Tipp: D. T. Max :: Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte: David Foster Wallace. Ein Leben

Sechs Jahre nach seinem Selbstmord blüht der Geniekult um David Foster Wallace. Mindestens drei große Biografien, dazu Interview-Bände und Selbstzeugnisse heben den Dichter in den Rang der literarischen Generationssensation. In Deutschland werden Bändchen mit Essays, gar einer Rede übersetzt. Als Wallace noch lebte, waren Elogen selten: Vom Literaturbetrieb und von der Kritik wurden die frühen Erzählungen, auch der Roman „Der Besen im System“ skeptisch aufgenommen, routinemäßig verwies man auf Thomas Pynchon und Don DeLillo, und das Hauptwerk, „Unendlicher Spaß“, wurde 1996 als großer Wurf gefeiert, aber kaum gelesen – wie auch anders bei mehr als 1.000 Seiten?

D. T. Max, selbst Schriftsteller, war bei der Verlagsfeier zur Veröffentlichung von „Unendlicher Spaß“ in New York, wo David Foster Wallace mit „schmuddeligem Hemd“ und „trutschiger Brille“ im Scheinwerferlicht stand. Er hat niemals mit ihm gesprochen. Doch Max unterwarf sich – wie der Titel der Biografie andeutet – einer Liebesarbeit, er sprach mit den Eltern, den Freunden, den Geliebten, den Dozenten und Kollegen des geplagten Phobikers und verfolgte die Spuren bis in die Maisfelder von Indiana, wo David Wallace eine unbelastete Kindheit mit seinen Eltern – beide Universitäts-Dozenten – und seiner jüngeren Schwester verbrachte. Sally und Jim Wallace lagen, so erzählte David es später, händchenhaltend im Bett und lasen einander aus dem „Ulysses“ vor; die Mutter war etwas empfindlich beim Sprachgebrauch: „Wenn jemandem am Esstisch ein Grammatikfehler unterlief, hustete sie so lange in ihre Serviette, bis der Sprecher seinen Fehler bemerkte.“ So wurde ein „eingefleischter Syntax-Fanboy“ aus David, der Mädchen in der Mensa bei falschen Begriffen korrigierte.

Als Pubertierender war Wallace ein begabter Tennis-Spieler (später schrieb er über die Kunst des Roger Federer einen Essay), er rauchte immerzu Marihuana und begeisterte sich für Fernsehserien. Recht ungern verließ er Mutters Rockzipfel und zog nach Massachusetts, wo er – wie zuvor sein Vater – am College von Amherst studierte. Jim Wallace wollte er ebenso übertreffen wie seinen Freund Mark Costello; in einem Zirkel von Nerds beschäftigte man sich mit „Wittgenstein, dem New Deal, Cantor, Tagespolitik, Descartes, scharfen Mädchen, Kant usw.“. Nach Depressionsschüben kehrte Wallace für eine Weile in sein Elternhaus zurück, bekam Navril, erholte sich, betrachtete die Tuchfühlung mit Frauen als „physikalisches Problem“, wurde der beste Student von Amherst und reichte zwei Abschlussarbeiten ein: eine philosophische Studie und den Roman „Der Besen im System“; beide wurden mit der Bestnote bewertet.

Obwohl sie sein Talent erkannten, waren nicht alle Dozenten eingenommen für Wallace: Der Autor David Lelchuk, der das Seminar für kreatives Schreiben leitete, fand Wallaces Erzählungen reichlich verblasen. Wallace lehnte die minimalistische Raymond-Carver-Schule ebenso ab wie die Brat-Pack-Romane von Bret Easton Ellis und Jay Mc-Inerney, die ihn freilich dennoch beeindruckten.

In Tucson/Arizona unterrichtete Wallace, fand eine Muse, schrieb wie ein Besengter mit Bic-Kugelschreibern, alles ging ihm leicht von der Hand. Er schickte Briefe mit Fragen an Don DeLillo und lernte Jonathan Franzen kennen, der noch nicht der berühmte Autor der „Korrekturen“ war. In Syracuse und in Bloomington lebte Wallace mit Freundinnen zusammen, aber an Franzen schrieb er: „Ich muss der Tatsache ins Auge sehen, dass ich meiner Veranlagung nach vielleicht nicht fähig bin, eine intime Verbindung zu einer Frau aufrechtzuerhalten, was heißt, dass ich entweder schrecklich oberflächlich bin, geistig gestört oder beides.“

Wallace schrieb viel für Zeitschriften, darunter „Harper’s“, „New Yorker“ und „Atlantic Monthly“. Eine Auftragsarbeit war „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“, die funkelnde literarische Reportage über eine Karibik-Kreuzfahrt, die in Deutschland auf Wallace aufmerksam machte. Die Phasen der Depression wurden länger, als er am College im kalifornischen Claremont unterrichtete. Die Künstlerin Karen Green malte ihn als „Die depressive Person“; nach dem Ende ihrer Ehe empfahl er sich mit dem Satz „Ich bin dein Experte für fiese Männer“ und mit einer Reihe von nummerierten „Düsteren Briefen“. Noch immer nahm er Navril, dessen Nebenwirkungen ihn schwächten und müde machten, weshalb er nicht schreiben konnte. Seinen Roman „Der bleiche König“ brachte er nicht mehr zusammen, immer wieder sortierte er Fragmente neu.

In seinem letzten Jahr ließ David Foster Wallace das Navril ausschleichen, lehnte Arbeiten über Barack Obama und die Olympischen Spiele ab und suchte bei „Dr. House“ nach Krankheiten, die er vorschieben konnte. Am Abend des 12. September 2008, als Karen bei einer Vernissage war, stieg er auf einen Stuhl und erhängte sich.

In der Garage hatte er 200 Seiten vom „Bleichen König“ ordentlich drapiert. (Kiepenheuer & Witsch, 24,95 Euro)

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