SHORT CUTS :: von Lau & Hüttmann

FORMIDABEL

Vor drei Jahren brachte Liam Hayes die Single „Three Quarter Blind Eyes“ heraus – ein Stück blendender Popmusik, ein Fall für die „Single Of The Week“. Seitdem ist Hayes alias PLUSH sehr traurig geworden, spielte auf den schönsten Platten von Palace Music, „Hope“ und „Viva Last Blues“, und verblüfft nun mit „More You Becomes You“ (Domino/ RTD), einem Werk voll rätselhaft karger und melodiesüchtiger Piano-Balladen, die große Einzelgänger wie Will Oldham, Billy MacKenzie und David Sylvian evozieren. Suggestiv und beseelt.

Alt-Fans werden den Depeche-Mode-Tribute „For The Masses“(Polydor) nicht mögen: Was hat das mit Depeche Mode zu tun, der Mist? Doch wer undogmatischer an die Sache herangeht, hat Freude: Dies ist eine feine Sammlung entspannter Versionen eleganter Popsongs. Sehr hübsch: Das elegische „Never Let Me Down Again“ von den Smashing Pumpkins, ein trippendes „Master And Servant“ von Locust, das wirbelnde „Shake The Disease“ von Hooverphonic. Noch hübscher: ein verwunschenes Elektro-Paradies von Rabbit In The Moon für „Waiting For The Night“, Veruca Salts Nachtmusikbeschwörung „Somebody“ und, jawoll, auch „Stripped“ von Rammstein, die eine tolle Selbstparodie hinlegen.

BARRY KDNZEL ist einer der spleenigen Schlackse, die als Spräher und Skateboardfahrer anfangen und nach ihrer Pubertät eine Platte aufnehmen. Die HipHop-Szene kennt Künzel unter dem Kürzel JBK, und auf dem Album „Sillium“ der Fünf Sterne deluxe soll er Gitarre gespielt haben. Auf seinem Debüt „Tunnel Version“ (Yo Mama) ist jedoch kein HipHop, sondern plätschern ungemein funkige Orgelund Gitarrenmelodien, Soul- und Popharmonien. Titel wie „Water & Sun“, „Growing Up“ oder seine Version von Roxettes „Listen To Your Heart“ sprechen für sich: Sommer, Liebe, Spaß!

ELEKTROSUSHI sind unter anderem aus der Gitarrenband Sharon Stoned hervorgegangen. So toll wie ihr Name klingen auch viele Songs des selbstbetitelten Debüts (Nois-o-lution): Power-Pop, Punk, College-Rock mit sehnsüchtigem Gesang, scheppernden Melodien und Sinn fürs Trashige, was sonst den Japanern eigen ist Mit „Lee Retnick“ covern sie ein Stück von Robert Forster, für „Electronic Mastermind“ und dem eher elektronisch schwärenden „Heavenly“ ließ sich sogar Baß-Großmeister Mike Watt überreden.

AKZEPTABEL

Vor einer Million Jahren, im San-Franciso-Neo-Folk-Boom, waren SWELL eine von vielen Songwriter-Wüstenrock-Bands, die schon mal ein gutes Stück geschrieben hatten und außerdem politisch korrekt waren. Seitdem ist allerlei ausgestorben, auch der Neofolk, aber Swell machen auf „For All The Beautiful People“ (Beggars Banquet) weiter wie gehabt. Und das ist in Ordnung: Auf der bodenständigen Basis anständiger Songs kann man sie mit verträumt dahinschippernden Stimmen, mild wuchernden E-Gitarren, warmen Grooves und einigen Prisen Piano oder Streicher anfreunden. Herbstmusik für milde Melancholiker, prima Soundtrack zum Anstarrren entlaubter Bäume.

Das hier hätte toll sein können, zum Beispiel als Single. Denn „The Way“, der erste Track auf „All The Pain Money Can Buy“( Polydor) ist eine wackere Hymne des Aufbruchs, eine tolle Melodie zum Mitsingen, ein feiner Song. Danach arbeiten sich Amerikas neue Songschreiber-Talente FASTBALL allerdings stetig bergab, klingen erst wie eine späte Version der Beatles und erreichen zur Halbzeit den Mainstream. Independent-Rock-Pop, der mit dem passenden Video okay ist. Nicht unsympathisch.

Protestieren gehört verboten – auf englisch sowieso, und zur akustischen Gitarre eh. CHRIS BURROUGHS hat das wohl auch schon gemerkt und nölt deshalb auf „Liberty“ (Blue Rose/ RTD) etwas allgemeiner herum. Ja, sicher, natürlich, das sind ordentliche Songs, ausdrucksvoller Gesang, kräftige Holzgitarre, Klassikerformat. Aber verändert hat sich nichts im Genre – es scheint, als würde diese Musik per Zellteilung vervielfältigt, Reproduktion statt Evolution.

Es hätte eine nette kleine New-Wave-Revival-Platte werden können, doch irgendwann ging LITANY die Luft aus, und so ist „Peculiar World“ (Time Bomb) ein unentschlossenes Geeier zwischen breakgespicktem Powerpop und sinnlos aufgeregtem Poprock, der eigentlich gerne Punk wäre, sich aber nicht entschließen kann. So erinnern die drei Mädels aus Kalifornien mal an die Raincoats oder gar X-Ray-Spex, meist aber eher an die Bangles.

„0 «U» T“ (eastwest) von KIRSTY HAWKSHAW: Noch eine Songwriterin, noch ein Stimmchen und noch ein paar ununterscheidbare Lieder, noch ein bißchen Rock, etwas Ballade und ein Stück Elektronik, das irgend jemand gut findet, mancher nicht und die meisten nie hören werden, etwas, das nicht wehtut, aber auch nichts nützt, das egal ist, Stapelware, die es gibt, damit es im Plattenladen so aussieht, als hätte man eine Wahl.

Vor einer Ewigkeit leitete er die Kapelle bei Nina Hagens Punkhochzeit, in den späten Achtzigern spielte er in der Hamburger Band Noise Annoys, im Booklett von „Wie du“ (fkk) dankt er dem Arzt Farin Urlaub: WITTE hat viel gemacht und wenig geschafft. Man schon mitfühlen, daß er noch immer stereotypen, schlagerseligen Dosenbier-Punk drischt. Der ist so echt, da sollte man reinhören. Ganz kurz.

MISERABEL

Junge Männer, die wichtig sein wollen und anerkannt, die eine Freundin brauchen und Spaß, die sich nicht trauen und deswegen Kunst machen: HEADSWIM wären auf „Despite Yourself“(Epic) gerne Radiohead, schaffen mit ihrem verschwurbelten Intellekto-Pop aber leider nur Gentle Giant auf dem Niveau von Enigma. Metallern, die das erste Album schätzten, wird die Platte zu unentschlossen sein, Britpop-Fans ebenso.

Sie nörgelt, nölt, will alles und hält sich vermutlich für eine tolle Frau. Auf ihrem Album „Ten Days In November“ (Shanachie) klingt SUE FOLEY jedoch eher wie die Kellnerin eines schmierigen Diner, die sich vom Blues-, Folkund Country-Programm einer Jukebox inspirieren ließ und nun zeigt, was für eine coole Roots-Pop-Rock-Schnalle sie ist Einige Wochen später arbeitet die Amerikanerin dann wieder im Diner und nervt die Gäste, da sie allen erzählen muß, was für Scheißtypen (Männer!) die Kritiker sind.

Srumpfsinnge Menschen, die Rasen mähen und Auto waschen, die mit dem Auto zur Kneipe um die Ecke fahren und danach die Kinder auf dem Rasen anbrüllen, besorgen sich als Soundtrack den ereignislosen Mainstream-Rock, den sie schon früher gut fanden und den sie nun von HOOTIE & THE BLOWFISH auf „Musical Chair“ (eastwest) so hohl, dumpf und langweilig serviert bekommen, daß sie ihn gerade noch „geil“ finden können.

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