Radiohead

Amnesiac

aus ROLLING STONE 6/2001

Man muss ja nicht “B” sagen, weil man “Kid A” gesagt hat. Natürlich wird keine Radiohead-Platte je wieder Nr. 1 in Amerika, natürlich wussten sie nicht, was sie taten, natürlich gingen die Meinungen dramatisch auseinander, und natürlich haben Radiohead noch gar nicht das Recht dazu, sich so aufzulösen im Obskuren.

Aber lustig ist es doch, wie sie nur scheinbar alle Konventionen missachten, im Zirkus nicht mehr mitspielen (und bei “Rock im Park” auftreten), kommerziellen Selbstmord begehen. Ein Selbsmord, der ihnen wenigstens einen sehr langen Nachruhm einbringen wird und schon jetzt ungeteiltes Interesse des Publikums. Das naturgemäß kleiner wird. Dennoch ist es ja nicht bloß ein schlechter Scherz, kaum ein Jahr nach “Kid A” das zu veröffentlichen, was so herumlag. Nämlich – neben viel Geplucker, Gewummer und Getröte – so fabelhafte Stücke wie “Knives Out”, „You And Whose Army?” und “Life In A Glasshouse”, die der Konzertgänger längst kennt. Andere bringen in solchen Fällen noch eine EP heraus oder drei Singles mit B-Seiten.

Radiohead ist es egal. Vorbilder sind verrückte Deutsche wie Neu! und Faust und Kraftwerk, die sich mit unterschiedlichem Erfolg zurückzogen und über die abseitigsten Kanäle kommunizieren. Nach drei Alben war bei Radiohead die Fettsack-Elvis-Gefahr gebannt. Meisterwerk gemacht, Klappe zu. Fast zerbrochen am so genannten Ruhm – also brechen sie mit sich selbst.

Und das bringt noch immer Momente der Schönheit hervor. Leute, die stets den Kunst-Gedanken und die Indie-Ethik vor sich her tragen, beklagen den vorzeitigen Abbruch der Beziehungen und die angebliche Abwesenheit von Melodien. Aber weshalb bringt EMI solche Platten heraus, und wieso sind das Stücke, die bei jedem dänischen Elektronik-Kollektiv zu Kritiker-Elogen ermuntern würden?

Es ist ja richtig, dass “Amnesiac” mit Pop nichts mehr zu tun hat. Aus einem Grunde: Hier wird an einem work in progress gearbeitet, das die Theoretiker und Wichtigtuer nicht verstehen können. Es ist Meta-Musik, deren Entstehungsprozess im Internet-Tagebuch von Ed O’ Brien dokumentiert und kommentiert wird, als wäre alles fiktiv. Diese Notizen lesen sich wie Literatur, ein Curriculum, ein Laborbericht: “Notes from Ed’s diary: an attempt to do vocal piano and drums on ,egyptian song’. Was sounding okay.” (09-12-99) “Nigel and jonny are at present getting stuck into going through the various string parts on ,egyptian song’.”

Da geht es halt nicht mehr um die Frage, ob die Beta Band das auch kann oder ob die Plattenfirma das gut findet. Es geht um Idiosynkrasie.

Bestimmt toll wenn man die Zeit dafür hat.