SHORT CUTS :: von Jörg Feyer & Arne Willander5

FORMIDABEL

Als mitreißender R&B-Interpret und Mundharmonika-Stilist schon hinlänglich gewürdigt, schreibt sich DELBERT MCCLINTON mit „One Of The Fortunate Few“ (Rising Tide /Universal) auch als Autor noch einmal nachdrücklich in die Oberliga ein. Die bittere Soul-Ballade „You Were Never Mine“ hätte dem Mann aus Lubbock selbst Otis Redding aus der Hand gefressen. Ein kleines Wunder fast, daß die runde Produktion trotz einer wahren Stargast-Armada nicht auseinanderfallt: Lyle Lovett, B. B. King und John Prine setzen ihre Akzente zugleich bestimmt und unaufdringlich.

Ironie der Zeitläufe: THE DAMBUILDERS entschlüpften einst exklusiv beim Berliner Indie-Label Cuacha – inzwischen ist das exotische Quartett (die Geigerin!) längst bei der US-Industrie gelandet, wird aber hier nicht mehr regulär veröffentlicht Für „Against The Stars“ (Elektra/TIS) hat die ursprünglich auf Hawaii geborene Band um Gitarrist Eric Masunaga die Studio-Dinge wieder selbst in die Hand genommen, was dem flink arrangierten, verschlungen komponierten Glam-Pop mit dem Mut zur großen Geste gut tut. Marktlücke? Ein supergutes Video muß her. Oder eine Tour mit Radiohead.

AKZEPTABEL

Frollein Madonnas neue Definition von Hipness? Würdenträger der 80er Jahre für ihr „prestigeträchtiges“ (so das Pomotion-Info) Maverick-Label unter Vertrag nehmen: Richard Butler führt das Erbe der Psychedelic Furs mit LOVE SPIT LOVE stoisch fort; auch das zweite Band-Album „Trysome Eatone“ (Maverick/WEA) gebiert treibenden, hymnischen Gitarren-Rock inklusive einiger Progund Folk-Schlenker. Nur dated oder schon zeitlos? Eins scheint sicher: Je blasser Wortjongleur Butler mit der nicht eben originellen Lieblingsvokabel „rain(y)“ wird, desto besser singt er.

„The Rain“ stand auf der Badekappe, mit der sich ORAN JUICE JONES 1986 ab dicker Macho-Soul-Karpfen im Rap-Haifischbecken des New Yorker In-Labels Def Jam freischwimmen konnte. „Player’s Call“ (Tommy Boy/Eastwest), sein ebenso unwahrscheinliches wie angenehmes Comeback, ist wieder der Dialektik von Liebe und Kapitalismus auf der Spur und verströmt gar klassisches R&B-Flair. Produzent Willie Mitchell (AI Green, Ann Peebles) ließ Jones sogar an „Let’s Stay Together“ heran, das als Hörspiel-Remake wiederaufersteht. So emsig, wie die DAVE MATTHEWS BAND tourt, so fleißig sind auch die Bootlegger am Werk: „Live At Red Rocks“ (BMG/Import), eine Show aus dem Sommer 1995, eröffnet eine lose Reihe von Mitschnitten, die die Fan-Gunst mit Qualität in die eigene Kasse lenken soll. Nach den bekannten Matthews-Favoriten („Satellite“ und „Rhyme & Reason“) beschließt das Quartett den gewohnt ausschweifenden Set (Doppel-CD!) mit einer zerfahrenen „All Along The Watchtower“-Version. Wer noch ein paar Taler übrig hat, wird in der üppigen Merchandising-Beilage fündig.

Den Banalitäten des New-Country-Diktats mochten sich THE MAVERICKS noch nie so recht unterordnen. Was hier mehr denn je für „Trampoline“ (Universal) gilt: Gegen die traurige „Authentizität“ karierter Hemden mit Hut setzen sie eine ungezwungene Musikalität zwischen flottem Tex-Mex- und orchestralem Groß-Pop, Mambo-Rhydimen und Gospel-Ekstase. Crooner Raul Malo bleibt mit Schmachtfetzen wie „Fool No. 1“ die heiße Alternative für enttäuschte Chris-Isaak- und verwaiste Roy-Orbison-Fans.

Der Kuriositätspreis geht an WILLIAM „Kirk“ SHATNER und LEONARD „Spock“ NIMOY für das wiederaufgelegte „Spaced Out“ (Universal), ein wahrhaft galaktisches, elegisches Kompendium von strahlenden Balladen, wie sie die Walker Brothers und heute Divine Comedy aufführen, sowie Klassiker-Bearbeitungen („Mr. Tambourine Man“!), die mit spaced out ungenügend beschrieben sind. Der traditionell fehlende Humor der bieder moralisierenden und räsonierenden „Star Trek“-Leiter wird hier mit interstellarem Trash erfreulich kompensiert. Besonders Shatner, heute ein lächerlicher Wanst in Nebenrollen, überrascht als großer Tragiker und Shakespeare-Rezitator. Wie auf der Brücke der „Enterprise“ ist Spock eher der Ironiker. Oder der Scherzkeks. Unendliche Weiten.

Das New Yorker Quartett LINCOLN durfte drüben schon mit Susanna Hoffs teuren. Was niemanden davon abhalten sollte, einem dito betitelten Debüt (Slash/PMS) zu lauschen, das klingt wie eeb mit ein paar Neurosen und They Might Be Giants mit ein paar Ambitionen weniger. Chef Christopher Tempie schüttelt die gute Melodie aus dem Ärmel und reimt dazu „kiss“ auf „diss“. Ein Clever-Pop ohne Zahnschmerzen mit Gast Nils Lofgren bei einem der besten Tracks.

Unendliche Leichtigkeit verströmen die beiden Sampler „Love, Peace & Poetry“ (Normal): „American Psychedelic Music“ und „Latin American Psychedelia Music“ versammeln ulkige, aber natürlich streng ernstgemeinte Merkwürdigkeiten aus den goldenen Tagen des Hippietums.

„Betty Page, Jungle Girl: Exotique Music“ (Normal) ist einmal wieder eine nostalgische Mogelpackung, in der aber üppiger Orchester-Jungle-Swing, Mambo und Salsa stecken. Üppig auch das Booklet, in dem Betty Page freilich hält, was der Titel verspricht Recht beachtlich ist das Solo-Debüt des weiland Deine Lakaien-Sängers ALEXANDER VELJANOV: „Secrets Of The Silver Tongue“ (Motor Music) erinnert nicht nur im Titel an die besten Arbeiten von David Sylvian, sondern ersetzt die Gruft durch eklektische Romantik und melancholische Arien – ein deutscher Nick Cave.

BEDENKLICH

Sie haben auch diesmal, wie es so schön heißt, den Rock nicht neu erfunden. Doch Lemmy Kilmister hat offenbar gemerkt, daß Saufen und Raunzen auch nicht mehr so lustig sind wie früher. Allein, es nützt nichts, wenn man nichts anderes kann. MOTÖRHEAD waren die einzige Schweinerock-Band neben AC/DC, die stets Narrenfreiheit hatte. Das wird so bleiben, und Lemmy ist ja ein netter Mensch. Nach „Snake Bite Love“ (SPV) aber bitte keine Platten mehr. Sind schon so viele im Regal. „I love Rock’n‘-Roll, it satisfies my soul/ And if that’s all there is/ It won’t be bad“, sang Lemmy früher. Das sollte er sich noch mal überlegen.

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