Quai d’Orsay. Hinter den Kulissen der Macht :: von A. Lanzac und C. Blain

Arthur Vlaminck, Fan der frühen Metallica, wird unversehens Redenschreiber im französischen Außenministerium am Pariser Quai d’Orsay. Alles andere als eine leichte Aufgabe. Denn der Minister Alexandre Taillard de Vorms, der mit Vorliebe die Hände in die Hüften stemmt, Türen knallt und tiefgründige Bücher mit einem Textmarker „stabilosiert“, gibt sich nur mit dem Besten zufrieden. Was bedeutet, dass jeder Text durch die Hände von zig zum Teil intriganten Beratern geht und entsprechend oft neu- bzw. umgeschrieben werden muss. Es steht allerdings auch einiges auf dem Spiel: In einer ehemaligen französischen Kolonie droht ein Gemetzel und die USA wollen die UNO davon überzeugen, dass dem Königreich namens Lousdem nur mit militärischen Mitteln beizukommen ist.

Wer in dem opulent gestalteten Comic Parallelen zu tatsächlichen Geschehnissen und Akteuren der Weltpolitik erkennt, liegt selbstverständlich richtig. Zeichner Christophe Blain, sonst eher bekannt für die burlesken Abenteuer von „Isaak der Pirat“, hat die Insiderinformationen, die sein unter dem Pseudonym Abel Lanzac auftretender Autor während der Amtszeit von Dominique de Villepin sammelte, fulminant komisch und klug in Szene gesetzt. „Quai d’Orsay“ ist das genuin französische Gegenstück zur amerikanischen TV-Serie „The West Wing“, nur eben mit den Mitteln der neunten Kunst und mindestens ebenso schlagfertigen Dialogen. Ein Geniestreich. (Reprodukt, 36 Euro) Alexander Müller

von Peter Handke und Siegfried Unseld

Der Verleger Siegfried Unseld war nach allem, was man hört und liest, ein nicht eben uneitler Mensch. Umso erstaunlicher, wie er sich immer wieder vor seinen Autoren erniedrigt hat, um sie bei Laune zu halten. Zuletzt konnte man das in seinem Briefwechsel mit Thomas Bernhard nachlesen – noch deutlicher wird Unselds hohe Kunst in der nun veröffentlichten Korrespondenz mit dessen Konterpart Peter Handke. Vom ersten Brief aus dem August 1965 an trat der Verleger als eine – allerdings recht schnell antiautoritäre – Vaterfigur auf, half im Laufe der Jahre bei der Wohnungssuche, beim Hauskauf, beim Vermitteln von Rezensionsaufträgen und hielt nicht zuletzt schützend seine Hand über den von der Kritik öfter geschmähten Autor, spendete Lob und Anerkennung. Aber wehe, wenn die mal ausblieben oder er nicht den richtigen Ton traf. Immer wieder kam es zu Zerwürfnissen zwischen Autor und Verleger, Handke drohte mit Verlagswechsel, Unseld besänftigte. Man erfährt zudem viel übers alltägliche Verlagsgeschäft und natürlich spielte das liebe Geld eine Hauptrolle. Das las man schon ganz ähnlich in der Unseld-Korrespondenz mit Bernhard. Doch während der jeden seiner Briefe als große Inszenierung seiner Übertreibungskunst zelebrierte, ließ Handke sich vor allem in den ersten Jahren öfter in die Karten schauen, offenbarte Eitelkeiten und legte ganz ernsthaft sein ästhetisches Programm offen. Erst später waren auch seine Briefe geprägt von Kunstwillen und Manierismen.

Als Handke 1981 in einem Buch seines schärfsten Kritikers Marcel Reich-Ranicki, des „übelste(n) Monstrums, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat“, eine Widmung an Unseld lesen musste, war das Verhältnis nachhaltig gestört. Und so ist dieser Briefwechsel auch die Geschichte einer Entfremdung. Der Autor entfernte sich von seinem Verleger, brach mit dem deutschen Literaturbetrieb und der deutschen Literatur (Goethe und Keller lässt er noch gelten), und zog sich in seine Niemandsbucht nahe Paris zurück. Auch elf Jahre nach Unselds Tod schickt er, der unnachgiebige Weltbeschreiber, von dort ab und zu einen langen schönen Brief. (Suhrkamp, 39,95 Euro) Maik Brüggemeyer

Liebesdienst ***¿

von Howard Jacobson

Vielleicht sei jeder, der seine erotischen Fantasien bis zum logischen Schluss auslebe, ein Perverser, sagte der Booker-Preisträger Howard Jacobson jüngst. Den Helden seines 2008 in England erschienenen Buches „Liebesdienst“ darf man getrost als einen solch Getriebenen bezeichnen. Felix Quinn ist Antiquar, Besitzer wertvoller Bücher, die durch vieler Menschen Hände gegangen sind. Aber nicht nur dieser bibliomanische Gedanke turnt ihn an, er sehnt sich danach, dass mit seiner geliebten Frau Ähnliches geschieht: „Es erregte mich, ihr treu zu sein, unter der Bedingung, dass sie es nicht war.“ Er möchte der Gehörnte sein, ein „Cuckold“, wie es in der Sado-Maso-Szene heißt. Legitimation für seine masochistische Obsession sucht er in der Weltliteratur, bis er sie in die Tat umsetzt und Marisa den von ihm auserkorenen Liebhaber zuführt. Doch die Lust am kontrollierten Leiden wird ihm jene Schmerzen bereiten, von denen er nicht mal zu träumen wagte. Der 70-jährige Jacobson wurde oft mit Philip Roth verglichen; er nennt sich jedoch lieber die „jüdische Jane Austen“. Die Antithese von „Vernunft und Gefühl“, ihrem Romandebüt, zieht sich nämlich unaufhaltsam durch dieses tiefsinnige, stimulierende und auch komische Buch. (DVA, 22,99 Euro) Philipp Haibach

von Brezel Göring

Brezel Göring, maskuliner Part des Dada-Pop-Duos Stereo Total, versucht sich hier an „Schülertheaterstücken“, angesiedelt irgendwo zwischen Cabaret Voltaire, Geniale Dilettanten und „Nonstop Nonsens“. Man dürfe „nicht dasselbe Niveau an Charme, Unterhaltungswert und Pfiffigkeit“ erwarten, das man im Zusammenspiel mit seiner Partnerin Françoise Cactus gewohnt sei, entschuldigt er sich bereits im Klappentext. Recht hat er. Die beiden historisierenden Einakter, eine Shakespeare-Parodie und eine dramatische Variation über den Alten Fritz, als der noch ein forscher „Hinterhofbaron“ und „Schornsteinfeger“ bei seinem Freund Leutnant Katte war, sind lahm, und das Reimgeknittel bringt keinen komischen Mehrwert. Aber die Reihe um das drollige Stadtguerillapärchen Annie und Georg, die sich den kleinen Freuden und Kalamitäten des terroristischen Alltags widmet („Losung?“ „Hans-Martin von der Waffen-SS feiert in der Hölle Reichsparteitag.“) würde man tatsächlich gern aufgeführt sehen, am liebsten von Göring/Cactus selbst. Und den entführten Schlagersänger muss Verlagsmogul Martin Schmitz spielen, diese „Andy-Warhol-Figur unter den Verlegern“. Am besten aber liest sich „Gefangene in Pelzen“, eine kleine Groteske über zwei Teddybären im Strafvollzug, die mit ihren zwischen Abgebrühtheit und Quatsch pendelnden Dialogen eine grandiose Gefängnisfilm-Persiflage abgibt. Görings Sprache macht denn auch den größten Effekt in diesen zehn Stücken. Er kolportiert den allgegenwärtigen medialen Phrasendrusch und setzt noch einen oder zwei drauf. „Schon wieder Krieg? Der Kluge hört’s nicht gern.“ (Martin Schmitz Verlag, 14,80 Euro)

Frank Schäfer

Die Rastlosen **¿

von Philippe Djian

Warum nach einem Weltbestseller wie „Betty Blue“ (1985) nicht den immer gleichen Zutaten vertrauen? Keinem Schnickschnack, sondern den ganz einfachen und köstlichen. Philippe Djian will nämlich all jene ansprechen, „die keine Lust mehr aufs Lesen haben. Also schreibe ich keinerlei experimentelle Literatur“, wie er einmal sagte. Und der Franzose kocht zumeist klassisch-amerikanisch, nicht nur stilistisch gesehen. Auch für „Die Rastlosen“ – vordergründig ein zigarettenvernarrter, Chandler-hafter Thriller – nimmt Djian dazu einen erfolglosen, sprich verhinderten Schriftsteller, eine kräftige Portion Sex und einen Schuss Zynismus, den er mit reichlich Ironie ablöscht. Nur der passende Wein – früher war es stets ein junger, spritziger – ist von Buch zu Buch einem starken chilenischen Roten gewichen. Die Figuren, die Lebenswut und naturgemäß der Sex sind ja mit dem Autor gereift. Und von diesem Wein hat der 53-jährige Professor für Creative Writing, die Hauptfigur, gleich zu Beginn drei Flaschen intus, als er die junge Studentin in „seinen Bau“ schleppt. Ein Landhaus, das der Dozent mit der Schwester bewohnt, eine inzestuöse WG – dafür gibt es traurige Gründe. Das Mädchen ist am Morgen tot, dafür findet der Schürzenjäger keine Erklärung, auch nicht dafür, dass er sich in die Stiefmutter der Toten verlieben wird. Der routinierte Koch Djian lässt eben selten etwas anbrennen. Nur am Ende, es ist ein ziemlich abgründiges, wird es so weit sein – buchstäblich. (Diogenes, 19,90 Euro) Philipp Haibach

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