The Beatles

Live At The BBC

Parlophone (EMI)

Jedesmal, wenn jemand „Sgt. Pepper“ kauft, spuckt er auf das Grab von Eddie Cochran, um Billy Miller, den Herausgeber von „Kicks“, zu paraphrasieren. Ebenso wahr ist: Wer „Live At The BBC kauft, legt eine Rose auf Eddies letzte Ruhestätte (und ein paar Cents in Little Richards Klingelbeutel).

Schlicht atemberaubend, das Tempo musikalischer Entwicklung in den Mid-Sixties. Ganze drei, vier Jahre liegen zwischen diesen kruden, kratzigen Rock’n’Roll-Blueprints und den studiotechnischen Eskapaden und Experimenten der „Lonely Hearts Club Band“, die den Grundstein legten für all den Pomp und Circumstance der Siebziger. Und die dem geliebten Rock’n’Roll damit (beinahe) den Garaus machten.

Wenn es noch eines solchen Liebesbeweises bedurft hätte, dann liefern ihn die BBC-Sessions. Gerade, weil die Fab Four nur leidlich enthusiastisch und letztlich leidenschaftslos in die Saiten hauen, wird klar, wie gründlich sie den Rock’n’Roll der Fifties internalisiert hatten, wie allzeit präsent er ihnen war.

Vergessen wir nicht: Die Beatles waren Teddy Boys, bevor sie in schwarzem Leder posierten und lange, bevor sie Brian Epsteins fürsorgliches Kalkül in diese feschen Trachten-Jankerl steckte, die die Omas der ganzen Welt mit Beatles-Musik versöhnten. Die Beatles waren live so lausig, daß nur der Klangteppich kreischender Fans, der sich gnädig über ihre Musik legte, sie davor bewahrte, sich unsterblich zu blamieren.

Natürlich gab es bessere Live-Combos und ganz gewiß überzeugendere Interpreten der Songs von Chuck Berry und Buddy Holly. Ein paar Essentials gingen verloren beim Transfer vom Mississippi zum Mersey. Doch die Beatles hatten diese Musik auf ihre eigene Weise durchlebt und durchlitten, im „Cavern“ und im „Kaiserkeller“. Sie mußten lernen, daß es oft ratsamer ist, das Publikum zu bedienen als sich selbst.

Exakt das tun sie hier, mit Bravour. Nehmen wir als Beispiel die Carl-Perkins-Songs, allesamt keine Meisterwerke. John Lennons Version von „Honey Don’t“ ist nicht nur um Klassen besser als Ringos drolliges Geknödel auf „Beatles For Säle“, sondern bestätigt auch seinen Rang als Rock’n’Roll-Sänger extraordinaire. Der gern ob seiner Bubihaftigkeit geschmähte Paul McCartney wackelt ein wenig auf „Sure To Fall“, fällt aber nicht und trifft am Ende genau den richtigen Ton. Dasselbe läßt sich von George Harrison nicht behaupten. Auf „Glad All Over“ trifft er nicht einmal die richtige Tonart.

Doch das tritt völlig in den Hintergrund angesichts der geradezu ehrfurchtsvollen Haltung, die der stille Beatle auf diesem Doppel-Album einnimmt gegenüber den Rock’n’Roll-Greats, deren Material er durchaus gekonnt kopiert. Der sklavische Umgang mit Klassikern ist nicht unsympathisch, grenzt aber bei einigen Songs wie „Don’t Ever Change“ (sie!) an Selbstverleugnung. Wenn es stimmt, daß Arroganz ein konstitutives Moment ist für großen Rock’n’Roll, dann sind die Beatles so weit davon entfernt wie Pat Boone.

Auf der anderen Seite gilt: hörses for courses. Und die Rennbahn hier heißt BBC. Von Gesetzes wegen gezwungen, nur sehr wenig Musik von Konserve zu spielen (needle time restrictions) und somit den Großteil des Programms aus Live-Aufhahmen zu bestreiten, holte man sich über Jahre alles ins Broadcasting House, was ein Instrument zum Klingen bringen konnte. Immer argwöhnisch überwacht von der Musiker-Gewerkschaft. Deren Kontrolle entging nichts – und es ist dieser Umstand mehr als alles andere, dem wir das unerwartete, späte Glück früher Beatles-Live-Aufhahmen verdanken (auf Bootlegs gibt es sie schon seit 1978, jedoch in minderer Qualität).

Was die Beatles davon abhielt, beherzt und frei aufzuspielen, war also der Charakter einer Radio-Show. Die alte Tante BBC erwartete sauberes Auf-Nummer-Sicher-Spielen und ein möglichst buntes Repertoire. Beides nicht unbedingt Garanten für aufregende Musik. Johnpaulgeorgeandringo konnten damit dienen, Niveau-Schwankungen aber unmöglich verhindern. Eddie Fontaines „Nothin‘ Shakin'“ und Dorsey Burnettes „Lonesome Tears In My Eyes“ zeugten von Geschmack, und selbst wenn der gänzlich über Bord ging wie bei dem treudoofen „Honeymoon Song“, sehen wir vor unserem geistigen Auge Johns ironisches Augenzwinkern und verstehen: Der BBC gefällt’s. Ebenso wie einige Hits des Tages von den Shirelles bis Little Eva, ein von den Beatles bis dato unbekanntes, unbedeutendes Lennon/McCartney-Lied, das nur die B-Seite einer Single von Billy J. Kramer & The Dakotas geziert hatte. Und dazwischen Liverpudlischer Schuljungen-Humor der harmlos-charmanten Art. Die alte Tante BBC schmunzelt. Ohne die Historizität dieser Aufnahmen überstrapazieren zu wollen: Wir begegnen hier den Beatles am Scheideweg, in einer Phase, als sich Rock’n’Roll aufmachte, etwas anderes zu werden: Rock. Ein Parvenü. Die BBC-Sessions geben unseren Pilzköpfen noch mehrmals Gelegenheit zur Rückbesinnung.

Da es aber kein Zurück mehr gab, nutzten die Beatles ihre BBC-Verpflichtungen dazu, ungeniert und emphatisch ihre Herkunft zu feiern. In gloriosem Mono. Während sie gleichzeitig, im Kräftegleichgewicht mit ihren Antipoden, den Stones, bereits die Musikwelt revolutionierten und manche sagen – befreiten. Vor den Mikros der BBC konnten sie diese Bürde, Bannerträger ihrer Generation sein zu müssen, ein letztes Mal auf Zeit abstreifen. Noch einmal waren sie eine Band, oder besser: eine Gruppe. Ein Bündel Energie. Keine Studio-Laboranten, keine Ideen-Fabrikanten, keine Künstler. Waren die Beatles von „Twist And Shout“ und „Ticket To Ride“, von „Lire At The BBC“ und „A Hard Day’s Night“, von 1962 bis 1965 die besseren Beatles? Yeah!Yeah!Yeah!