Tomte

Buchstaben über der Stadt

Grand Hotel Van Cleef

Gitarrenkunst mit emotionaler Intelligenz, manchmal aber auch mit Kitsch

Wenn schon die „Tagesthemen“ über das neue Album der Gruppe Kettcar berichten, dann sind das zweifellos gute Jahre für den deutschen Rock. Obwohl die ARD dieses Album natürlich nicht richtig erklärt, und obwohl Kettcar und Tomte, die Gründer der Hamburger Plattenfirma Grand Hotel Van Cleef, auch schon in Jugendhaus-Tour-Zeiten so gut waren. Damals, als die Sportfreunde Stiller noch auf denselben Matratzen schliefen, wurde der Grund gekachelt für die junge, perfekte Gitarrenwelle, die jetzt auch uninteressierte Musikhörer erreicht: Mit der sogenannten „Hamburger Schule“ hat das alles nämlich wenig zu tun. Der Zynismus und die intellektuelle Kampfbereitschaft von Tocotronic oder Blumfeld gehen den neuen Stars vollkommen ab, das macht sie beliebter.

Und das muß im Prinzip nicht schlecht sein. „So soll es sein“ von der vierten Tomte-Platte (gleichzeitig der ersten, die in die Top Ten gehen wird) beispielsweise ist ein halbdunkles Glanzlicht, ein mit tausend Gitarrensaiten dahinpreschender Glüh-Song über die Suche nach dem erfüllten Leben, zutiefst naiv und trotzdem von einer dunklen Vorahnung überschattet. Exakt der Punkt, an dem sich die Traditionsstränge Deutschrock und gefühlige Liedermacherei berühren. Viele trauen das dieser stoffeligen Band nicht zu, doch das ist echt eine Leistung: Lieddichter und Sänger Thees Uhlmann hat ein stolzes, aber verletztes Herz, und wann gibt ein Fußballer schon zu, Angst vor dem Tod zu haben?

„Was den Himmel erhellt“ handelt vom selten besungenen Gefühl, mit einem alten Wohnort auch ein Stück eigene Geschichte zu verlieren, „Warum ich hier stehe“ von der Qual, für Daseinsprobleme sensibel zu sein, die andere gar nicht bemerken, und in „New York“ wird die Traurigkeit besonders schöner Momente erklärt – weil man schon ahnt, wie man sie vermissen wird. Ein empfindsames, nicht bruchsicheres Weltbild, emotional hochintelligent, und zum Glück riskiert Uhlmann Mißverständnisse, erzählt die Geschichten nur halb, während die Band zeigt, wie wundervoll Sachen klingen können, die man irgendwann auf der Klampfe zusammengeschrubbelt hat: mit gleißenden Unter- und Übermelodien, durchscheinend, ganz unverzerrt, als ob die Smiths „Golden Brown“ von den Stranglers spielen. Die Streicher-Arrangements registriert man kaum, denn das ist Gitarrenkunst, kein krausnasiger Indie-Rock.

Schwierig wird es dann, wenn Sänger Uhlmann die Stimme ins ganze Pathos kippen läßt, wenn er „Bittää blaaaib!“ singt – das ist meistens ein Zeichen dafür, daß er die Grenze zum Gefühlskitsch übertritt, die immer nahe lag, aber erst auf „Buchstaben über der Stadt“ einige Male ganz empfindlich verletzt wird. Der Versuch, in „Walter & Gail“ rührend über ein altes Paar zu singen, gerät zur schweren Schnulze, und wenn Uhlmann über unruhig schlafende Kinder und händchenhaltende Senioren dichtet, über das „Land mit gekränktem Herz“ namens Amerika und die Frage, woher wir kommen und wohin wir geben, dann wünscht man ihm für einen Moment den Welt- und Menschenekel eines gestandenen Thomas-Bernhard-Lesers.

Nur für einen Moment, denn eine tolle Band wie Tomte irgendwann an die Kindergottesdienst-Industrie zu verlieren, das wäre noch trauriger als die traurigsten Lieder dieser Platte.