Robert Forster und Grant McLennan von den Go-Betweens pflegen ein besonderes Verhältnis zu ihren Erinnerungen und der Vergangenheit der Band

In der Morgendämmerung wacht Robert Forster auf. Verwirrt. „Wo bin ich?“ Wie dem Protagonisten im ersten Kapitel von Marcel Prousts Romanzyklus über die Subjektivität des Erinnerns, „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, bietet ihm das Gedächtnis seines Körpers nacheinander eine Reihe von Zimmern an, in denen er schon geschlafen hat: das Gemach in seinem „German farmhouse“ bei Regensburg, Anfang der 90er Jahre, die Jugendkemenate in der Golding Street in Toowong, Brisbane mit den Jean-Paul-Belmondo-, Che-Guevara- und Bob-Dylan-Postern, wo er mit seiner Band, den Go-Betweens, erste Songs aufnahm. Das Zimmer im Hotel in Portland, vor dem schon das Taxi zum Studio wartete, in dem er mit seinem musikalischen Partner Grant McLennan nach zwölf Jahren Pause das grandiose Comeback der Band, „The Friends Of Rachel Worth“, einspielte, eine Stube im noblen dreistöckigen Haus am St Charles Square in London, wo sie im Sommer 1982 die Songs für ihr erstes Meisterwerk „Before Hollywood“ schrieben…

Als erste Lichtstrahlen den Raum erhellen, stellt er fest: Die Wände sind in hellem Gelb und hellem Orange gestrichen. Er liegt im Zimmer seines Sohnes, das er im März des vergangenen Jahres so gestrichen hatte, nachdem er mit seiner Familie aus Regensburg, dem Heimatort seiner Frau, zurück nach Australien gezogen war. Die Farbwahl rührte wohl von der unbewussten Erinnerung an ein Bild des befreundeten Künstlers John Nixon, das dieser ihm zur Geburt seines Sohnes geschenkt hatte.

Der Umzug in die alte Heimat war dagegen eine überaus bewusste Entscheidung, die ihn wieder näher an seinen Freund und zweiten Songschreiber der Go-Betweens Grant McLennan rücken sollte. „Bei ,Rachel Worth‘ war es schön, sich einfach für ein paar Wochen zu treffen und eine Platte aufzunehmen. Doch dieses Mal wollten wir ein größeres Album machen, dafür mussten wir in der gleichen Stadt sein.“ So entstanden die neuen Songs wieder – wie damals zu „Before Hollywood“-Zeiten über einen längeren Zeitraum, während eines herrlichen Sommers. Doch dieses Mal dort, wo die Geschichte der Go-Betweens begonnen hatte, in Brisbane. Das Ergebnis: „Bright Yellow, Bright Orange“, ihr mittlerweile achtes Album und weit mehr als nur eine Erinnerung an die großen, wenn auch erfolglosen Jahre einer der besten Bands der 80er.

Da ist auch wieder das Doppel-„1“ im Albumtitel, wie bei den fünf klassischen Go-Betweens-Alben vom 1981er Debüt „Send Me A Lullaby“ bis zum zerrissenen „Tallulah“ von 1987, „Der Titel unseres Comebacks Rachel Worth‘ war sehr bewusst gewählt“, schmunzelt Mc Lennan. „Einerseits war das Album eine Rückkehr, andererseits wollten wir auch einiges anders machen. Daher entschieden wir uns gegen das Doppel-4′. Doch in einer typischen Go-Betweens-Perversität haben wir unsere Meinung jetzt geändert.“

Auch die anderen Go-Betweens, die wir ins Herz geschlossen haben und die beim Comeback nicht mehr dabei waren, haben sie nicht vergessen. McLennan: „Lindy Morrison und Amanda Brown leben in Sidney, daher sehen wir uns sehr selten. Wir haben ein gutes Verhältnis, aber wir schicken uns keine Weihnachtskarten.“ Forster: „Mit Robert Vickers, unserem Bassisten, sind wir immer noch sehr sehr eng befreundet. Er lebt in den USA und arbeitet für unser dortiges Label. Er besucht uns bald in Brisbane.“ Die Go-Betweens sind halt Gedächtnismenschen.

Schon mit dem Übersong „Cattle And Cane“ von 1983 versuchte McLennan beispielsweise, seine Erinnerungen wie ein Filmregisseur zu einem großen Epos zu bündeln. „Viele meiner Songs sind sehr visuell“, stimmt er zu, „aber ich bin nicht sicher, ob das unbedingt mit meiner Liebe zum Film zusammenhängt oder nicht vielmehr damit, dass ich einen großen Teil meines Lebens in Australien auf dem Land verbracht habe. Der Sinn für Raum und Isolation, den du da entwickelst, scheint mir hier wichtig zu sein.“

Seinem Bandkollegen liegt diese epische Erzählweise nicht so: Robert Forster reiht in seinen Texten gerne im Cutup-Verfahren einzelne Erinnerungsbilder aneinander. Er scheint sich mit der rhapsodischen Form des menschlichen Erinnerns besser arrangieren zu können als sein Partner, der das von der Zeit Auseinandergerissene erzählerisch wieder zu verbinden versucht, was freilich – dessen ist er sich bewusst – nicht immer gelingt Diese unterschiedlichen Ansätze spiegeln sich auch auf musikalischer Ebene wieder: McLennans perfekte Songs stehen gegen Forsters schroffe Akkordik, Melodielinien treffen auf Gitarrensplitter. In einer filmischen Metaphorik, wie sie die beiden selbst gerne mal verwenden, wäre Mc Lennan wohl die lange Kamerafahrt, Forster der scharfe Schnitt, die Montage.

Kein Wunden dass die Reunion der beiden mit der Zusammenarbeit an einem Drehbuch begann, das, wie Mc Lennan nicht ohne Stolz bemerkt, auf sehr positive Reaktionen stieß, jedoch einer weiteren Bearbeitung und einiger Stiefelleckerei bedurft hätte, um verfilmt zu werden. Da machte man sich lieber daran, wieder Songs für ein gemeinsames Album zu schreiben.

Försters Weg ins Filmgeschäft war damit aber noch nicht gestoppt, so war er in Robert Bramkamps Thomas-Pynchon-Hommage „Prüfstand 7“ zu sehen, wie er weiß geschminkt, im kanariengelben Anzug über einen See ruderte und Pynchon rezitierte. Jetzt brennt er darauf, auch in kommerzielleren Projekten mitzuspielen. „Pass auf, wenn du einen Filmregisseur triffst, sag ihm: Ich möchte ein Schauspieler sein.“ Was er denn spielen wolle, frage ich. „Irgendwas mit Frän-Fränka Po-Poten_“ – „Franka Potente?“ – Ja. Genau. Sowas. Ich könnte vielleicht ihren älteren Bruder spielen.“

Bei aller Affinität zum Film sehen die beiden ihre Einflüsse songtechnisch aber eher auf literarischem Gebiet „Schau, unsere unterschiedlichen Herangehensweisen kannst du vermutlich am besten aus den Büchern ableiten, die wir mögen“, erklärt Forster. „Ich mag’s gerne klar, trocken und direkt, Grant lieber etwas abstrakter, romantischer, träumerischer. Ich mag wohl beispielsweise die Gedichte von Anne Sexton lieber ab Grant“ Was ist mit Proust? „Ich glaube, das ist ein Schriftsteller, dessen Werk den Go-Betweefis irgendwie nahe steht, sehr nahe sogar.“ ,Ja. Richtig. ,Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‘ beschäftigt sich mit Empfindungen. Es geht ihm wie uns darum, ein bestimmtes Gefühl zu beschreiben, bis ins kleinste Detail. Das hat ihn allerdings mehr Zeit gekostet als 39 Minuten und drei Sekunden“, lacht Grant und spielt damit auf die Länge von „Bright Yellow, Bright Orange „an. „Wir stimmen schon häufig überein, wenn es um unsere literarischen Interessen geht Das ist auch ein Grund dafür, dass wir Freunde sind und zusammen arbeiten wollen.“

Das tun sie intensiver denn je. So schrieben sie jetzt erstmals einen Song gemeinsam. „Grant spielte mir diese Melodie vor, und die sprach mich irgendwie an. Die meisten Songs von ihm kann ich eigentlich nicht singen, weil er dieses melodische Ding macht Aber diesen hier schon. Ich rief ihn also an und fragte, ob ich versuchen dürfte, für ihn einen Text dazu zu schreiben.“

Daraus ist „Too Much Of One Thing“ geworden, ein Song über Grant, den Robert – bis auf eine Strophe – dann auch sang. Natürlich hat dieses Porträt seines Freundes – Forsters Arbeitsweise gemäß – wenig mit einem möglichst realistischen Abbild gemein. „Der Song ist wie ein Bild aus der Erinnerung. Während man malt, kommen einem andere Leute in den Sinn, die sich dann ebenfalls auf der Leinwand wiederfinden.“

Auch, wenn die Go-Betweens sich vor allem um die beiden Songschreiber Forster und McLennan drehen, sind sie doch wieder eine richtige Band geworden. „Mit unserem neuen Schlagzeuger Glenn Thompson haben wir schon früher oft zusammengespielt. Die Go-Betweens handelten immer davon, mit Freunden zu spielen. Das merkt man diesem Album wohl mehr an, als dem letzten“, strahlt Mc Lennan. Und mit Adele Pickvance, die schon auf „The Friends Of Rachel Worth“ Bass spielte, gibt es auch wieder einen weiblichen Go-Between. „Das sieht einfach besser aus“, meint McLennan. „Außerdem haben Frauen einfach einen Zugang zur Musik, der gut zu uns passt Sie sind nicht mit Led Zeppelin-Platten aufgewachsen und wollten auch nie ,Smoke On The Water‘ spielen.“ Die Live-Premiere von „Bright Yellow, Bright Orange“ gaben Forster und Mc Lennan am Vorabend allerdings rein akustisch, ohne den Rest der Band. „Das machen wir nie wieder“, protestiert Forster. „Wir sind eine Rockband!“ Sie gehören zusammen, so wie bei Proust Madeleine und Lindenblütentee.

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