Roots von Jörg Feyer

Einige gutverdienende Herren in Nashville scheint das schlechte Gewissen zu plagen. Wäre die große Geschichte der Genres ein so selbstverständlicher Bestandteil des aktuellen Country-Geschäfts, wie das von eben diesen Herren (und auch der einen oder anderen Dame) gern behauptet wird, müßten sie sich jedenfalls kaum genötigt fühlen, ein All-Star-Opus wie „Tribute To Tradition“(Columbia/SMIS) aufzufahren. Das obendrein mit Marty Stuarts frisch verfaßtem Epos „Same Old Train“ doch eine Spur zu pathetisch ausklingt En detail bestätigt der nicht immer so schlüssig besetzte 14-Song-Reigen bewährte Erkenntnisse. Die etwa, daß ein Randy Travis in den Fußstapfen von Merle Haggard genau so gut klarkommt wie eine Patty Loveless in denen ihrer Cousine Loretta Lyrin. Oder die, daß auch die 90er durchaus Vokal-Stilisten von Format (wie Wade Hayes) hervorgebracht haben. Doch Waylon Jennings und Billy Joe Shaver dürften die Kugel zumindest in Erwägung ziehen, wenn sich die Fake-Outlaws Collin Raye & Joe Diffie ab „Honky Tonk Heroes“ gelieren. Im Alleingang hatte Raye zuvor schon „Cold Cold Heart“ so weich gespült, weicher geht’s kaum. I’m sure Hank wouldn’t have done itthis way… 2,5

Womit wir sogleich noch elegant zu JOHN GORKA übergeleitet hätten, der seinen jüngst geborenen Sohn tatsächlich Bocephus (einst Hanks nickname für den kleinen Hank jr.) und – jetzt kommt’s – auch noch Mahatma Sinatra genannt hat Jeez! Was einen aber nicht davon abhalten sollte, dem neuen Album seines Vaters zwei aufmerksame Ohren zu schenken, der sich auf „After Yesterday“ (Fenn Music) erneut als wacher Skeptiker von Format erweist. Der neue Erdenbürger von eigen Fleisch und Blut bietet natürlich reichlich Stoff, und nicht nur humorigen: „He looks like Charles Bronson when he’s crying, he doesn’t have a mustache but he’s trying.“ Doch auch jenseits der häuslichen Kleinrevolution bleibt der Mann mit der warmen, unaufgeregten Stimme mit plastischen Charakterstudien („Amber Lee“) und semi-philosophischen Exkursen („Wisdom“) erste WahL Zudem stattet John Jennings (Mary Chapin Carpenter) Gorkas Rückkehr zum alten Label Red House mit einer direkten, intimen Akustik-Produktion aus, die nicht zuletzt von den verschlungenen Pfaden des Rhythmusgebers Andy Stochansky (sonst Ani DiFranco) lebt. 4,0

In derselben Klasse spielt das vierte Album des Bostoner Kollegen ELLIS PAUL „Translucent Soul“ (Philo/In-Akustik) verhandelt allerdings nicht die hoffnungsfrohe Ankunft, sondern den schmerzlichen Abschied. Mit eindringlich-strahlendem Tenor bringt Paul nach der Trennung von seiner Frau in elf souverän gestalteten Songs eine „poetry of loss“ zum Schwingen und Klingen, die Klischees nicht beständig meiden kann, aber schon mal „broke“ auf „coke“ reimt (in dem poppigen Stück „She Loves A Girl“). Produzent und Drummer Jerry Marotta, Bassist Tony Levin und Saiten-Spezi Bill Dillon liefern das exquisite Backing. Schönster Einstieg: „Teil the man who repairs the wings for angels that one has fallen among the mortals on Bleecker Street“ („Angel In Manhattan“). Bitterste Momentaufnahme: „You’d say: ‚Pain is just a relative thing.‘ I’d say: ‚Thank you, Mr. Einstein.'“ Wir sagen: Thank you, Mr. Paul! 4,0

Kleiner Nachschlag zum Linklater-Artikel (RS1/99) und zum Bad Livers-Short Cut von Wolfgang Doebeling (RS 11/98): MARK RUBIN und DANNY BARNES zeichnen für den Soundtrack zu „The Newton Boys“ (SMIS) verantwortlich und konnten bei der Arbeit daran sogar vom Studio auf eine Bank herabblicken, die die schweren Jungs anno dunnemals mittels einer (allerdings schlecht dosierten) Nitro-Bombe um ein paar Dollar mehr erleichterten. Hey, wenn das nicht authentisch ist! Dramatische Score-Sequenzen („Getan‘ It AU“) bremsen denn auch den flott weggespielten Jazz Me Blues“ (Songtitel) aus, der in tragenden Vocal-Nebenrollen durch Austin-Lokalprominenz (Abra Moore, Kris McKay, Blueser Guy Forsyth) sowie Patty Griffin aufgewertet wird. Squirrel Nut Zippers-Fans und Old Tirney-Aficionados, aufgehorcht! 3,0

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