Sonic Youth

Experimental Jet Set, Trash And No Star

Geffen

Sperrig, kurz, ein Klang wie ein Demotape: Dennoch war'Experimental Jet Set, Trash And No Star' das bis dahin erfolgreichste Album von Sonic Youth

Ob den Musikern von Sonic Youth ein Erfolg in den Charts wichtig gewesen ist? Anfang der Neunziger wechselte die wichtigste Alternative-Band der Achtziger zum Major-Label „Geffen Records“ und verordnete sich auf „Goo“ (1990) sogleich eine Kur in Sachen Konzentration: saubererer Klang sowie geordnete Arrangements. Als dann den Zöglingen Nirvana mit „Nevermind“ ein Millionenseller gelang, der alle vergleichbaren Underground-Bands mit einem Ruck ins Rampenlicht stellte, reagierten auch Sonic Youth schnell: Mit Butch Vig engagierte man den „Nevermind“-Produzenten, das Ergebnis war „Dirty“ (1992): Pop mit sorgfältiger eingesetztem Feedback, dazu Singles wie „100%“ und „Youth Against Fascism“, die wie Slogans auf ihre Fans wirkten. Nur wurde das achte Studioalbum der New Yorker dennoch nicht zum Charts-Vehikel.

Umso erstaunlicher, dass Sonic Youth ausgerechnet mit „Experimental Jet Set, Trash and No Star“ 1994 ihre bis heute erfolgreichste Platte gelingen sollte: Platz 10 in England, immerhin 34 in den USA. Die Single „Bull In The Heather“ brachte es in den britischen Charts gar unter die Top 25. Eine Ironie, der beste Beweis dafür, dass sich Erfolg nicht planen lässt. Denn „Experimental …“ war beim ersten Hören so wenig zugänglich wie sonst nur ihr LP-Debüt „Confusion is Sex“ von 1983. „Tokyo Eyes“ hat keinen Refrain, sondern erinnert an den zufälligen Mitschnitt einer Dauerschleife; in „Quest For The Cup“ bedient sich die Band erstmals einer Struktur, die sie fortan immer wieder aufgreifen würde – ein Song ohne klassisches Strophe-Refrain-Schema, sondern ein Gebilde aus drei verschiedenen, aufeinander folgenden Melodieabfolgen. Und dann gab es Coitus-Interruptus-Nummern wie „Starfield Road“, das nach einem Feedback-Aufbau und zwei Strophen einfach abbricht. Das Lied ist unfreiwillig symptomatisch für den heutigen, schwebenden Zustand der Band – nach der Trennung der Ehe-Leute Kim Gordon und Thurston Moore ist die Zukunft von Sonic Youth offen und unbesprochen, und „Starfield Road“ wurde auch beim letzten Konzert 2011 in Brasilien, als die Pause längst feststand, gespielt.

Die Aufnahmen von „Experimental …“ sollen schwierig verlaufen sein. Zwar behielten die vier Musiker Butch Vig als Produzenten, aber es gab Spannungen innerhalb der Band. Erstmals sang Gitarrist Lee Ranaldo kein Lied mehr auf einer Sonic-Youth-Platte; der Album-Titel war das Ergebnis einer Charakter-Beschreibung der Protagonisten, deren Individualität noch betont wurde: Ranaldo stand für „Experimental“, Kim Gordon verkörperte den „Jet Set“, Thurston Moore war für „Trash“ zuständig, der etwas schüchtern wirkende, aber laut hämmernde Drummer Steve Shelley war „No Star“.

Als das Werk im Mai 1994 erschien, war Kurt Cobain seit vier Wochen tot. Die Aufnahmen zu „Experimental …“ waren längst abgeschlossen, Verweise auf den Nirvana-Sänger konnte man da vergeblich suchen. Erst auf „Washing Machine“ von 1995 kamen die Bezüge, etwa auf „Junkie’s Promise“ oder „No Queen Blues“. Möglich bleibt dennoch, dass der Erfolg von „Experimental …“ auch mit dem Selbstmord Cobains zu tun hatte. Fans suchten darauf nach Antworten und Beistand.

Für Sonic Youth aber stand vor 20 Jahren nicht der Tod im Vordergrund, sondern ein neuer Lebensabschnitt. Moore, 36, und Gordon, 41, erwarteten im Juli ihr erstes gemeinsames Kind. Das Booklet des ein Jahr später veröffentlichten „Washing Machine“-Albums zierte ein Haus im Grünen, mitten im Bauprozess, vielleicht der Wohnort für die junge Familie.

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