ROLLING STONE Weekender 2014: So war der Freitag mit St. Vincent, Iron & Wine und Marcus Wiebusch

Triggerfinger, Niels Frevert, St. Vincent, Iron & Wine, Marcus Wiebusch - am Freitag (07. November) begann der ROLLING STONE Weekender mit einigen Höhepunkten.


Triggerfinger

Ich will Dich! „I Want You (She’s So Heavy)“. Es ist 17.30, die Belgier von Triggerfinger sollten schon längst den ROLLING STONE Weekender eröffnet haben – jedoch stand das Trio lange Zeit im Autobahnstau (der Bahn-Streik!). Und so kommen die 1.500 Zuschauer in den Genuss eines Soundchecks der Band, die sich ausgiebig den Beatles-Song „I Want You (She’s So Heavy)“ zum Warmmachen vorgeknöpft hat.

Symptomatischer könnte das Stück nicht sein. Das Publikum will ja auch endlich loslegen. Und als der wie immer im Dreiteiler auftretende Sänge Ruben Block seinen Frack überwirft, krachen Triggerfinger auch gleich in die ersten Stücke rein: „Black Panic“,  „And There She Was Lying In Wait“ und „By Absence Of The Sun“. Southern Rock, viel Dampf, Feuer und Tattoo-Atmosphäre. Genau die richtige Band um das Festival am späten Freitagnachmittag einzuläuten.

Niels Frevert

Niels Frevert leitet mit gut aufeinander eingestimmter Band und aufgeknöpftem Hemd den deutschen Teil des Abends im „Baltic Saal“ ein. Später wird noch sein Kumpel Marcus Wiebusch auftreten, aber Frevert – gerade erst mit seinem neusten Solo-Album „Paradies der gefälschten Dinge“ (einer der schönsten Plattentitel in diesem Jahr!) unterwegs – gibt schon einmal den melancholischen Alleinunterhalter. Neuerdings tobt er sich ja nicht mehr so sehr an deutschen Chansons aus, sondern widmet sich mit Hingabe den großen, kleinen Dramen des Lebens. Ob er nun einen Song über „Zürich“ singt, von „Speisewagen“ erzählt oder Zeilen wie „Ich würde dir helfen, eine Leiche zu verscharren, wenn es nicht meine ist“ singt: Frevert gibt sich als zärtlicher Poet, der sein Publikum umgarnen will – als würde man kurz vor dem Schlafengehen noch von einem Kumpel angerufen und zu einem Bier eingeladen werden, das freilich nicht ohne ein hinreißendes Gespräch über Gott und die Welt zu haben ist. Mit poetischen Sprachspielereien („Haben Sie schon mal im Dunkeln geküsst?“) beweist Frevert, das er sich vom manchmal garstigen Leben nicht ins Bockshorn jagen lässt. Am Weißenhäuser Strand, nicht weit von Hamburg, schlurft seine hanseatische Lakonie auf jeden Fall offene Türen ein.

St. Vincent

Sie ist nicht die erste Frau in einer Band. Sie ist auch nicht die erste Frontfrau, die Gitarre spielt. Und doch ist sie dank ihrer natürlichen Selbstzufriedenheit, Contenance und Grazie eine Frau, von denen es im Musikbusiness viel zu wenige gibt. Annie Clark alias St. Vincent hat Songs vom neuen Album „St. Vincent“, unter anderem „Digital Witness“, „Prince Johnny“ und „Birth in Reverse“, sowie weiter zurückliegende Stücke dabei. Bedeutungsschwanger tänzelt die Frontfrau mal einzeln, mal synchron mit Bandkollegin über die Bühne. Die immer wieder tippelnden Ballerina-Schritte lassen Annie Clark wirken, als würde sie sich auf einem Laufband auf der Bühne hin und her fahren lassen.

Das Finale: ein rockstarallürengetränkter Showdown in seiner ganzen Zartheit. Ein Verstärker wird sanft mit dem Fuß berührt, die Gitarre mehrere Male liebevoll an die Saaldecke geklopft. Annie lässt sich von einem Herren auf Schultern durch den Fotograben tragen, hält ihre schwarzlackierte Gitarre in die Menge, lässt jeden spielen und klimpern und freut sich mit ihrem Publikum über einen kleinen, besonderen Moment in unser aller Leben.

Iron & Wine

Auf der Zeltbühne gibt es um Viertel nach Neun ein faszinierendes Bild zu sehen: ein Mann, allein auf einer riesigen Bühne, von rotem Scheinwerferlicht angestrahlt, mit nichts als einer akustischen Gitarre und seiner Stimme bewaffnet. Die Soloshows von Samuel Beam, Frontmann, Vordenker und Songwriter von Iron & Wine, sind stets beeindruckende Erlebnisse, nicht zuletzt weil der Amerikaner mit minimalen Mitteln größtmögliche Emotionen bei seinen Zuhörern zu erreichen vermag. Doch sein Set, mit dem er am Freitagabend das Publikum vor der Zeltbühne verzauberte, schien durch den Weekender noch an Qualität zu gewinnen. So vermochte Beam mit sympathischen und witzigen Sprüchen zu überzeugen. Zu Beginn stellte er etwa die These auf, dass die (überwiegend deutschsprachigen) Festivalbesucher allesamt mehr Englischvokabeln drauf hätten, als er – die Befremdlichkeit, dass er sich trotzdem alleine auf die riesige Hauptbühne begibt, um Songs vorzutragen, machte den großen Reiz der kommenden anderthalb Stunden aus.

Die durchdachten Folk-Kompositionen entwickelten sich durch Beams spärliche Arrangements von Stimme und Gitarre zu Songs, die niemanden kalt ließen. Immer wieder bedankt sich der Künstler artig und bescheiden beim Publikum, wenn nach Songs wie „Woman King“ oder „Naked As We Came“ begeisterter Jubel aufbrandet. Dass Beam nicht zuletzt auch ein Meister darin ist, Songs anderer Bands seine ganz eigene Note aufzudrücken, beweist „Such Great Heights“, im Original von The Postal Service (alias Death-Cab-For-Cutie-Sänger Benjamin Gibbard und Electronica-Zauberer Jimmy Tamborello), das zu einem der Höhepunkte im Soloprogramm von Iron & Wine zählte. 

Marcus Wiebusch

Messerscharf analysiert hat Marcus Wiebusch, dass elf Songs vom Soloalbum nicht ausreichen, wenn man als Bühnen-Headliner im Baltic Saal den Freitagabend beschließt, weshalb die aufgepeitschten Zuschauer auch Lieder aus Kettcar-Zeiten zu hören bekommen. Für „Balkon Gegenüber“ spendiert der Musiker zur Feier des Tages eine neue zweite Strophe. Einer der ernsteren Momente des überschwänglich-fröhlichen Konzerts bildet „Der Tag wird kommen“, in dem Wiebusch ein Zeichen gegen Homophobie im Fußball setzt. Die Menge hört gebannt zu, lässt sich nicht zu HipHop-Armbewegungen, dafür aber zu zustimmendem Nicken und Wippen hinreißen.

Selig

Den Abend beschließen Selig in der „Zeltbühne“. Oft hatte man die Hamburger um Jan Plewka abgeschrieben, doch immer ist ihnen ein Comeback gelungen. „Wenn ich wollte“, „Ist es wichtig“ – mit ihrem mutigen Psychedelic-Rock, gesungen auf deutsch, prägte das Quartett in den Neunzigern die heimische MTV- und VIVA-Ära. Erst jetzt, fast 20 Jahre später, wird einem der Wert von Selig bewusst. Hier haben wir eine Band, an deren kalifornisch grundierte Musik sich keine andere deutsche Gruppe mehr herangewagt hat. Die Gitarrensoli, die wabernden Bässe, der Fuzz – Selig ziehen ihr Alleinstellungsmerkmal weiter durch. Das Publikum weiß das zu schätzen, sie lassen Plewka und Kollegen nur ungerne ziehen.

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