Robert Wyatt

„Rock Bottom“

Mit dem Karrierehöhepunkt „Comicopera“ hat Robert Wyatt im letzten Jahr eine neue Heimat bei Domino Records gefunden. Nun veröffentlicht das seit Franz Ferdinand und den Artic Monkeys hippe Londoner Label auch Wyatts gesamtes Solowerk auf Vinyl und CD (im Digipack). Nur das experimentelle, lautmalende Jazzalbum „The End Of An Ear“, das Wyatt noch während seiner Zeit bei Soft Machine aufnahm, und das Mini-Album „A Short Break“ von 1992 fehlen.

Wyatt selbst sieht in „Rock Bottom“ den wahren Beginn seiner Solokarriere. Ganz sicher markiert das Album eine neue Schaffensperiode, wenn nicht gar ein neues Leben. Den Aufnahmen vorangegangen war ein volltrunkener Sturz aus dem vierten Stock eines Hauses in Maida Vale, London, der Wyatt für den Rest seines Lebens in den Rollstuhl zwang, ihn aber zugleich musikalisch befreite.

Mit Musikern wie Soft Machines Hugh Hopper, Caravans Richard Sinclair, Fred Frith und dem jungen Mike Oldfield schuf er einen Sound, der die Schwerkraft zu überwinden schien. Dazu sang Wyatt seine surrealen subaquatischen Lieder. Gerne hätte man Outtakes aus den Aufnahmesessions gehört, die zur Genese dieses bis heute einzigartigen Werks führten. Doch alle Wyatt-Reissues kommen ohne Bonus-Tracks. So bleibt – könnte man auch argumentieren – das Mysterium von „Rock Bottom“ gewahrt.

Bei einem seiner wenigen Live-Auftritte spielte Wyatt das komplette Album – angereichert durch seine Darbietung des Monkees-Songs „I’m A Believer“, sowie Stücke von Soft Machine und Matching Mole – im September 1974 mit einer furiosen Band in London. 2005 erschien der Mitschnitt dieses denkwürdigen Konzerts unter dem Titel „Theatre Royal Drury Lane“, auch dieses Werk wird nun neu aufgelegt.

„Ruth Is Stranger Than Richard“
erschien schon ein Jahr nach „Rock Bottom“. Von einem Soloalbum kann man hier eigentlich nicht sprechen, vielmehr sind diese wieder stärker am Jazz angelehnten Stücke das Werk eines Ensembles, zu dem u.a. Brian Eno, Fred Frith und Phil Manzenera gehörten, und knüpfen eher an Wyatts Alben mit Matching Mole an. Vertraglich als Albumkünstler noch an Virgin Records gebunden, aber unwillig, weiter mit dem Label zu arbeiten, schwieg Wyatt in der zweiten Hälfte der Siebziger, nahm dann aber für das Rough Trade-Label fünf Singles mit Arbeiter-, Befreiungs-, und Protestsongs auf.

Vier der Singles erschienen, angereichert mit zwei Bonus-Stücken, auf der Sammlung „Nothing Can Stop Us“ , die fünfte und bekannteste- „Shipbuilding“- kann man auf der nun ebenfalls wieder erscheinenden Box „EPs“ nachhören, auf der sich weitere rare Stücke, Singles, Compilation- und Soundtrack-Arbeiten finden.

Das nächste Wyatt-Album erschien 1985 ebenfalls bei Rough Trade. Er habe Lieder schreiben wollen, die nicht von der politischen Rechten missbraucht werden könnten, hat Wyatt später über die musikalisch eher schlichten, ohne Unterstützung einer Band entstandenen Stücke auf „Old Rottenhat“ gesagt. Der vielschichtigste und komplexeste Song des Albums, „Gharbzadegi“, ist einer von Wyatts besten überhaupt.

Sechs Jahre später sollte er mit seinem nächsten Album an diese Großtat anschließen. Die wie eine durchgängige Suite arrangierten Lieder auf „Dondestan“ sind teils Vertonungen der Gedichte von Wyatts Ehefrau Alfreda Benge, teils politische Lieder im Geist von „Old Rottenhat“. Am Ende der Produktion ging das Geld aus und das Album wurde größtenteils als Rough Mix veröffentlicht. 1998 ließ Wyatt das Album noch einmal neu abmischen. Auf „Dondestan Revisited“ das nun anstelle des Original-Albums wiederveröffentlicht wird, wurden die Konturen der einzelnen Songs stärker betont, was dem Album ein bisschen von seiner Faszination nimmt.

Mit „Shleep“ kehrte 1997 das Ensemblespiel in Wyatts Werk zurück. Brian Eno, Phil Manzenera, Annie Whitehead, Paul Weller, Evan Parker und andere Gäste geben „Shleep“ einen süffigen Ambient-haften Sound, der manchmal berieselt, oft aber- wie etwa in „The Duchess“, „Maryan“ oder „Free Will And Testament“ – berauscht.

„Cuckooland“ist sechs Jahre später weniger eingängig und durchkonzipiert, hat dafür aber die spielerischen Qualitäten von „Ruth Is Stranger Than Richard“ und die lyrische Dichte von „Dondestan“. Ein meisterhaftes, vielgestaltiges Album, das vor allem von Wyatts Präsenz zusammengehalten wird – und das er zwei Jahre später mit „Comicopera“ sogar noch übertraf. (Domino/indigo)

Maik Brüggemeyer