ROLLING STONE wird 20. Unsere Helden, Teil 16: David Bowie

Wir werden 20! Und starten mit einer Serie ins Jubiläumsjahr – über 20 Helden, die uns in den vergangenen 20 Jahren wichtig waren. 16: David Bowie. Ein Porträt von Joachim Hentschel

Ich zog extra mein Lou-Reed-T-Shirt an, als ich David Bowie traf, im Juni 2003, zum Interview in New York. Aus der komischen Hoffnung heraus, mit dem Bild seines alten Freundes ein bisschen zusätzlichen Smalltalk provozieren zu können – was sich als unnötig herausstellte, denn Bowie spielte an dem Nachmittag den guten, plappernden Onkel, sprach kurz über die damals neue, leider doofe Platte „Reality“ und umso länger über alte Zeiten und das Noch-Älterwerden. Imitierte David Byrne, führte pantomimisch den Teekistenbass vor, lachte auch dann immer laut und jovial, wenn nichts lustig war. Und sprach mich, bei der Verabschiedung, doch noch auf das T-Shirt an. Ob ich Lou Reed auf seiner letzten Tour gesehen hätte? Ja. Wie es gewesen sei? Sehr gut, sagte ich, nur Reeds Tai-Chi-Lehrer, der bei einigen Stücken auf der Bühne sonderbar getanzt hatte, hätte ich albern gefunden. Es wurde kurz still. „Dieser Mann“, antwortete Bowie  langsam und plötzlich sehr ernst, „ist übrigens auch mein Tai-Chi-Lehrer.“

Die große Zeit des Künstlers war ja längst vorbei, als der deutsche ROLLING STONE startete. Die Zeiten, in denen er wie ein schwüler Stern gestrahlt hatte, waren in den Neunzigern und Nullern nur noch Erinnerungen, und so begann damals die Musealisierung, die ihn am Ende ja tatsächlich ins Museum gebracht hat. In einer Welt, in der alle Masken frei verfügbar sind, verliert sogar der beste Zauberer seinen Distinktionsgewinn, und so war auch im ROLLING STONE auf Dauer mehr über den großmächtigen Einfluss Bowies zu lesen als über seine neue Musik. Man sah ihn öfter schwarzweiß in Berlin als bunt in New York. Und als hätte der echte Bowie das bemerkt, war er plötzlich – weg. Die Fragestunde im Juni 2003 sollte die letzte Interviewsession gewesen sein, die er jemals der Presse gewährte.

Alle wissen, dass es noch ein halbes Happy End gab. Nach rund zehn Jahren Stille kam Bowie 2013 mit neuer Musik zurück, mit Videos, die mit ihrem abgehangenen Kunstwillen zum Besten gehörten, an das man sich bei ihm erinnern konnte. Wieder durfte ich die Geschichte dazu schreiben, befragte alle an der Platte beteiligten Musiker, die ich erwischte, Tontechniker, Clip-Regisseure  und landete am Schluss bei Bowies ältestem Kumpel, dem Schulfreund George Underwood, der mir aus einer E-Mail vorlas, die Bowie ihm vor nicht allzu langer Zeit geschrieben hatte: „I’m writing simple things.“ Auch Bowie ist am besten, wenn er selbstverständlich ist.

Cover 5

Rezensionen 28

Sterne 90

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