Roxy Music: For Your Pleasure

„They never come back!“ ist im Showgeschäft eine alte Weisheit. Doch schon George A. Romero wusste: „When there’s no more room in hell, the death will walk the earth.“ Man trifft die Untoten des Rock’n’Roll gelegentlich in Live-Pubs und Oldie-Clubs, wo sie für kleines Geld noch einmal die alten Lieder singen und den Verfall ihrer Körper zur Schau stellen. Das ist traurig, und wer sich weiter an die einstige Größe und Stärke dieser Künstler erinnern möchte, sollte der Versuchung widerstehen und dieses Zwischenreich meiden.

Als im Januar 2001 bekannt wurde, dass sich Roxy Music für eine Welttour wieder zusammentun, war diese Nachricht flankiert mit dem Foto von drei älteren Herren – Bryan Ferry, Andy Mackay und Phil Manzanera – die ungefähr so aussahen, wie man sich Filmproduzenten oder erfolgreiche Software-Entwickler vorstellt. Da schien es nicht ums Ganze zu gehen, sondern eher um das kleine Landhaus in Südfrankreich, das man sich schon so lange wünscht. Die Konzerte waren grandiose Revuen mit Tänzerinnen, wie aus einem Las-Vegas-Casino entführt. Die Musiker trugen Gucci und Dior, und auch das einstige Kellerkind der Band, The Great Paul Thompson, durfte wieder mittrommeln. Musikalisch war das so gelungen, dass die Band seitdem jedes Jahr eine Reihe von Konzerten gibt und seit letztem Jahr auch an einem neuen Album arbeitet. Mit Brian Eno! „Das geht schon sehr in Richtung ‚For Your Pleasure'“, behauptete Bryan Ferry vor ein paar Wochen. „Es ist ein Vergnügen, die alten Stücke live zu spielen, vor allem auch den Song ‚For Your Pleasure‘.“ Es scheint, als hätte Ferry, der über die Jahrzehnte immer eleganter, immer abgehobener und immer Rock-ferner wurde, nun doch noch seinen Frieden mit der Vergangenheit gemacht. Aus welchen Gründen auch immer.

THERE’S A NEW SENSATION

Das Debütalbum von Roxy Music beginnt, als würde man mit einer magischen Glaskugel in die Zukunft der Band schauen: Gläser klirren, Männer prahlen, Frauen lachen – it’s party time! Doch die Musik, die folgt, ist eine groteske Travestie, eine in unterschiedliche Richtungen tobende Kakofonie aus übersteuerten Gitarren, röhrenden Saxofonen und quietschenden Synthesizern, die nur deshalb nicht auseinander fällt, weil der Schlagzeuger mit mächtigen Schlägen und Wirbeln alles nach vorne treibt. Mit der Stimme eines exaltierten Butlers singt Bryan Ferry dazu immer wieder die Nummer eines Auto-Kennzeichens: „She’s the sweetest queen I’ve ever seen – CPL593H / See, here she comes, see what I mean – CPL593H“. Am Ende von „Re-Make/Re-Model“ darf dann jeder Musiker – wie in einer bizarren Jazz-Parodie – ein kleines überkandideltes Solo spielen.

Wir befinden uns im Jahr 1972, und es gibt eine Menge Menschen, die den Kopf schütteln, weil sie nicht verstehen, was hier geschieht. Auf dem glamourösen Klappcover des ersten Roxy Music-Albums räkelt sich – ganz anders als auf anderen Platten der ausgehenden Hippie-Ära-das Model Kari-Ann Moller wie eine sexy Männerüberraschung. Die geschminkten Musiker in ihren eng anliegenden Lurex-, Glitzer- und Kunstfell-Klamotten sehen aus wie androgyne Aliens. Noch schauen sie etwas unsicher aus der Wäsche, doch das soll sich bald ändern, denn ihr Anführer hat einen großen Plan.

Bryan Ferry wurde am 26. September 1945 in Washington, einem nordenglischen Städtchen in der Nähe von Newcastle, geboren. Sein Vater arbeitete in einem Kohlebergwerk, und obwohl der kleine Bryan sich schon früh für Blues und Jazz interessierte, an Schultheateraufführungen teilnahm und bei einem Job in einer Schneiderei sein Interesse für Mode erwachte, sah es damals nicht so aus, als könnte er seinen proletarischen Wurzeln entfliehen: „Ich hätte genauso gut Schornsteinfeger werden können“, sagt er heute mit dem für ihn typischen, leicht gequälten Lachen. „Ich war ein Teenager, doch plötzlich studierte ich Kunst, lernte mehr über Kunst, bis ich schließlich selber ein Künstler war. Zur gleichen Zeit liebte ich aber auch Literatur und dachte, ich könnte ein Dichter werden. Oder vielleicht doch lieber Künstler? Letztlich endete ich als Musiker. Das hat ja nicht nur mit Musik zu tun, sondern auch mit Worten und visueller Kunst.“

Der Pop-Art-Künstler Richard Hamilton, bei dem Ferry in Newcastle studiert, war ein wichtiger Impuls. 1956 hatte Hamilton für die ICA-Ausstellung „This Is Tomorrow“ einen modernen Klassiker erschaffen: Just What Is It About Today’s Homes That Makes Them So Different, So Appealling?“. Die Collage nahm die Fetischisierung von Körper, Konsum und Technik vorweg und inspirierte Ferry später zu einem seiner besten Songs, „In Every Dream Home A Heartache“.

Nach seinem Studium geht Ferry nach London, wo er sich lange Zeit als Kunstlehrer durchschlägt. Eher lustlos gibt er Keramikkurse und malt gelegentlich deprimierende, an Mark Rothko erinnernde Bilder. Häufig besucht ihn Graham Simpson, mit dem er zusammen bei The Gas Board spielte, einer Soulband, aus der Ferry herausgeflogen war. Der Regisseur Mike Figgis, ebenfalls ein Ex-Mitglied von The Gas Board, behauptet – laut David Buckleys hervorragender Roxy Music-Biografie „Großes Kino für die Ohren“ -, dass Ferry gefeuert wurde „weil er kein besonders guter Soulsänger war. Er hatte so eine zittrige Stimme“.

Nachdem er sich erfolglos bei King Crimson als Sänger beworben hat, beschließt Ferry Anfang 1971, mit dem Bassisten Simpson eine eigene Band zu gründen. Auf eine Anzeige im „Melody Maker“ meldet sich Andy Mackay, ein klassisch ausgebildeter Saxofonist und Oboist, der einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Bewerbern hat: Er besitzt einen VCS3-Synthesizer. Mackay ist auch ein großer John-Cage-Fan und Freund der sogenannten Neuen Musik. Auf einer der zahlreichen Avantgarde-Veranstaltungen, die er regelmäßig besucht, macht der Saxofonist die Bekanntschaft von Brian Peter George St.John le Baptiste de la Salle Eno. Ein weiterer Kunststudent voller widersprüchlicher Interessen: Seit seiner Kindheit liebt Eno Doo-Wop, später hat er eine eigene A-cappella-Gruppe, mit der er amerikanische Gospels singt. Nach einigen wunderlichen Bands wie Merchant Taylor’s Simultaneous Cabinet schließt sich Eno 1970 der Portsmouth Sinfonia an. Die Klarinette, die der erklärte Nicht-Musiker dort spielt, beherrscht er allerdings ebenso wenig wie die anderen Musiker ihre Instrumente – doch das gehört zum Konzept des bekennenden Dilettanten-Orchesters. Bei Roxy Music ist der erklärte „Nicht-Musiker“ zunächst nur für den Sound verantwortlich, eine Art besserer Mixer. Zunächst.

Die Band hat inzwischen auch einen Namen, der an die altmodisch glamourösen Kino-Paläste erinnern soll, die Ferry so sehr liebt: Roxy. Als sich herausstellt, dass es bereits eine amerikanische Band gleichen Namens gibt, wird kurzentschlossen ein Music angehängt. Die Suche nach einem passenden Gitarristen gestaltet sich leider weniger einfach: Auf Roger Bunn folgt der ehemalige Nice-Gitarrist David O’List, der ebenfalls nur wenige Monate bleibt, bis im Februar 1972 endlich Phil Manzanera zur Band stößt. Einige Monate früher war Paul Thompson im Team gelandet: „Ich kaufte mir eine Ausgabe des ‚Melody Maker‘ und sah die Anzeige. Wundertrommler für Avantgarderockband gesucht‘. Ich rief die Nummer an, und ein Kerl ging ran, dessen schnöseliger Akzent mit einem leichten Geordie-Hauch versehen war. Es war Bryan Ferry, er schien sich zu freuen, meinen eigenen Jarrow-Akzent zu hören“, erzählt der eher robuste Thompson, der vor seiner Berufung auf dem Bau gejobbt hatte und nie so recht zu seinen Kollegen passen wollte.

A DANCERABLE SOLUTION TO TEENAGE REVOLUTION

Als im Juni 1972 das von Pete Sinfield produzierte Debütalbum in die Läden kommt, ist „Ziggy Stardust“ noch nicht erschienen und Glam-Rock steckt in der Vorpubertät. Songs wie „Ladytron“, „Re-Make/Re-Model“ oder „Sea Breezes“ klingen wie ein futuristisches Manifest: Schluss mit dem Authentizitätswahn! Plündert die Schätze der Vergangenheit! Seid offen für die Verheißungen der Zukunft! Feiert die Romantik! Die krude Besetzung aus Künstlern, akademisch ausgebildeten Musikern und ganz normalen Muckern ist in jeden der neun Songs zu hören. Avantgardistische Klangspielereien enden in brachialen Rocknummern, und nichts wirkt so, als sei es aus dem Bauch heraus gespielt. Da sich Roxy Music vor der Veröffentlichung des Debüts bei Auftritten bewusst zurückgehalten haben, wirken die ersten großen Shows umso beeindruckender: Ferry stolziert ungelenk im hautengen schwarzen Paillettenanzug über die Bühne. Eno sieht im glitzernden Bolerojäckchen trotz seiner Geheimratsecken ungeheuer feminin aus. Der aufwändig frisierte Mackay präsentiert sich in Plastik-Hosen voller absurd großer Gumminoppen. Kurz: Die ganze Band wirkt so überstylt, als hätte ein Designer seine wirrsten Fantasien realisiert. Und so war es ja auch: Schon vor der Veröffentlichung des Debüts engagiert der Mode-affine Ferry Antony Price, einen notorisch hippen Modemacher, der bereits für die Stones gearbeitet hatte. Bis zur Trennung 1982 ist Price der offizielle Stilberater von Roxy Music. Jedes Mal, wenn sich die Musik ändert, zaubert er die passende Garderobe aus dem Hut.

Die frühen Roxy Music wirken trotz ihrer androgynen Garderobe gefährlicher und fremdartiger als T.Rex und andere Glitterbands der Ära. Ihre Ästhetik erinnerte mehr an „A Clockwork Orange“ als an „Top Of The Pops“. Das Cover des 1973 folgenden Albums „For Your Pleasure“ zeigt Amanda Lear als verruchte Femme Fatale und Ferry als ihren schüchtern lächelnden Chauffeur. Im Inneren des Klappcovers präsentieren sich die fünf Musiker so künstlich wie Schaufensterpuppen. Der neue Bassist John Porter fehlt allerdings – er hatte nur den Status eines „Guest Artiste“.

Die musikalische Qualität und Risikofreude des Albums ist phänomenal und wurde auch von Roxy Music so nie wieder erreicht: ,“‚For Tour Pleasure‘ ist mein Lieblingsalbum, nur ‚Avalon‘ ist als Werk ähnlich geschlossen“, behauptet Ferry 35 Jahre später. „Damals passierten bei Roxy Music sicherlich mehr ungewöhnliche, interessante Dinge als später. Aber wenn man das eine Weile gemacht hat, ist es auch eine schöne Herausforderung, mit eher konventionellen Talenten zu arbeiten. Ich muss weitergehen, und da gibt es manchmal einen tränenreichen Abschied.“

Ob der Sänger damit die Trennung von Brian Eno meint? Wohl kaum. Als der Soundtüftler am 1. Juli 1973 die Band wegen „musikalischer Differenzen“ verlässt, ist dem ein langer Machtkampf mit Ferry vorausgegangen: Jeder will der Star sein, jeder die musikalische Richtung der Band bestimmen. Ferry ist offiziell zwar der alleinige Songschreiber, doch viele Journalisten halten Eno für die perfekte Kombination von Intellekt und skandalöser Fremdweltlichkeit. Die Töne, die er seinem Maschinenpark entlockt, sind revolutionär. Dazu gilt der Egomane auch noch als Frauenliebling und Sex-Maniac. Ein Shooting mit einer Fotografin von „Creem“, die ihn bittet, sich nackt auf einer Liege auszustrecken, beendet Eno mit den Worten: „Verzeihen Sie, dass ich einen Ständer habe, das ist wohl der Wille der Natur“.

Jeder Roxy-Music-Auftritt war ein Ringen der beiden um Aufmerksamkeit: „Es gefiel mir einfach nicht, dass man mich als Glamour-Boy am Mikrofon darstellte, wenn ich es war, der das ganze Zeug schrieb'“, ärgert sich Ferry, der seit den Neunzigern wieder gelegentlich mit Eno zusammenarbeitet: „Es entstand eine Freundschaft ohne den Druck, dem wir damals ausgesetzt waren. Meine Ambitionen mit Roxy Music waren andere als die von Brian. Also trennten wir uns. Doch es ist toll, das wir jetzt wieder auf eine interessante und harmonische Art zusammen Musik machen. Wir können uns auch mal streiten, aber ohne diesen Druck, sich in der gleichen engen Box zu befinden.“

IN FURS OR BLUE JEANS YOU KNOW WHAT I MEAN

Eddie Jobson, Enos Nachfolger bei Roxy Music, war ein ausgezeichneter Musiker – aber kein Visionär. Ferry hatte ihn bei Curved Air entdeckt und bereits bei

seinem Solodebüt „These Foolish Things“ eingesetzt. Jobson, der auch Violine spielte, brachte eine neue Klangfarbe in den Sound von Roxy Music. Trotzdem klingt „Street Life“ vom dritten Album „Stranded“ (das nur ein halbes Jahr nach „For Your Pleasure“ erscheint) so exaltiert und rasant, als hätte sich nichts geändert. Doch Ferry hatte aus dem Machtkampf mit Eno gelernt: Bei dem von rückkoppelnden Gitarren nur so überfließenden „Amazona“ wurde Phil Manzanera erstmals als Co-Autor genannt. Auch „A Song For Europe“, einer der schönsten Roxy Music-Songs überhaupt, war eine Zusammenarbeit, diesmal mit Andy Mackay. „Der Titel bezieht sich recht offensichtlich auf den European Song-Contest, eine eher bizarre Veranstaltung“, erinnert sich Ferry. „Andy kam an mit der Musik, die für mich sehr europäisch klang. Deshalb hatte ich die Idee, etwas Latein und Französisch zu verwenden und das ganze ‚A Song For Europe‘ zu nennen.“ Herausgekommen ist ein lebensmüdes Schwelgen in der Vergangenheit, nie war Dekadenz so süß und süffig: „I remember all those moments/ Lost in wonder that we’ll never/ Find again/ There’s no more time for us, nothing is there/ For us to share but yesterday.“ Das hat nichts mehr mit den grellen Pop-Art-Polaroids der ersten beiden Alben zu tun. Das ist große Oper, ein Drama mit Ferry als Hauptdarsteller, begleitet von einer Band, die das Pathos ebenso sehr als Stilmittel einsetzt wie die Ironie. Wenn „In Every Dream Home A Heartache“ die erste Roxy-Phase auf den Punkt brachte, dann war „A Song For Europe“ einer von zwei Schlüsselsongs der mittleren Phase. Auf die sexuell aufgeladene Pracht von „Love Is The Drug“ musste man allerdings noch zwei Jahre warten.

Vorher erschien im Oktober 1974 „Country Life“, und spätestens ab da wurde in den Medien kontrovers über die ambitionierten, aber auch zeigefreudigen Cover der britischen Art-School-Band diskutiert. Wir befinden uns in den Siebzigern, und die Wörter „sexistisch“ und „frauenfeindlich“ sind Erschlagwaffen des aufkommenden Feminismus. Die beiden deutschen Mädchen Constanze Karoli (die Schwester des Can-Gitarristen Michael Karoli) und Eveline Grunwald konnten natürlich nichts dafür, das ihnen im Portugal-Urlaub ausgerechnet Bryan Ferry über den Weg lief und sie zu einem kleinen, nun ja, Photoshooting überredete. Ferry fand es amüsant, das dezent frivole Foto mit dem Titel der gut abgehangenen, britischen Entenjäger-Zeitschrift „Country Life“ zu kombinieren. Doch was folgte, war eine Medien-Satire, die heute kaum noch nachvollziehbar ist: In vielen Ländern wurde das Cover hinter dunkler Folie versteckt, den Spaniern zeigte man nur einen Mädchenkopf, und die Holländer mussten sich mit einem grünen Busch begnügen. „Ich würde behaupten, dass man die Qualität der Roxy Music-Cover nicht beurteilen kann, ohne den Inhalt zu kennen. Als visuelle Komponente, die den gleichen Geschmack, die gleiche Sensibilität repräsentiert wie die Musik, finde ich sie durchweg interessanter als die Cover meiner Soloalben“, gibt Ferry zu Protokoll.

Trotz des Geschreis galt auch „Country Life“ als ein durch und durch gelungenes Album, der Song „Prairie Rose“ war Ferrys neuester Flamme gewidmet – einer 18-jährigen Texanerin namens Jerry Hall.

Bereits ein Jahr später räkelte sich das damals noch unbekannte Model als kleine Meerjungfrau auf dem wieder einmal aufwändig inszenierten Cover von „Siren“. Roxy Music galten noch immer als Rockband, doch ihre Ästhetik wurde von Album zu Album artifizieller und näherte sich immer mehr dem Pop. „Siren“ enthielt zwar auch Rockstücke wie das ungestüme „Whirlwind“. Doch der zentrale Song des Albums flirtete mit einem jungen Genre, das 1975 (und noch lange Jahre später) für Rock-Fans ein absolutes Tabu darstellte: Disco. Ferry und Co. sahen das anders: „Love Is The Drug“ war der Sound hochhackiger Stilettos auf dem Weg zu einem brandneuen Club. Erwartung, Vorspiel, Paarungsritual. „Late that night I park my car, stake my place in a Singles bar/ Face to face, toe to toe, heart to heart as we hit the floor/ Lumber up, limbo down, the locked embrace, the stumble round/ I say go, she say yes dim the lights, you can guess the rest.“

Langsam wurde klar, wohin Roxy Music steuerten. Donna Summers „Love To Love You Baby“ kam ebenfalls 1975 in die Läden, und zu Van McCoys „The Hustle“ wurde nicht nur in Schwulen-Clubs begeistert getanzt. Noch waren es zwei Jahre bis zu „Saturday Night Fever“, aber „Love Is The Drug“ punktete schon jetzt auf Platz 2 der britischen Charts. Gleichzeitig fand sich auf „Siren“ aber auch das grandiose, im Intro gespenstisch fremd klingende „Sentimental Fool“, das auch auf „For Tour Pleasure“ eine gute Figur gemacht hätte.

ALL STYLES SERVED HERE

Roxy Music wurden inzwischen als „Bryan Ferry and Roxy Music“ angekündigt. Das Unternehmen – mit dem Vorstandsvorsitzenden Ferry an der Spitze – war populärer als je zuvor. Das lag zum Teil am emsigen Touren der Band, aber auch an der raffinierten Gratwanderung zwischen Innovation und Mainstream. Doch leider hatte man immer häufiger das Gefühl, dass die Musiker sich nun lieber in Solo-Projekten austobten: Andy Mackay veröffentlichte „In Search Of Eddie Riff“ und schrieb den Soundtrack zu der britischen TV-Serie „Rock Follies“; Phil Manzanera werkelte mit dem gesamten Roxy-Umfeld an „Diamond Head“. Und Ferry war seit dem Erfolg von „These Foolish Things“ und „Another Time Another Place“ als Solist ein häufiger Gast in den britischen Top Five. Roxy Music schienen das Interesse aneinander verloren zu haben – menschlich und musikalisch. Im Sommer 1976 glaubte Ferry endgültig, mit der Band alles erreicht zu haben. Er ließ sich einen Oberlippenbart stehen, schickte Roxy Music nach Hause und bereitete sich auf eine Karriere als Schnulzensänger vor. Wir schreiben 1976, und an ein weiteres Album glaubt niemand mehr.

In den folgenden beiden Jahren tobte der Punk durch England. Während The Clash den revolutionären Straßenkampf und die „Guns Of Brixton“ besangen, ließ sich Ferry in Schnöselpose auf dem Tennisplatz fotografieren. Die Medien fingen an, gegen seine beginnende Landedelmann-Attitüde zu stänkern, das Soloalbum „In Your Mind“ fiel durch, und Jerry Hall verließ den peniblen und egozentrischen Ferry Ende 1977 zugunsten des jungenhaften Mick Jagger. Nachdem „The Bride Stripped Bare“ nur Platz 13 der britischen Charts erreichte, fand Ferry, es sei nun langsam Zeit für eine Neubelebung von Roxy Music.

SLOW AND GENTLE SENTIMENTAL

Als „Manifesto“ im März 1979 in die Läden kam, waren Eddie Jobson und John Gustafson nicht mehr dabei. Selbst „The Great Paul Thompson“, wie die Fans den Drummer zärtlich nannten, wurde nicht bei allen Stücken eingesetzt. Dafür gehörten nun der Ex-Vibrator Gary Tibbs, Bassist Alan Spenner und der spätere Squeeze-Keyboarder Paul Carrack zum inneren Kreis. Man hörte dem zerrissenen Album die Unsicherheit von Roxy Music deutlich an: Früher hatte die Band zur Speerspitze der neuen Musik gehört und neue Ästhetiken und Regeln etabliert. Nun mühten sie sich mit der Single „Trash“, den New-Wave-Kids zu imponieren vergeblich. Doch der Titelsong war ganz hervorragend, und mit „Dance Away“ gab es sogar wieder eine Vision für die Zukunft, obwohl das damals nicht jeder wahrhaben wollte – dazu war der Disco-Pop-Song einfach zu geschmeidig. „Flesh & Blood“ war dann „Dance Away“ auf Albumlänge. The Great Paul Thompson durfte jetzt überhaupt nicht mehr mitspielen, er wurde von Allan Schwartzberg ersetzt. Die Musik klang nun so edel und erlesen, wie es die griechisch anmutenden Speerwerferinnen auf dem Cover suggerierten. Es war funky, es war Pop, und es rockte genau so, wie es Menschen mögen, die stolz sind auf ihre High-End-Anlagen. Ein Heer von Session-Musikern hatte an dem Album mitgearbeitet, und erstmals gab es sogar zwei Coverversionen. Der Aufwand hatte sich gelohnt: „Flesh & Blood“ landete auf Platz eins und blieb sagenhafte 60 Wochen in den britischen Charts. „Same Old Scene“ wurde in den Clubs hoch- und runtergespielt. Und langsam, nach dem Knick der mittleren bis späten Siebziger, tauchten auch wieder jugendliche Nachahmer des aktuellen Sound auf. Spandau Ballet, Duran Duran, Human League und Ultravox liebten nicht nur das inzwischen konsensfähige Frühwerk, sondern auch den überlebensgroßen Pop von „Flesh & Blood“.

Doch eigentlich war dieses siebte Studioalbum nur die Vorstufe zur ultimativen Eleganz von „Avalon“. Ferry schrieb einen Teil der Songs an der Westküste von Irland, im Haus der Eltern seiner späteren Frau Lucy Helmore. Täglich blickte er auf den See, der auch auf dem Cover zu sehen ist (zusammen mit Lucy Helmore als Wikinger-Girl). Doch die Romantik der auf den Bahamas von Rhett Davis exzellent produzierten Musik hat natürlich nichts mit saftiger Natur zu tun. Ganz im Gegenteil: Der Titelsong klingt herrlich mondän, ist ein schweres, überzivilisiertes Seufzen: „Now the party’s over/ I’m so tired/ Then I see you Coming/ Out of nowhere/ Much communication/ Ina motion/ Without conversation/ Or a notion.“ Ferry verkörpert hier so etwas wie die europäische Variante von Richard Geres Rolle in Paul Schraders „American Gigolo“. Ein Mann, gefangen in dem Luxus, der ihn umgibt. Im Unterschied zu früheren Songs sind es hier weniger die Texte, die Auskunft geben über Ferrys Seelenleben. Es sind die makellosen Klänge, die verloren im Raum stehen, das Atmen und Flüstern des Sängers. Die Realität findet ganz woanders statt, diese Musik ist ein mystischer Nebel, in dem die Zivilisation versinkt. Was bleibt, ist Sehnsucht und ein Gefühl von Überdruss: „More than this – there is nothing.“ Ferry, das spürt man mehr denn je, war der Gefangene einer Welt, die er sich selbst erschaffen hatte. Vom neu entdeckten Phänomen Yuppie bis zu ABCs Martin Fry träumte jeder davon, in dieser Welt zu leben. Mit „Avalon“ hatten Roxy Music die unterkühlt romantische Pop-Musik der Achtziger erschaffen. Der Erfolg war riesig – doch die Band war angeschlagen. Von der Ur-Besetzung waren nur noch Ferry, Mackay und Manzanera übrig, die Stimmung war schlecht, die Kondition litt unter Drogen und Alkohol. Mit dem zehn Jahre vorher veröffentlichten Debüt hatte „Avalon“ nichts mehr gemein, aus heutiger Sicht ist es allerdings ebenso stilbildend. Nach einer kräftezehrenden Tour war die Stimmung der Musiker auf dem Nullpunkt, der frisch verheiratete Ferry sehnte sich nach einem Nest auf dem Lande. Ein gelegentliches Soloalbum, gerne mit Coverversionen, schien ihm ausreichend für seine künstlerischen Ambitionen.

1983 lösten sich Roxy Music endgültig auf – dachte man jedenfalls.

TIRED OF THE TANGO, FED UP WITH FANDANGO

Die Rückkehr der Band im Jahr 2001 war ein Triumph, der von Kritikern und Fans gebührend gefeiert wurde. Ferry erweckt seitdem den Anschein, als ginge es nicht nur ums Geld, sondern auch um den Spaß an den alten Songs und das Unterwegs-Sein mit den alten Kumpels: „Ich wünschte, es gäbe eine noch stärkere Beziehung zwischen uns, manchmal ist das auch so. Aber dann, wenn sie ihre Frauen mitbringen… Die sind wirklich nett! Aber es verändert die Dynamik zwischen den Bandmitgliedern. Ohne die Frauen ist es einfach… interessanter.“

Seit letztem Sommer arbeiten Roxy Music auch an einem neuen Album: „Wir befinden uns immer noch in einem frühen Stadium, wirklich“, behauptet Ferry. „Keiner der Songs ist bisher wirklich ein Song. Im Moment existieren nur instrumentale Stücke. Einige sind von Manzanera und mir, andere habe ich allein geschrieben, auch Eno war einige Tage mit im Studio. Wir warten immer noch auf Mackays Beitrag, aber er arbeitet gerade an etwas anderem.“ Bisher haben Roxy Music in drei verschiedenen Studios aufgenommen, zum Teil mit „For Your Pleasure“-Produzent Chris Thomas, zum Teil mit Rhett Davis, der für „Avalon“ verantwortlich war. Doch Solo-Projekte haben für die Musiker scheinbar immer noch erste Priorität: „Danach habe ich angefangen, an ‚Dylanesque‘ zu arbeiten, was mich komplett in Anspruch nahm. Manzanera wird dieses Jahr mit einem weiteren David-Gilmour-Album beschäftigt sein, und ich werde auch noch mit ‚Dylanesque‘ auf Tour gehen. Es wird also noch etwas dauern, bis wir an dem Roxy Music-Album weiterarbeiten. Ich bin gespannt, wie das ausgeht, aber ich hoffe, es wird gut.“

Natürlich wird das Album irgendwann in die Läden kommen, denn Ferry und seine Truppe sind nicht zurückgekommen, um auf ewig durch die Hallen zu ziehen. Und neben dem kleinen Landhaus, von dem der eine oder andere Musiker vielleicht träumt, geht es auch darum, noch ein letztes Mal zu zeigen, was geht. Ein Spätwerk zu schaffen, das den Faden von „For Your Pleasure“ noch einmal aufnimmt… Fast zu schön, um wahr zu sein.

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