Tipp: Nic Pizzolatto :: Galveston

Roy Cady, der Ich-Erzähler des im Original vor vier Jahren erschienenen Romans „Galveston“, hat nicht nur dieselben Initialen wie der „True Detective“ Rustin „Rust“ Cohle aus der zurzeit allerorten gefeierten gleichnamigen HBO-Serie – beide stammen auch ursprünglich aus Texas, beide verschlägt es schließlich nach Louisiana, beide sind schwere Trinker und nihilistische Einzelgänger. Vielleicht nicht weiter verwunderlich, wenn man weiß, dass beide zudem demselben Kopf entsprungen sind. Dem des 1975 in New Orleans geborenen Drehbuchautors und Schriftstellers Nic Pizzolatto nämlich.

Anders als dem von Matthew McConaughey gespielten Ermittler ist dem Protagonisten seines ersten Romans allerdings nicht besonders viel daran gelegen, Verbrechen aufzuklären – im Gegenteil: der einsilbige Schlagetot begeht selbst welche, wenn auch nicht im großen Stil – dafür mangelt es ihm nämlich an Ehrgeiz.

Soeben, wir schreiben das Jahr 1987, hat er erfahren, dass er an Lungenkrebs erkrankt ist. Wie viel Zeit ihm bleibt, weiß der Schuldeneintreiber nicht. Seinem in New Orleans ansässigen Boss Stan, der ein Verhältnis mit Roys Ex-Freundin hat, wäre es ohnehin lieber, er würde sofort ins Gras beißen. Doch als Roy in einen Hinterhalt geschickt wird, stellt sich heraus, dass in dem Todgeweihten noch jede Menge Leben steckt – zum Leidwesen jener, die ihm den Garaus machen sollen.

Aus dieser wüsten Szene rettet er auch die linkische Prostituierte Raquel, die alle nur Rocky nennen. Gemeinsam mit ihr und ihrer dreijährigen Schwester Tiffany, die sie aus den Fängen ihres Stiefvaters befreit, flieht Roy nach Texas, wo er glaubt, in seiner Vergangenheit eine bessere Zukunft zu finden. Dass er seine nahezu vollständige Sammlung von John-Wayne-Filmen auf Videokassetten zurücklassen muss, bricht ihm das Herz; im Auto legt er ein Roy-Orbison-Tape ein. Die alte Leier also: harte Schale, weicher Kern. 20 Jahre später, als er nur noch auf die Ankunft von Hurrikan Ike wartet, bekommt er dann überraschend Besuch. Von jemandem, der die Wahrheit über Rocky erfahren will.

Wie es sich für einen Roman im Stile des hartgesottenen Noir-Krimis gehört, ist auf jeder Seite spürbar, dass die gesamte Angelegenheit nicht gut ausgehen wird. Und auch wenn der Herausgeber und Übersetzer der deutschsprachigen Ausgabe, ROLLING STONE-Kolumnist Gunter Blank, in seinem Nachwort betont, wie schwammig dieses Genre seit jeher definiert wird – als Hauptmerkmale gelten laut dem französischen Kritiker Nino Frank „die Abwesenheit, ja Zurückweisung ‚sentimentalen Humanismus‘‚ ,sozialer Phantastereien‘ und die ‚Dynamik des gewaltsamen Todes‘“.

Und Pizzolatto weiß ganz genau, in welche Tradition er sich mit „Galveston“ einreiht. Vielleicht sogar ein wenig zu genau. Denn die lakonischen bis zynischen Selbststilisierungen des Protagonisten wirken bisweilen wie angelesen, wie Versatzstücke aus Klassikern des Neo-, Southern- oder Country-Noir. An den gleichermaßen desillusionierenden wie mitfühlenden Stil eines Daniel Woodrell („Winters Knochen“, „In Almas Augen“) oder die existenzielle Tiefgründigkeit eines James Sallis, etwa in „Der Killer stirbt“, reicht Pizzolattos Prosa daher nicht heran. Seine „L’aventure criminelle“ (Nino Frank) wirkt dagegen in ihrem Fatalismus stellenweise ein bisschen konstruiert.

„True Detective“ vermittelte zwar in der ersten Staffel eine ganz ähnliche Weltsicht, tat das allerdings schon wesentlich subtiler und überzeugender. Das liegt sicher zu einem großen Teil auch daran, dass dem düsteren, misanthropischen Rust Cohle der offenherzige, gottesfürchtige Familienvater Martin Hart, dargestellt von Woody Harrelson, gegenübergestellt wird. Durch diesen Gegenpol erscheinen Cohles sarkastische Bonmots nicht wie in Stein gemeißelt, nicht wie Staffage.

Roy Cady wirkt dagegen wie eine unfertige Skizze, „Galveston“ wie eine Vorstufe zu „True Detective“, das freilich den Vorteil hat, manch hölzerne Dialogzeile durch schauspielerische Glanzleistungen wettzumachen. Das Erzählen auf mehreren Zeitebenen, die triste, stets latent gewalttätige Atmosphäre, das heruntergekommene Ambiente, die knochentrockenen Philosopheme – alles also, was einen Gutteil der Faszination dieser wunderbaren Fernsehserie ausmacht, ist allerdings in dem Roman bereits angelegt, kommt nur noch nicht gänzlich zur Entfaltung.

„Galveston“ ist daher durchaus ein guter Roman, ein lohnender Zeitvertreib beim Warten auf die zweite „True Detective“-Staffel (in der es ja leider keinen Rustin Cohle mehr geben wird), aber keine literarische Offenbarung, kein Meilenstein des Genres. Ob die Geschichte eine geeignete Vorlage für einen Kinofilm abgibt, wird sich demnächst herausstellen. Pizzolatto selbst hat das Drehbuch geschrieben; der hierzulande noch nicht allzu bekannte Matthias Schoenaerts („Der Geschmack von Rost und Knochen“) soll die Hauptrolle übernehmen. Vielleicht macht der belgische Schauspieler unter der Regie des Dänen Janus Metz Pedersen aus dem noch etwas papierenen Roy Cady ja mir nichts, dir nichts einen glaubhaften und lebendigen Charakter. Zum Beispiel einen sympathischen Unsympathen wie Rustin Cohle. (Metrolit, 20 Euro)

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