kleinem, spielhöllenbleichem Gesicht“ und „dünnen, kindlichen Lippen“, symbolisiert nicht den klassischen amerikanischen Helden. Sein Erbe hat er in diverse Studien, allesamt erfolglos, investiert: Buchhaltung, Kunst, Literatur, Rabbinat, Zahnmedizin und Fußheilkunde. Jetzt arbeitet er, ein ansonsten einsames Leben führend, bei seinem Bruder als Hausverwalter und kassiert die Mieten. Vier Häuser hat er in Manhattan zu betreuen. Es sind einfache Menschen, die in den heruntergekommenen Immobilien wohnen: Überlebende des Holocaust, gescheiterte Schauspieler, Jazzmusiker, ein schwuler Schriftsteller, ein frustrierter Lehrer, Menschen in Eheglück und -hölle, verwahrlost oder den letzten Rest Würde wahrend. Norman ist ihre Kummerkastentante, die Mieter laden ihre Klagen, ihr einsames Leben, ihre Launen und Marotten auf seinen schmalen Schultern ab. Das alles erträgt Moonbloom eines Tages nicht mehr; gemeinsam mit dem schwarzen Hausmeister Gaylord packt er die Probleme persönlich an.

Mr Moonbloom ist ein komischer Heiliger, den Wallant ins Zentrum seines 1963 postum erschienenen, sehr lesenswerten New-York-Romans gestellt hat, einer, den man ins Herz schließen muss. (Berlin Verlag, 22,99 Euro) jürgen lentes

Bekenntnisse eines Tiefstapler ***¿

von Jonathan Lethem

Andere Autoren schrieben mal ein gutes, mal ein schlechtes Buch, zitiert Lethem den Schriftsteller Darin Strauss, Norman Mailer „schreibt Bücher, die mal gut und mal schlecht sind“. Nicht von ungefähr liefert Lethem hier eine Apologie Mailers, er ahnt, dass es ihm genauso geht. Ein paar Gründe dafür liefern diese „Memoiren in Fragmenten“.

Der zentrale Text „Einflussekstase“, seine vor einigen Jahren für Furore sorgende Rechtfertigung des Plagiats als erlaubter bzw. gewünschter Form produktiver Anverwandlung, seine Verteidigung der Collage und damit auch die Ehrenrettung postmodernen Schreibens, führt formal vor, was er inhaltlich postuliert. Der ganze Text ist zusammengestoppelt aus leicht überabeiteten Zitaten. Den Eindruck des Geflickten, Collagierten wird man dann auch bei der Lektüre von Lethems Romanen nie ganz los. Hier verrät er indirekt, warum diese Methode zwangsläufig stärkere Qualitätsschwankungen mit sich bringen muss. Nicht jedes Fragment passt hundertprozentig, und nicht jedes Einflussteilchen bringt die Fantasie des Autors gleichermaßen zum Sprühen.

Noch etwas macht sein Werk so interessant – und gleichzeitig resultiert daraus ein gewisser Makel. Seine Hippie-Eltern haben ihm einen dezidierten Außenseiter-Stolz eingeimpft, er fühlt sich wohl in der Rolle des Grenzgängers zwischen U und E. Batman, Brando, James Brown hat er genauso intus wie Nietzsche, Heidegger und die Surrealisten. Das führt immer wieder zu kuriosen, ziemlich spektakulären Mischungsverhältnissen. Aber weil er zu keiner Seite wirklich gehört und gehören mag, merkt man seinen Texten oft den Impuls an, beweisen zu müssen, dass er dennoch absolut satisfaktionsfähig ist. Ausgerechnet dieser stupend gebildete, kosmopolitische, unversnobte Autor hat mitunter etwas merkwürdig Beflissenes. (Klett-Cotta, 21,95 Euro)

Frank schäfer

von John Jeremiah Sullivan

John Jeremiah Sullivan ist die neue Geheimwaffe des „New Journalism“, der doch eigentlich längst ein alter Hut sein sollte und der hier trotzdem wieder so frisch, brillant und fast schon alternativlos daherkommt, dass man sich fragen muss, warum man im seriösen Journalismus immer noch so große Angst hat vor der ersten Person Singular. Sullivan schreibt seine ganze Person hinein in diese durchweg gelungenen Reportagen über das größte Christenrock-Open-Air in den Staaten, über das Klaustrophobia Disneyland, weiße Folk-Blues-Nerds, New Orleans nach Katrina, die kryptischen Höhlenmalereien des Southern Death Cult oder die krude Reality-Show-Separatkultur. Nicht nur als Beobachter und Schreiber, der hier gemäß den Old-school-Gepflogenheiten die professionellen Begleitumstände wie Auftragsannahme, Produktionsschwierigkeiten etc. thematisiert, sondern eben auch als Individuum mit einer bestimmten Sozialisation und Privatgeschichte, die dann immer wieder in längeren Exkursen ausgebreitet werden, um das Profil des Beobachters zu schärfen, seine Bewertungen zu motivieren, vor allem aber weil sie dem Gegenstand noch eine neue Perspektive hinzufügen. Die kulturpessimistische Konnotation, die der Titel zumindest ironisch in Kauf nimmt und der deutsche Untertitel „Vom Ende Amerikas“ unstatthaft nahelegt, lässt sich mit der neugierigen, eben auch in die kommerzielle Event- und Schundkultur affiziert eintauchenden Unvoreingenomenheit Sullivans überhaupt nicht vereinbaren. Ihn interessieren Funktionsweisen, Spielregeln und kollektive Verabredungen, die solche Paralleluniversen im Kern zusammenhalten. (Suhrkamp, 20 Euro)

Frank Schäfer

von Gaito Gasdanow

Gaito Gasdanow ist für deutsche Leser bisher ein Unbekannter. Auch im postsowjetischen Russland wurde der 1903 in Sankt Petersburg geborene und 1923 nach Paris emigrierte Autor erst Ende der 1990er-Jahre entdeckt.

Zu Beginn des 1947/48 erstmals erschienenen, autobiografisch gefärbten Romans „Das Phantom des Alexander Wolf“ berichtet der namenlose Ich-Erzähler, wie er als Freischärler im russischen Bürgerkrieg aus Notwehr einen Reiter niederschoss. Ein Ereignis, das ihn seither zutiefst beschäftigt. Im Pariser Exil stößt er auf einen Erzählband eines Alexander Wolf in englischer Sprache und findet darin eine Erzählung, die aufs Haar genau sein prägendes Kriegserlebnis beschreibt. Der andere hat überlebt. Eine Zufallsbekanntschaft macht ihn schließlich mit dem Autor persönlich bekannt. Dass dieser mit seiner großen Liebe verbunden ist, ahnt der Ich-Erzähler nicht. Am Ende kommt es zur Katastrophe.

Gasdanow legt den Schwerpunkt auf die Seelenlagen seiner Protagonisten und ist ein großartiger Stilist. Der Roman besticht durch seine Komposition und den virtuosen Einsatz fantastischer Mittel. (Hanser, 17,90 Euro) jürgen lentes

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