Tipp: Die geliebten Schwestern :: Regie: Dominik Graf

Warum braucht Deutschland noch einen Film über Schiller? Das könnte man angesichts „Die geliebten Schwestern“ fragen. Aber das ist natürlich großer Unsinn, wenn man mal genauer hinschaut. Denn Schiller schreibt besser, klüger und viel zeitgemäßer als etwa Goethe, der überschätzte Rockstar der literarischen Klassik, zudem war er ein echter Intellektueller, und der heilige Johann Wolfgang nur ein eitler Staatsliterat und Salonlöwe. Aber die Frage stellt sich gar nicht. Denn Historisches kommt zwar schon vor, aber wie jedes gutes Kostümdrama ist dies ein vollkommen aktueller Film: über uns, über Sex und Pop und Celebritykultur und eine Medienrevolution.

Wie soll man sich zwischen Weisheit und Glut entscheiden können? Das ist die Frage. Sie müssen beide gleich faszinierend gewesen sein, schön und klug, charmant und leidenschaftlich, diese beiden Schwestern Charlotte und Caroline von Lengefeld. „Weisheit“ und „ Glut“ waren die freundschaft­lichen Code- und Kosenamen, die ihnen immerhin kein Geringerer gab als der Dichter Friedrich Schiller, als er sie in dem stürmischen Sommer 1788 kennenlernte und sich Hals über Kopf in sie verliebte – in beide. Das war aus vielerlei Gründen problematisch: Schiller war nicht nur ein rebellischer Pop-Autor seiner Zeit und politischer Unruhestifter, sondern vor allem ein armer Poet, der den Fräulein von Stand nicht das bieten konnte, was in puncto materielle Sicherheit erwartet wurde. Zudem war Caroline bereits verheiratet, wenn auch unglücklich; Charlotte, die Jüngere, die als Hofdame in Weimar engagiert war, sollte eigentlich eine bessere Partie machen. Trotzdem wurde sie dann 1790 Schillers Frau, nachdem der als Geschichtsprofessor in Jena nun auch immerhin über ein festes Einkommen verfügte.

Der deutsche Film- und Fernsehregisseur Dominik Graf („Im Angesicht des Verbrechens“, „Der rote Kakadu“) erzählt die Geschichte dieser Liebe zu dritt. Sie ist im Wesentlichen historisch verbürgt, Graf nimmt sich nur in den Details Freiheiten. Daraus ist ein hochspannender, emotional mitreißender und vor allem absolut moderner Film geworden, der gleichermaßen von der Liebe erzählt wie von der Kunst. Denn Graf nimmt die ganze Epoche in den Blick: Er zeigt, wie Goethe, als „Gigant von Weimar“, gewissermaßen schon der alternde Rockstar aus den Jugendtagen der Vierzigjährigen, erstmals auf den jungen aufstrebenden Glam-Helden Schiller trifft, den er schätzt, neben dem er aber auch endgültig wie von gestern aussieht. Er zeigt, wie beide Literaten für ihre Zeitgenossen Celebrities waren, deren Anwesenheit für Menschenaufläufe und Nervenkrisen sorgte: Frauen fielen beim Anblick der Poeten in Ohnmacht oder sogar aus dem Fenster.

„Die geliebten Schwestern“ ist ein wunderbares, faszinierendes, sehr authentisches Zeitbild, in dessen Hintergrund die Französische Revolution tobt, sich aber auch eine Medienrevolution ereignet: Gipsplatten machen plötzlich Massenbuchdruck möglich: Die moderne Zeitung wurde erfunden. Und  auch die Kommunikation lief fast in Chat- oder Kurzmitteilungsgeschwindigkeit: Der Postillon kam bis zu zwölf Mal am Tag, und so schmierte und kleckste man laufend das Büttenpapier voll, parfümierte seine intimen „Noten“ noch höchst passioniert, und schickte sie versiegelt von Haus zu Haus, Straße zu Straße. Graf zeigt diesen rasanten, so knappen wie pathetischen Austausch immer wieder in Großaufnahme: kaum leserlich, doch aus der Schrift kommt die Emotion – manchmal überschlägt sich die Kommunikation, es wird durcheinandergeschrieben, durcheinandergeredet, und Graf montiert diesen wilden Austausch zu einem virtuosen Taumel der Worte.

Im Zentrum steht aber das Verhältnis der Schwestern und eine überaus progressive Liebes­utopie: die „ménage à trois“. Trotz aller Zwänge erscheinen diese Menschen auch im Vergleich zur Gegenwart überaus frei und innerlich unabhängig. Durchweg überzeugen auch die Darsteller: Hannah Herzsprung und Henriette Confurius als Schwestern, Florian Stetter als junger Schiller. Filmisch orientiert sich Graf erkennbar an französischen Vorbildern, besonders an François Truffaut: Sicher denkt man bei dieser Konstellation zunächst an „Zwei Mädchen aus Wales“ oder sogar „Jules und Jim“, doch auch „Das grüne Zimmer“ wäre eine zulässige Referenz.

„Die geliebten Schwestern“ ist das Gegenteil des gediegenen Historienkinos – irgendwann dann ist der Punkt erreicht und der Film könnte ewig so weitergehen; man möchte nicht, dass er endet, so wie man nicht möchte, dass das Leben und die Liebe zu Ende gehen.

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