The Knife

Shaking The Habitual 

Rabid/Cooperative

Dunkel und kalt, verhüllt und verzerrt: Das schwedische Geschwisterduo The Knife ist zweifellos eine der prägendsten Bands des vergangenen Jahrzehnts. Auf ihrem Album „Silent Shout“ (2006) verbanden Karen Dreijer Anderson und Olof Dreijer kalte Elektrobeats mit einfallsreich verzerrtem, gefiltertem oder sonstwie manipuliertem Gesang; rätselhafte Geräusche von exotischen Instrumenten sorgten zudem für eine archaisch-rituelle Grundstimmung. Bei ihren Konzerten spielten The Knife wahlweise im Dunkel oder verhüllten ihre Gesichter mit Schnabelmasken oder in schamanistischen Büffelkuhköpfen. Den generellen Trend zu Neo-Goth, Doom und immer finsterer werdendem Techno nahmen sie damit ebenso vorweg wie die neue Schule der „voice processing girls“ von Poliça bis Grimes.

Nach sieben Jahren bringen The Knife nun (abgesehen vom Soundtrack für eine Charles-Darwin-Oper 2010) erstmals wieder ein neues Album heraus, und man sagt nicht zu viel, wenn man sagt, dass „Shaking The Habitual“ seinen Vorgänger an Strenge, Mut und Schönheit noch einmal übertrifft. Schon der schiere Umfang des Werks setzt The Knife vom Feld ihrer Nachahmer ab. Auf drei LPs befinden sich neun Lieder, von denen vier im Zehn-Minuten-Bereich liegen. Gar 20 Minuten dauert das Epos „Old Dreams Waiting To Be Realized“, das sich dafür auch nur äußerst allmählich aus einem glockenhaft schwebenden, kalt hallenden Ton entfaltet. Irgendwann gesellt sich ein klitschedi-klatsch-machender Rhythmus dazu, der klingt, als hätte ein Stepptänzer ihn in einer Tropfsteinhöhle getreten. Oder ist es ein Fledermausküken, das äußerst verwirrt immer wieder gegen eine Glasscheibe knallt?

So wechseln epische Instrumentalpassagen noch öfter mit virtuos und variationsreich gebastelten Beats. In „Raging Lung“ weht zu trocken klackernder Holzpercussion und sich bedrohlich dem Hörer entgegenwölbenden Bassblasen eine Ahnung von Steeldrums durch den Klangraum; auf „Old Dreams…“ und „Stay Out Here“ hört man zeitlupenhaft heruntergepitchte und zugleich wie in Watte gebauschte Beats, die man auch von neueren Goth-Techno-Künstlern wie Andy Stott oder Raime kennt.

Die besten Stücke sind aber jene, die den Gesang von Karen Dreijer Anderson in den Vordergrund rücken und dann auch sogleich wieder aus diesem entfernen. Fantastisch, wie sie etwa in „Full Of Fire“ zu stolpernd-verzerrten Beats, wimmernden Chören und einer offenbar auf einer Luftballonhaut getuteten Melodie hechelt und singt; oder wie sie in „Without You My Life Would Be Boring“ ihren leiernden, ziegenhaft meckernden Gesang in Kuckucksflötentexturen und Gamelanrhythmen fügt. Doch ist es gar nicht die technische Kunstfertigkeit, die „Shaking The Habitual“ so aufregend macht. Es ist vielmehr die erstaunliche Kraft zur musikalischen Mythisierung. So wie The Knife sich noch die schrägsten und exotischsten Klänge mühelos anzueignen verstehen – so lassen sie, was doch am Vertrautesten ist, fremd und bedrohlich erscheinen.