Savages – Handys aus, Energie rein!

Vor lauter Adrenalinstößen kein Bier gekauft: Ralf Niemczyk kostete beim Konzert der Savages im Berliner Lido stattdessen eine Portion Zukunftsrock.

Die Frauenband in schwarz wollte es so – und das Publikum gehorchte. „Wir sind auf der Suche nach einer besseren Art zu leben und Musik wahrzunehmen. Und wir glauben, dass uns das Fotografieren und Filmen daran hindert, uns auf dieses Erlebnis einzulassen. Schaltet also eure Handys aus!“ So oder ähnlich stand es auf vielfach ausgehängten DIN-A-4-Blättern im Bar- und Bühnenbereich des Kreuzberger Liveclubs Lido zu lesen. Und nur ganz vereinzelt blitzten am Pfingst-Wochenende im Publikum Mobiltelefone auf, um das Konzert des Londoner Quartetts Savages auf Speicherchip zu bannen. Eine überaus wohltuende Erfahrung ohne Multimedia-Geflacker. Eine stille Dunkelheit, die bestens zum schnörkellosen Vortrag der französischen Sängerin Jehnny Beth (alias Camille Berthomier) und ihren zackigen Mitstreiterinnen passte.

Wo das Debutalbum „Silence Yourself“ mit programmatischen Parolen auf dem strengen Schwarz-Weiß-Cover daherkommt, konzentrieren sich die Damen beim Livevortrag vollends auf die Musik. Minimale Ansagen, schlichte Lichtshow, keinerlei Deko oder Showklamotten: Eins, zwei, drei und los geht’s. Und dann ist mit gleich mittendrin in den kompakt sägenden Riffs über denen sich der schneidende Gesang von Mrs Beth windet. Und ja, sie klingt auch live nach Siouxsie Sioux. Doch wo die Ahnherrin der Goth-Ästhetik ihre Lyrics mal schreckschraubig rausgehämmert hat, mal theatralisch modulierte, verzichten die vier Savages auf expressives Lametta. Schnörkellos ist ganz offenbar das neue New York!

Auch haben die Savages mit dem experimentellen Ansatz der „ genialen Dilettanten“ nur wenig anfangen, wie er in den frühen Punktagen en vogue war. Jehnny Beth, Gemma Thompson (git), Ayse Hassan (Bass) und Drummerin Fay Milton gründen ihre extrem verdichteten Songstrukturen auf der soliden Beherrschung ihrer Instrumente. Klassisches Handwerk für den Clash der Verhältnisse. Im stakkato-haften „Hit Me“ etwa huldigen sie dem Hardcore-Kult des Porno-Ikone Belladonna. Kämpferisch wird formuliert, dass es schlimmeres gibt als zerbrochene Herzen. Die Savages als Meisterinnen des Anti-Kitsches.

Und immer, wenn ihre Soundwände ins Eintönige abgleiten und man daran denkt, vielleicht ein neues Bier an der Theke zu ordern, setzt es einen neuen Adrenalinstoß, der jeweils von ihren Singles „Fly to Berlin“ (hier mit versöhnlicher Ansage am Ort des Geschehens) und „She Will“ ausgeht. Das Publikum im nahezu ausverkauften Haus reagiert mit einem zackigen Auf-und-Nieder-Gewackel nebst einiger gereckter Fäuste. Kein Pogo, sondern eher kontrollierte Attacke. Eine angemessene Körpersprache auf das Sägesound der schwarzen Schwestern. Als die Savages nach einer gefühlten Stunde zackig und ohne Zugabe von der Bühne steigen, konnte man sich durchaus mit dem Gefühl ins Berliner Nachtleben stürzen, soeben die zeitgemäßeren My Bloody Valentines gesehen zu haben. Eine Portion Zukunftsrock!

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