Rickie Lee Jones

The Sermon On Exposition Boulevard

Ein spätes Meisterwerk: religiös, ketzerisch, wild und berückend

Von den ersten schweren Gitarrenakkorden, der ersten gekrähten, meckernden, belegten Suada dieser ins Mark fahrenden Stimme an denkt man immerzu an die frühen Platten des Wunderfräuleins Rickie Lee Jones – die magische Verbindung von Songwriter-Innerlichkeit und Jazz, von kalifornischer Leichtigkeit und Seelenpein, die seltsamsten Geschichten, die schönsten Melodien, der herrlichste Kleinmädchengesang. Dem unvergesslich erhebenden „Living It Up“ ist hier „Falling Up“ entgegengesetzt, mit lautem Schlagzeug und elektrischer Gitarre, wo früher Piano und Percussion waren – aber noch einmal kiekst und schwelgt die Jones:“A honey-skinned girl/ She’s light on her feet“…

Ach ja, das Debüt und „Pirates“ und „The Last Chance Texaco“, „Weasel And The White Boys Cool“, „Easy Money“ und „Woody And Dutch On The Slow Train To Peking“, das waren Kunstverstand, Literatur und baskenmützige Schönheit zugleich, und keine Frau war cooler als Rickie Lee. Randy Newman erinnert sich schlicht daran, alles sei damals perfekt gewesen. Umso schlimmer, dass die Sonnengöttin langsam verdämmerte – und doch: In einem Winkel unseres Herzens glaubten wir all die Jahre zutiefst daran, dass Rickie Lee Jones diese eine große Platte noch in sich hat.

Ein Sermon ist bekanntlich eine Predigt, und dieser Sermon ist auch Gebet, Anklage, Beichte, Wehgeschrei, Wutausbruch und kontrollierte Explosion. Zu extrem aggresivem Gitarrenspiel und geradezu sonischer Klangkulisse, Chören und Orgel nörgelt die Jones in vollkommen frei flottierenden Songs, die „Lamp Of The Body“ heißen und „It Hurts“, und dann singt sie im erschütternden „Where I Like It Best“ davon, dass sie beten wollte und wie man in dieser Welt beten kann und dass sie alle so laut beten, aber: „Your eyes are the prayer.“ Flüstert verfremdet in „Tried To Be A Man“, fast einem Lou-Reed -Stück. Feiert noch einmal kindlich den Überschwang und die Musik in „Circle In The Sand“.

Im letzten Song. „I Was There (When Jesus Walked)“, singt Rickie Lee Jones mit verstopften Nebenhöhlen und zu hart und karg angerissenen Gitarren einen zwei DIN-A-4-Seiten langen Text von kosmischen Dimensionen, unergründlich und bizarr: „Take my advice/ It doesn’t get easier/ Watching the golden floating out of the bars and into space/ There’s Frank Sinatra on the juke box/ Pawns in the ketchup/ Your face in the reflections…“ Eine Rhapsodie, wie man sie nur vom jungen Tom Waits und dem Bruce Springsteen von „New York City Serenade“ kennt. Wie die gesamte Platte: aus der Zeit gefallen, grenzgenial, wahnsinnig, religiös und ketzerisch, erotisch und brutal, wild und berückend.