Rückkehr ins Tal der Puppen

Plateauschuhe und Lippenstifte bleiben im Schrank, spielen können sie jetzt auch: Nachdem Morrissey die New York Dolls zurück auf die Bühne geholt hat, haben die Punk-Pioniere eine neue Platte gemacht

Typen wie David Johansen sind selten geworden. Man trifft sie fast nur noch in alten Hollywood-Schinken wie „Frankie und seinen Spießgesellen“: Ein Glas Whiskey in der einen, eine qualmende Zigarette in der anderen Hand, plaudern diese Big Boys so amüsant, selbstsicher und eloquent, dass man das eigene Leben auf seine Richtigkeit hin überprüfen möchte. Im Moment ist der Sänger der New York Dolls allerdings etwas verärgert: „Entschuldigung, aber habe ich mich eben verhört? Haben Sie tatsächlich die Wiedervereinigung der New York Dolls ein Comeback genannt?“ Offensichtlich war es ein Fehler, das böse C-Wort in den Mund zu nehmen. Comeback, das klingt ihm zu sehr nach einer hämisch amüsanten Episode a la „Spinal Tap“. Dabei war die Rückkehr der New York Dolls ein rauschender Triumph, eingefädelt vom ehemaligen Präsidenten ihres Fan-Clubs: Stephen Patrick Morrissey, der im Juni 2004 das Londoner Meltdown-Festival kuratierte, wünschte sich als Höhepunkt ein Konzert seiner alten Helden, die sich 1977 endgültig getrennt hatten. „Wir kennen ihn schon seit damals. Ich denke, Morrisey mochte unsere Musik, weil sie ein befreiender Kontrast war zu seinem unbefriedigenden Teenager-Alltag in Manchester. Als er uns wegen des Meltdown-Auftritts anrief, sagten wir: Ja, fein, machen wir. Eine einmalige Sache, ein Spaß ohne große Konsequenzen“, erinnert sich Johansen.

Es ging also darum, „die Band wieder zusammenzubringen“. Dieses mythische Wiederauferstehungsritual, das in der Rockmusik längst einen festen Platz hat, wurde in diesem Fall jedoch durch die Tatsache erschwert, dass Gitarrist Johnny Thunders und Schlagzeugerjerry Nolan seit 15 Jahren in einer himmlischen Allstar-Band spielen. Doch die verbliebenen drei Mitglieder – Gitarrist Sylvain Sylvain, Bassist Arthur „Killer“ Kane und Sänger Johansen – fanden schnell Ersatz: Steve Conte übernahm den Part von Johnny Thunders, Brian Delaney ersetzte Jerry Nolan und Keyboarder Brian Koonin war in jeder Beziehung neu. Dass die New York Dolls auf dem Meltdown-Festival dann trotzdem mit dem damaligen Libertines-Schlagzeuger Gary Powell spielten, ist Johansen heute ein wenig peinlich: „Ja, Powell war dabei“, murmelt er genervt. „Es sollte ja nur ein einmaliges Ereignis werden. Deshalb sagte ich, lasst uns in England einen Schlagzeuger suchen, dann müssen wir keinen mitbringen.“

Wie auch immer, das Konzert begeisterte Publikum und Medien – obwohl Arthur Kane auf Fotos überhaupt nicht mehr wie ein „Killer“ aussah, sondern eher wie ein trauriger alter Mann, dem ein noch mal ein Traum erfüllt wird. Und so war es ja auch. Nach der Show drängten sich im Backstage-Bereich die Stars: von Sky Saxon bis Sir Bob Geldof, Paul Cook, Glen Matlock und Mickjones. Das hatte wirklich niemand erwartet- am allerwenigsten die New York Dolls selber: „Bloß ein paar Tage später rief Morrissey schon wieder an und fragte, ob wir mit ihm zusammen in Manchester auftreten möchten. Haben wir natürlich gemacht. Nach ein paar weiteren Konzerten und Festivalauftritten fassten wir einen Entschluss: Wir sind eine klasse Band let’splay! Ein neues Album war dann nur die logische Konsequenz. Es gab nie einen Plan, es passierte einfach- so wie das Leben fortschreitet und wir ihm folgen.“

Wer hätte 1972 gedacht, dass David Johanson einmal so gelassen und altersweise daher reden würde? Auf dem Cover des legendären Debütalbums „New York Dolls“ sehen die Musiker aus, als seien sie eben Hubert Selbys Roman „Last Exit Brooklyn“ entsprungen: fünf grell geschminkte Transvestiten, in schrillen Fummeln und Höhenangst provozierenden Plateauschuhen – gelangweilt, unzufrieden und latent aggressiv. Viel mehr als bei den Punkbands, die lange nach ihnen kamen, sagte diese Pose: „Hey Leute! Ihr könnt uns alle mal am Arsch lecken!“ „Wir träumten damals davon, eine Art drittes Geschlecht zu erschaffen“, behauptet Johansen und grinst dabei über die volle Breitseite seines gigantischen Sofa-Mundes. „Wie ein Blaubart auf der Insel der verlorenen Seelen, hahaha. Wir waren alle im East Village unterwegs und liebten es, uns zu stylen. So haben sich die New York Dolls kennen gelernt. Niemand hat gesagt: Jetzt ziehen wir uns mal richtig verrückt an! Die Band kam zusammen, weil jeder von uns eine Vorliebe für das Flamboyante hatte.“

Bis auf den in Staten Island aufgewachsenen Johansen gehörten alle Musiker vorher zu Brooklyner Street-Gangs. Dort trug man Shark-Skin-Suits, Tab-Collar-Shirts und schmale Krawatten, ganz nach dem Vorbild von Dion & The Belmonts oder Gary LIS Bonds. Aus der optisch dezenteren Vorgänger-Band Actress entstanden Anfang 1972 die aufgetakelten New York Dolls, eine glamourös gefährliche Mischung aus Stil und Provokation. Der erste Auftritt in voller Kostümierung ging in einer Absteige in der Nähe des Times Square über die Bühne: „Das war unsere Defloration als Performer“, erinnert sich Johansen. „Es waren jede Menge Leute aus der Musikbranche da, alle begeistert, und mir wurde klar: Genau so müssen wir weitermachen.“

Die Trash-Ästhetik der New York Dolls war auch eine Reaktion auf den britischen Glam-Rock. Was die englischen Kinder im Nachmittags-TV-Programm begeisterte, hätte in den USA außerhalb des Sündenbabels New York jedoch zu spontanen Steinigungen geführt. Ein weiterer Unterschied war die maskulinere, kaputtere und verderbtere Ausstrahlung der Musiker. Auch die Songs hatten nicht den unschuldig properen Teenie-Glitter von Sweet und T.Rex – stattdessen trugen sie Titel wie „Trash“ oder „Pills“ und klangen dunkler und gemeiner, näher am gewalttätigen Röhren der Stooges, dichter am aufgegeilten Rhythm’n’Blues der frühen Rolling Stones.

Das Publikum der New York Dolls passte hervorragend zu seinen Idolen: jung, aber sophisticated. Hippe kleine New Yorker, die obszöne Klamotten trugen und den Kopf voller schmutziger Gedanken hatten. Auch der US-Korrespondent des „Melody Maker“ schwärmte: „The best new young band l’ve ever seen.“ Prompt reisten sie ins Glam-fizierte England, um in der gigantischen Wembley Arena, im Vorprogramm der Faces, ihr schillerndes Talent zu beweisen. Was ihnen auch gelang. Doch Schlagzeuger Billy Murcia überlebte den England-Trip nicht: Todesursache Champagner, Drogen, Erbrochenes. Murcia war nicht der einzige Drogenfreund in der Band, und mit dem neuen Drummer Jerry Nolan sollte sich das nicht ändern.

Bald stand das grandiose Debüt in den Läden, doch welcher aufrechte Amerikaner würde ein Rock-Album kaufen, auf dessen Cover sich fünf Transen lümmeln? Trotz Hype und fantastischen Kritiken erreichte die Platte nur Platz 116 der „Billboard“-Charts. Der Titel des 1974 erschienen zweiten Albums brachte die Problematik der Band auf den Punkt: „Too Much, Too Soon“. Mehr als Platz 167 war auch diesmal nicht drin. Für die Plattenfirma Mercury, die zunächst geglaubt hatte, einen dicken Fisch an der Angel zu haben, war das entschieden zu wenig. Die Band wurde gefeuert – dabei hatten vor allem die Songs des von Todd Rundgren produzierten ersten Albums nur einen einzigen Makel: Sie erschienen zu früh.

„Frankenstein“, Personality Crisis“ oder „Looking For A Kiss“ waren Punk-Rock, bevor der Begriff überhaupt existierte. Und noch viele Jahre später sollte ein deutsches Bunthaar namens Campino singen: „So lange Johnny Thunders lebt, so lang bleib ich ein Punk.“ Der Tod des New York Dolls-Gitarristen im April 1991 führte dann trotzdem nicht zur Auflösung der Toten Hosen, nur zu einer Textänderung.

Kurz bevor Thunders und Nolan die Band verließen, um mit Richard Hell die Heartbreakers zu gründen, stieß 1975 Malcolm McLaren zu der zunehmend derangierten Truppe. Manager, Ideen-Mann und Provokateur soll er gewesen sein, behaupten einschlägige Quellen. Doch sein angeblicher Schützling sieht das anders: „Sylvain und ich hatten damals einen Song namens ,Red Patent Leather‘ geschrieben. Wir riefen Malcolm an, den wir von früheren Besuchen in seinem Laden kannten, und bestellten bei ihm passende Kleidung aus rotem Lackleder. Seine damalige Frau Vivienne Westwood entwarf dann die Sachen, die wir auch auf dem Cover des Live-Albums ,Red Patent Leather‘ tragen. Um das Ganze auf die Spitze zu treiben, hängten wir bei Konzerten rote Fahnen mit Hammer und Sichel auf: Let’s have a communist party! Wir wollten uns ein wenig lustig machen über die ganzen blöden Klischees. Malcolm war dabei nur unser Herrenausstatter! Er hat uns unterstützt, doch er war nie unser Manager. Sein Geschmack bei Herren-Kleidung ist hervorragend.“

Johansen sieht aus, als könne er so etwas beurteilen. Das dezente Rockstar-Outfit steht dem 56-Jährigen ebenso prächtig wie der beschwipste Salonlöwen-Look seines langjährigen Alter-Egos Buster Poindexter: „Der verbringt zur Zeit einen längeren Aufenthalt in der Betty-Ford-Klinik.“ Eigentlich schade, denn Busters Musik war ein zwar greller, aber enorm vergnüglicher Mix aus Salsa, Jazz, Calypso und Novelty-Songs. Die 1987 erschienene Single „Hot Hot Hot“ ist vermutlich der einzige echte Hit, denn Johansen jemals aufgenommen hat. Das jüngste, ebenfalls sehr hörenswerte, im obskuren Folk und Blues beheimatete Projekt David Johansen & The Harry Smith ist dagegen nur ein audiophiles Hobby. Die fast zwei Dutzend Film- und TV-Rollen sind dem New Yorker Bohemien fast schon peinlich: „Ich bitte Sie, ich bin kein Schauspieler, ich mache das nur für Freunde, das ist keine wirkliche Leidenschaft.“

Während Johansen in den letzten drei Jahrzehnten also als Lebemann durch die Straßen des Village flanierte, hat Sylvain Sylvain weniger gute Zeiten hinter sich. Nach einer glücklosen Band und einem erfolglosen Soloalbum musste sich der Cousin des Modedesigners Isaac Mizrahi zuletzt als Taxifahrer durchschlagen. Noch tragischer verlief das Leben des 1989 zu den Mormonen konvertierten Arthur Kane: Nur vier Wochen nach der triumphalen Rückkehr der New York Dolls starb er im Juli 2004 an einer zu spät diagnostizierten Leukämie. „Arthurs Tod hatte etwas Bittersüßes“, sagt Johansen. „Für mich war es tragisch, weil ich gehofft hatte, nun mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Für ihn selber war es anders: Die Wiedervereinigung der New York Dolls bedeutete ihm sehr viel. Er starb in einem glücklichen Moment, an einem Höhepunkt seines Lebens.“

Auf dem Ende Juli erscheinenden Album „Someday It Will Please Us To Remember Even This“ spielt Sammy Jaffa – früher ein Mitglied der talentierten New-York-Dolls-Imitatoren Hanoi Rocks – Kanes Rolle des Bassisten. Doch leider lässt sich die Geschichte nicht so einfach fortsetzen – auch wenn Produzent Jack Douglas bereits am legendären Debütalbum beteiligt war. Die Zeiten haben sich geändert, die Musiker auch. Niemand muss heute mehr fürchten, dass der Gitarrist, der schon die ganze Zeit so komisch mit den Augen rollt, gleich ohnmächtig wird. Es gibt keine schlampigen Patzer mehr, kein minutenlanges „Frankenstein! Frankenstein!“-Geschrei. Millionen von Punk-, Hard- und Sleaze-Rock-Bands haben den originellen und manischen Sound von einst zu einem Mainstream-Format poliert.

Niemand weiß das besser als Johansen, der den herrlich ironischen Albumtitel tatsächlich bei Vergil nachgeschlagen hat: „Mein Latein ist nicht mehr so gut wie früher, die Übersetzungen sind möglicherweise nicht ganz akkurat“, sagt er mit kokettem Grinsen. „Doch diese Zeile hat mir gefallen: Die Menschen beschweren sich so oft über die schlimmen Zeiten aber schon ein paar Jahre später ist die gleiche Epoche für sie ,die gute alte Zeit‘.“

Und selbstverständlich ist es der alte Bonvivant Johansen, der dieses, ähem, „Comeback“-Album erträglich und bisweilen amüsant macht. Wenn er gleich im ersten Song behauptet „We’re all sleeping in one great big bed, even like to think we’re sick in the head“, und sich lustig macht über die Klischees des Rock im Allgemeinen und die der New York Dolls im Besonderen. Seine Stimme ist tiefer, voller, besser geworden, sein Mundharmonika-Spiel süffiger und eleganter. Auch der ohne die alten Plateauschuhe recht kleine Sylvain macht seine Sache ordentlich.

Die üblichen „alten Freunde“ hätte das dritte Studioalbum der New York Dolls gar nicht gebraucht: Iggy Pop, Michael Stipe und Bo Diddley halten sich bei ihren Beiträgen ohnehin sehr zurück. Alles, was gut ist an dieser Platte, mitreißend, augenzwinkernd und cool, verdankt sie letztlich der Ironie und dem Stilgefühl David Johansens. Wie konnte man diesen grandiosen Entertainer all die Jahre so vernachlässigen? Bei der Frage, was die neuen Dolls mit der alten Truppe verbindet, lächelt er kurz und antwortet dann mit dem Charme eines Beerdigungsredners: „Viele Musiker sind verärgert, verbittert, und deshalb sterben sie einsam und traurig. Dabei ist Rock’n’Roll eine so göttliche und wunderbare Kunstform. Würde Rock’n’Roll nicht existieren, ginge das Leben auch so seinen Weg. Doch die Tatsache, dass es ihn gibt, macht vieles so viel lebenswerter.“

Zum Abschied hätten wir trotzdem gerne noch eine Antwort auf die drängende Frage: Wie werden die New York Dolls auf die Bühnen zurückkehren – als Drag-Queens? „Nun, ich werde vermutlich einem dreiteiligen Anzug tragen und dazu einen Aktenkoffer…Nein, wirklich, ich kann dazu nichts sagen. Man kann ohnehin nicht behaupten, irgend etwas sei ,drag‘ oder was auch immer. Viele Menschen sind Klone, darauf konditioniert gut zu arbeiten und nicht aus der Masse herauszuragen. Ich dagegen war schon immer der Meinung, dass man das Leben unter allen Umständen feiern sollte – sich zu kleiden ist einer davon.“

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