SHORT CUTS

FORMIDABEL

Kennern der Materie sind Big Sandy & His Fly-Rite Boys bekannt als brillante Vertreter des Swingabilly. Jetzt haben sich Kopf und Körper mal eben kurz getrennt, um musikalischen Leidenschaften jenseits von Western Swing und Rockabilly zu frönen. Mit frappierenden Resultaten. Robert Williams aka BIG SANDY widmet sich auf „Dedicated To You“ (Hightone/Fenn) dem kalifornischen Rhythm & Blues der 50er und frühen 60er Jahre, DooWop also und trashigem, oft hispanisch geprägtem Tanz-Soul. Ein reines Vergnügen. Begleitet von den Samtund-Seide-Stimmen der Calvanes und am Piano von Skip Edwards oder Carl Sonny Leyland, croont und kräht sich Big Sandy so souverän und nuanciert durch die 16 Tracks, daß man darauf wetten möchte, er habe seinen wunderbar cremigen Tenor nie um etwas anderes geschlungen als diesen ultimativ coolen, rockenden City-Blues. „Guided Missiles“, das metaphorisch so naive wie explosive Meisterwerk der Cufflinks, ist nur einer von vielen Höhepunkten, der Don 8C Dewey-Heuler „I’m Leavin‘ It All Up To You“ (mit Dewey Terry himself als Vokal-Assistent!) ein anderer. Exquisit.

Auch THE FLY-RITE BOYS entfernen sich auf ihrer ureigenen LP, die verwirrenderweise „Big Sandy Presents The Fly-Rite Boys“ (Hightone/Fenn) heißt, ein gutes Stück von ihrem Home-Terrain in den Rockabilly Hills. Hier explorieren sie die Grenzzäune zwischen Country und Jazz, zwischen Boogie und Hillbilly Bop, nicht etwa um sie auszubessern, sondern um sie zu perforieren. Für die zwölf Cuts, meist Instrumentals, standen Bob Wills und Fats Waller Pate. Les Paul und Merle Travis. Das Spektrum reicht von New Orleans-Boogie Woogie bis zu den magischen Tasten-Kapriolen eines Earl Hines, dessen „Rosetta“ von den Boys mit Aplomb gecovert wird. Geht mächtig in die Beine.

Zum Duo geschrumpft sind die überaus famosen BAD LIVERS aus Austin, Texas. Danny Barnes, Banjo-Exzentriker und Pfleger gestrandeter Song-Unikate und Sound-Atavismen, sowie an seiner Seite der Stand-Up-Bass-Dynamo und praktizierende Total-Sympath Mark Rubin vagabundieren jedoch auch ohne den dritten Mann an der Fiddle weiterhin im Niemandsland zwischen Blues und Bluegrass. „lndustry And Thrift“ (Sugar Hill/Fenn) lebt von beiden Stildismensionen gleichermaßen, niemals und an keiner Stelle indes ausschließlich. Gewohnt abenteuerlich geht es zu, die beiden Roots-Dadaisten eruieren die Tiefe bluesiger Slide-Deltas wie yiddischer Happysad-Tunes („A Yid ist Geboren inz Oklahoma“!), verrocken Jimmie Skinner (wirklich!) und verneigen sich tief vor Merle Travis. Barnes singt leicht in Schräglage und Rubins Tuba akzentuiert und synkopiert aufs drolligste. Strange brew.

AKZEPTABEL

Fast eine Klasse besser als sein klinisches CSN-CopycatAlbum mit CPR ist DAVID CROSBY solo auf „Live On Tht King Bisquit Flower Hour“ (Pinnade): die Stimme gefühlsecht, bald zart und zuckrig, bald dröhnend und dramatisch; die Musik grundsolide und nur selten in geriatrischer Starre; und das Material aus Crosbys Post-Byrds-Phase wohl mit Höhen und Hügeln, aber nie peinlich. Am besten ist der Koloß auf dem 1989er Mitschnitt, wenn er ganz alleine zur Akustischen singt: „I have seized death’s door handle like a fish out of water.“ Einen grauenhafteren Text wird man schwerlich finden, doch Crosbys Gesang transzendiert derlei Flachsinn.

Der David Crosby der 90er Jahre heißt Peter Buck. Nicht daß er singen könnte, aber wie einst ersterer ist sich Buck für nichts zu schade, koUaboriert mit allen und jedem, kriecht mal Brian Wilson in den Arsch, um anderntags die Schirmherrschaft für irgendeinen spirituellen Nonsense zu übernehmen oder mal eben zwischendurch in ein „Projekt“ einzusteigen. Wie hier: TUATARA ist eine fusionsgeile Instrumentalgruppe aus Seattle und ihr zweiter Longplayer „Jhading With The Enemy“ (Epic) bewegt sich manierlich und nur mäßig interessant zwischen Lounge Music und Captain Beefheart. Alles gutgemeint und für Tarantino-Fans sicher goutierbar, aber letztlich zu höflich und ohne Konsequenz.

Konsequent bis zur Selbstkasteiung sind THE CROCKETTS aus Wales. „We May Be Skmny & Wirey“ (Blue Dog) versammelt Punk und Pop von der energetischen Sorte. Und zwei bittersüße Balladen. The Clash sind Vorbilder und wahrscheinlich The Pogues, doch versprüht die Platte, seltsam, seltsam, auch amerikanisches Flair, als hieße das rabiate Quartett Jason & The Crocketts. Walisischer Cowpunk? Warum nicht.

Zum US-Nachwuchs-Rock, um den es derzeit gar nicht so schlecht steht: Fastball, Semisonic, Goo Goo Dolls. Hinzu kommen BUCK JONES aus Dallas, die auf“SAimmer“(Whampire/Polymedia) zwar nur einen Steinwurf entfernt vom Mainstream siedeln, deren Noise-Pop-Verschnitt aber mit der entrückt singenden Gabrielle Douglas wuchert. Die rückt ihre Band musikalisch wie visuell in die Nähe von Garbage. Kann zumindest kommerziell nicht schaden.

THE CANDYSKINS scheinen neuerdings ähnliche Ambitionen zu haben, und tatsächlich kann man sich „Death Of A Minor TV Celebrity“ (Ultimate) gut in Billboards „Modern Rock“-Charts vorstellen. So knallig und catchy und clean hat das Quintett noch nie agiert. Die Sixties-Bezugspunkte sind noch da, werden aber überlagert von Sound-Spezifika der Post-Slacker-Jugend. Banal? Ein bißchen.

Banaler sind THE BRANDOS auf „Nowhere Zone“ (SPV), obwohl konstatiert werden muß, daß nichts ehrenrührig ist an dieser abgehangenen Mixtur aus Durchschnitts-Rock, handwerklicher Qualität, Nummer-Sicher-Covers (CCRs „Lodi“), pseudo-hymnischen Refrains und mal eher rootsiger, meist aber rockistischer Gitarren-Gemütlichkeit. Paßt exakt, der Album-Titel.

INDISKUTABEL

Die aktuellste Episode der ungeliebten Serie „How The Mighty Have Fallen“ bestreitet KIM FOWLEY, ein Mann von vielen Talenten, Produzent von B. Bumble & The Stingers und Vicky Leandros, Pionier minimalster Trends, legendäre Vorhut und Vorhaut (der Mann unterhielt bereits gut 20 Jahre vor Bill Clinton ein Oral Office – man frage die Runaways). Doch heutzutage bildet der Hagestolz die Nachhut, hängt sich als letzter an Züge, die doch eigentlich schon ausrangiert sind. So hechelt das Genie (Eigenwerbung) auf „The Trip Of A Lifetime“ (Resurgence/EFA) durch die Sound-Klamotten der letzten zwei Jahre: Drum’n’Bass, Ambient, Trance, Lo-Fi, Jungle, und so weiter und so fort. Roni Size macht mit, William Orbit auch. Die üblichen Verdächtigen halt. Fowley über die Doppel-CD: „Like Christmas on a nude beach with legal drugs und free drinks, the way life was always meant to be.“ Wir gönnen dem rüstigen Raver seinen geistigen Alterswohnsitz auf Ibiza.

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