Short Cuts von Oliver Hüttmann

FORMIDABEL

Der Musikjournalist Michael Hess wählt für sein Label iXiXeS-records gerne Bands aus, die leidenschaftlich mit verhaltenem Gestus musizieren, und empfiehlt dann eindringlich: „Play it loud!“ Für Fink gilt das, die nun ins etwas geräumigere Nest von L’Age D’Or ausgeflogen sind, und auch für Hess‘ Kücken VERANDA MUSIC, die ähnlich assoziativ Folk und Country Music aufgreifen. Desweiteren versammelt ihr Album „Here’s To Them“ trabenden Bar-Blues und Bossa Nova, Songwriter-Elegien mit südamerikanischer Grandezza, Jazz-Fragmente und eine knarzige, dennoch elegante Low-Fi-Attitüde, wobei die Synthie-Sounds zuweilen eher stören. Zum Weinen schön strahlt eine melancholische Dynamik durch manche Songs, und das Stück „Boy, Girl, Canoe“ (wofür sie sich im Booklet unter anderem bei John & Yoko bedanken) taugt als Rock-Kracher – laut abgespielt!

Back to the roots ofrap music – zumindest bis in die goldene Ära der Native Tongues Anfang der Neunziger: Kaliforniens UGLY DUCKING rezipieren auf dem Debüt „Fresh Mode“ „Bad Magic/ PIAS) mit tollen Titeln wie „Einstein’s Takin‘ Off“ oder „Everybody C’Mon“ den Reimfluß von De La Soul sowie die Jazz-Attitüde und das suggestive Scratching von Gang Starr und dürfen die Jungk Brothers auf deren Europa-Tournee begleiten. Locker aufgeschichtete Loops, raffinierte Rhythmuswechsel, beachtliche Beats und die -trotz des minimalistischen Eindrucksreichhaltigen Melodien machen die elastischen Songs zu Geniestreichen.

Die Berliner MINA gehörten zu den Erwählten, die für die Peter-Thomas-Hommage „Warp Back To Earth“ einen Track aus Soundscapes des Filmkomponisten entwerfen durften. Kongenial dazu heben sie auf „Kryptonite „(Bungalow) mit epischen und forcierten Instrumentals ins eigene Universum ab, dessen verblüffende Einfalle sich im ersten Titel wie eine Sternenexplosion entfachern: Mit spacigen Electroklängen angereichert, hat JMinsc“ einen galaktischen Groove, der mit Gitarre, Schlagzeug und Orgel dennoch geerdet ist Captain Future für den Club.

AKZEPTABEL

„Moderner Alternativ-Gitarrenrock“ heißt derzeit das angesagte Ticket der Plattenbranche, auf dem nun auch Frankfurts SEESAW reisen dürfen, die sich bereits vor drei Jahren mit dem selbstproduzierten Album „Gas, Food, Lodging“ als Pop einordnen ließen. Auf ihrem Label-Debüt „Blue Lava Style“ (Double T/Sony)erklingen mit „Cloverleaf und „Smoke“ gleich am Anfang potentielle Singles, an denen natürlich nichts altematir ist, die mit geschrammelter Akkordik und bittersüßer Harmonik allerdings ganz dem Gitarrenpop entsprechen, wie er hierzulande verstanden wird. Plakativ, in der Stringenz jedoch weit aus besser als der ungefare Rest, der zuweilen zur biederen Fury-Folie neigt.

Im Wirken von DISJAM scheint eine Kategorie wie „Band“ überholt, selbst „Projekt“ trifft nicht exakt zu. Die vier Hamburger sind auch einzeln als Remixer. Songwriter oder Musiker ausgelastet Christoph Kahler etwa ist auch Schlagzeuger bei Veranda Music Gemeinsam haben sie bisher zwei Alben veröffentlicht und als Band der Fantastischen Vier zahlreiche Konzerte absolviert Als Rhythmusmacher betätigen sie sich auch auf „Hybrid Honey“ (5000 Records): Funk, House, Disco und Soundspielereien fließen ebenso tanzbar wie easy listening zusammen, nur das zündende Element fehlt Hamburgs DOPPELKOPF ist der erste Act auf dem HipHop-Label Hongkong des Fünf Sterne Deluxe-Mitglieds DJ Coolmann – allerdings ohne Spaß-Rap. Auf „Abseits“(Monitor/EMD arrangiert das Trio getragene bis zappendüstere Atmosphären und schwärende Sounds statt schunkelnde Beats zu eindringlichen Erzählungen. Ihre Art, wie sie in „Rapz vom Mond“ nuanciert Scratches, Samples und Stimmen einfließen lassen, hat viel Gespür und erinnert etwas an die Digable Planets. In „3-D“ rappen sie mit den Kollegen Sammy von Dynamite Deluxe und Dendemann von Eins/Zwo, und bei „Die fabelhaften Vier“ dissen sie, genau, die Stuttgarter Superstars. Ein Titel wie „Regen für immer“ ist immer klasse, auf Dauer allerdings wirkt der dunkle Groove leicht eintönig.

Ihr Album „The Great Milenko“war 1997 ein Hit Mit „The Amazing Jeckel Brothers“ (Mercury) würfelt das burleske Rap-Duo INSANE CLOWN POSSE aus Detroit aberwitzige Reime, Rhythmen und Rock-Samples zu Titeln wie „I Want My Shit“ oder „Mad Professor“ zusammen. Monströse Attacken zwischen Naughty By Nature, Cypress Hill und den Beastie Boys.

In Japan, seiner sadomasochistisch und schizophren zwischen Tradionalismus und Technik taumelnden Heimat, mußte HOTEI natürlich ein Superstar werden. Hier wird noch der stupideste Electronic-Krempel und obskurste Metal-Krach hemmungslos konsumiert Für die „Supersonic Generation“ (EMI) pumpt der Gitarrist ein Sperrfeuer aus Speed-Metal, Rock-Riffe, Mariachi-Melodien, Samurai-Pathos und Synthie-Sounds durch technoide Big-Beat-Kaskaden, als hätte er einen apokalyptischen Manga-Comic vertont und besingt mit „We All Alone“ dann eine unglaubliche Drum’n Bass-Ballade voll säuselnder Gitarren-Ornamenten und vor Kitsch triefenden Einsamkeitsassoziationen, daß man verwirrt seufzt bei derartiger Dreistigkeit Man muß Japan nicht kapieren.

Nicht minder bizarr ist der Wiedergänger Gabi Delgado, der mit Wotan Wilke als Duo DAF/DOS beharrlich tautologische Worthülsen raunt und dazu den Sequenzer reitet „Der DAF/DOS Staat“ (Vision Records/RTD) ist totes Techno-Tralala, durch das greinend der Geist fast schon vergessener Tanzriten wummert, in seiner putzigen Zitatenhaftigkeit aber schon wieder köstlich. Ach was, Delagdo hat das ja alles miterfunden! Sollte nach Japan gehen.

INDISKUTABEL

Dem Deutschrock nahe sind REISSFEST, deren Platte Jitnmer im Kreis“(Humbucker Music) gegen „Retortenbands“ und „Konservenmusik“ ins Feld geschickt und die also unverdrossen verbiestert ab Originale angepriesen werden. Kaum zu glauben, daß jemand deren Schlager-Metal und spätpubertäre Foto-Roman-Ergüsse wie in „Wenn sie will“ („Meine Hände, ihre Hüften, rieche mich tief in ihren Bauch/ Ersticke mich an ihren Küssen, und wenn sie will, dann sing ich auch“) mit Selig oder gar Element Of Crime verglichen hat Sagen wir mal: Klaus Lage, Clowns und Helden, Pur, Matthias Reim, Scorpions und eine Tonspur peinlicher.

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