Rock Am Ring – Eifel, Nürburgring

Trotz Sturm und Kälte wurde beim 20. Rock Am Ring ordentlich gerockt - in unterschiedlichsten Ausprägungen: von Maximo Park bis Mötley Crüe

Temperatursturz, Wolkenbruch, Windböen – optimale Festivalbedingungen also. 70 000 Menschen hielten trotzdem drei Tage lang durch, liefen sich die Hacken zwischen drei Bühnen wund und versuchten, so viele Bands wie möglich zu sehen. Daß es hier nicht so sehr auf musikalische Qualitäten ankommt, sondern auf Entertainment – das wird einem schon beim Auftritt von Weezer bewußt. Freitag nachmittag, noch grelle Sonne. Keine Kommunikation mit dem Publikum, kaum Stimmung. Bei Maroon 5 und Incubus klappt es besser, aber Green Day gebührt tatsächlich die Krone, die sich Billie Joe Armstrong aufsetzt. Das hätte schon eine Warnung sein sollen: Am Ende spielen die einsagen Punkrocker noch „We Are The Champions“, originaltreu und fast ohne Ironie. Davor gab es viele „Whoa-oh-ohs“ und „Heyyeah-yeahs“ zum Mitschreien und all die Hits, von „American Idiot“ bis „Basket Case“. Dann ließ Armstrong ein paar Zuschauer auf die Bühne und an die Instrumente. „The Shitheads“ nannte er die recht kompetente Ersatzband. Die vielen Gesichter eines Festivals: Billy Idol mit Gitarrist Steve Stevens, Mötley Crüe mit Pyros, Billie Joe Armstrong in Siegerpose und Towers Of London in Schimpflaune (v.l.) die betroffenen Fans nannten es die glücklichsten Minuten ihres Lebens. Als Zugabe noch „Good Riddance“, perfekt Wer hätte gedacht, daß diese kleinen Racker mal eine so große Rockband werden würden – und sich nicht einmal dafür schämen?

Danach: R.E.M. und sehr, sehr viel Regen. Michael Stipe stimmt „Have You Ever Seen The Rain?“ an und stellte nach kurzer Rückfrage bei Mike Mills und Peter Bück fest: „In 25 Jahren war ich noch nie vor so vielen Menschen so naß!“ Der schicke Anzug leidet, das Make-up ist am Ende weg. Ein Glück! Die Songs bleiben zauberhaft wie immer, auch wenn die Mandoline mal aussetzt und die neue Single „Wanderlust“ ein bißchen holpert. Die Pause vor der Zugabe sparen sie sich, wollen die Leute nicht unnötig frieren lassen. Nach den letzten Tönen von „Man On The Moon“ kann man im Hintergrund noch Slipknot von der Alternastage hören – aber hingehen will man nicht. Zu viele negative Schwingungen.

Am nächsten Tag: noch mehr Regen, noch mehr Kälte. Als erste Band auf der Hauptbühne erscheinen Towers Of London – wie ein Relikt aus den 80er Jahren: ein Sänger in weißen Jeans, mit Stachelfrisur und pudelhaarigen Kollegen. Da lachen jahrelang alle über Bands wie die Quireboys, und plötzlich ist eine Band der heißeste Scheiß, die sich selbst als „Mischung aus Sex Pistols und Mötley Crüe“ bezeichnet Verstehe einer die Engländer. Übrigens keine gute Idee bei Festivals: das Publikum als „fucking idiots“ zu bezeichnen. Besser: sich wie Maximo Park mehrfach zu bedanken – und sich dazu noch Mühe mit den Songs zu geben. Die Towers sind vielleicht lässig, andere dafür richtig gut Maximo Park klingen live jedenfalls noch druckvoller, auch gar Performance

nicht so zickig wie auf ihrem Album, und mit ihren schicken Anzügen und Seitenscheiteln stellen sie sogar die Hives in den Schatten.

Auf der Hauptbühne werden indes die ersten Pyro-Effekte aufgefahren – natürlich für Mötley Crüe. Man muß jetzt mal eine Lanze brechen für den Mann, der immer übersehen wird: der Gitarrist. Mick Mars kommt in Plateauschuhen, trotz der künstlichen Hüften, die ihn quälen. Er ist bis auf die Knochen abgemagert, sein Gesicht hat die Falten eines 100jährigen. Wenn er die Saiten anschlägt, sieht er aus, als kämpfte er gegen die ganze Welt: gegen seine Krankheiten, gegen die Ex-Frauen und die Alimente, die seine Gage auffressen. Und bestimmt auch gegen Vince Neil, den „Sänger“ seiner Band. Es kann ihm nicht verborgen geblieben sein, daß Neil die Legende jetzt endgültig zerstört. Er gibt sich keinerlei Mühe, singt jede Zeile nur an und das meistens schief. Die Ansagen übernimmt irgendwann Bassist Nikki Sixx, weil Neil nicht viel mehr als „fucking motherfuckers“ einfällt Da hilft keine Gesichtschirurgie, keine Diät, kein Training; der Mann hat einfach kein Gehirn. Wenn Sixx der Kopf der Band ist und Tommy Lee das Herz, muß Neil der Arsch sein. Davon lenken auch die Stripperinnen nicht ab, die zu „Girls Girls Girls“ auf die Bühne kommen oder der Zwerg auf dem Einrad oder die feuerspeienden Halbnackten. „Kickstart My Heart“? Funktioniert leider nicht mehr.

Daß es anders geht, beweisen Iron Maiden, die eine solide Show abliefern, die zwar niemals beseelt wirkt, aber massenhaft Euphorie entfacht Oder, am nächsten Tag: Billy Idol. Nicht lachen! Der kann wirklich singen, trotz all der Posen und Turnerei trifft er jeden Ton, und er liebt ganz offensichtlich, was er tut Sich selbst auch: Mehrfach zieht er das Shirt aus und präsentiert stolz seinen Muskelbauch. Er hat natürlich auch die Lieder, die jeder kennt und fast jeder liebt: „White Wedding“, „Rebel Yell“, „Eyes Without A Face“, „Dancing With Myself“, er spielt sie alle. Und zum Spaß noch Van Halens Jump“. Ein Riesenspaß.

Aber die nächste Enttäuschung wartet schon: Velvet Revolver. So schön es ist Slash und Duff mal wieder auf der Bühne zu sehen, so schlimm ist Scott Weiland. Von Charisma keine Spur. Die VR-Stücke sind zu oft zu zerfrickelt, die beiden Guns N‘ Roses-Songs spult er eher lustlos herunter, trotzdem wird nur bei „Mr. Brownstone“ richtig gejubelt. Slash bittet schließlich sogar um mehr Resonanz vom Publikum, vergeblich.

Die Alten sind also mehrheitlich nicht mehr, was sie mal waren. Keine verblüffende Erkenntnis. Aber es gab ja noch Kettcar und Adam Green, die wieder alle überzeugten, die kalifornischen Herzchen von Phantom Planet und ein Wiedersehen mit Sonic Youth. Der ominöse „Überraschungs-Headliner“, über den drei Tage lang alle rätselten, war am Ende gar keine Überraschung: nicht Bruce Springsteen, der flugs die E Street Band einbiegen ließ, oder Axl Rose, der „Chinese Democracy“ vorstellte. Sondern: Die Toten Hosen. Und daß die Party machen können, muß hier nicht mehr besonders erwähnt werden.

Im nächsten Jahr, wenn „Rock am Ring“ wieder aufs Pfingstwochenende fällt, werden Depeche Mode kommen, und das Festival soll gleich vier Tage dauern. Gnade!

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates