Schöne neue Welt

Mit seinem dritten Werk als Final Fantasy gelingt dem kanadischen Musiker Owen Pallett ein großer Wurf.

Treffen wir einen jungen Mann, der mit Anfang 20 seine erste Oper schrieb und nun, mit 30 Jahren, zu den gefragtesten Künstlern im Popgeschäft gehört. Er heißt Owen Pallett. Immer noch zu wenigen ein Begriff, dabei hatte er maßgeblichen Anteil an den letzten Werken von Arcade Fire, den Pet Shop Boys, den Last Shadow Puppets und dem Jungmädchenschwarm Mika. Da war der studierte Musiker aus Toronto jeweils für die großen Arrangements zuständig.

Wer jetzt an manipulative, an- und abschwellende Streicherseligkeit denkt, wie man sie im Pop so oft zu hören bekommt, wenn ein Orchester im Spiel ist, liegt aber vollkommen falsch. Palletts Partituren sind brüchiger, komplexer als die kitschigen Klangtapeten aus dem Pop-Baumarkt.

Manchmal, viel zu selten, steht Pallett auch selbst im Spotlight. Man erkennt ihn nicht sofort, denn er versteckt er sich hinter einem Projektnamen. Final Fantasy nennt er sich. Nach einem virtuellen Rollenspiel. Viel Zeit blieb ihm für solche Aktivitäten allerdings in den drei Jahren seit der Veröffentlichung des letzten Final Fantasy-Albums „He Poos Clouds“ nicht. Da stellte Pallett, der früher auch bei den Hidden Cameras spielte und immer noch mit den Bands Les Mouches und Picastro spielt, seine Talente als Musiker und Arrangeur in den Dienst anderer Musiker. Insgesamt arbeitete er an knapp 30 Alben mit. Und als sei das noch nicht beeindruckend genug, komponierte er auch noch einige Soundtracks und stand mit Freunden wie Patrick Wolf, Jens Lekman oder Grizzly Bear auf der Bühne. „Im August 2008 hörte ich auf, jede Anfrage mit einem , Ja‘ zu beantworten und sagte von da an fast nur noch ,Nein‘, um mein neues Album endlich fertig zu bekommen“, lacht Pallett und lehnt sich erschöpft zurück auf dem altmodischen grünen Sofa im Berliner Büro seiner neuen Plattenfirma Domino Records.

Die Idee zum neuen Final Fantasy-Album hatte er bereits 2006, als er meist allein mit Geige, zahlreichen Effektpedalen und dem Material von „He Poos Clouds“ durch die Lande tourte. Auch der Titel kursiert seitdem im Internet: „Heartland“. Doch bevor er sich an den großen Pop-Entwurf machte, wollte Pallett zunächst das kleine Einmaleins der Musikproduktion erlernen.

Um ein paar Erfahrungen zu sammeln, versuchte er sich zunächst an zwei EPs: einem Tribut an den ebenfalls aus Toronto stammenden Songwriter Alex Lukashevsky und seine Band Deep Dark United namens „Plays To Please“, auf dem ein 35-köpfiges Orchester zu hören ist, und einer Sammlung eigener Songs namens „Spectrum, 14th Century“, die er mit der befreundeten Balkan-Pop-Truppe Beirut aufnahm.

Letztgenannte EP war schon eine Art Vorbote zum neuen Album, denn der EP-Titel gibt Ort und Zeit der Handlung von „Heartland“ an. Spectrum ist eine fiktive, sich noch in patriachalen Strukturen befindliche Welt. Der von allen angebetete Schöpfer dieser Welt ist – natürlich – ein gewisser Owen. Die Songs werden aus der Perspektive des jungen frommen Farmers Lewis gesungen, der eine innige Zwiesprache mit seinem Demiurgen hält. Er klagt und flucht, er hadert und bockt – schließlich tötet er diesen Owen sogar.

Strukturalistisch geschulte Hörer werden hier eine Anspielung auf Roland Barthes‘ schon sprichwörtlichen Aufsatz „Der Tod des Autors“ vermuten, und wenn man Pallett darauf anspricht, nickt er eifrig. „Ja, den Text habe ich noch mal gelesen, während ich die Stücke schrieb. Auch sein .Fragmente einer Sprache der Liebe‘ ist in die Liedtexte eingeflossen. Teile des Albums sind quasi eine neue Lesart dieses Buches.“ Auch foucaultsche Machtdiskurse werden in den Songs angedeutet, und das Konzept der Fremdheit im Sinne der französischen Literaturtheoretikerin Julia Kristeva klingt an. „Meine Hauptfigur Lewis repräsentiert diese Fremdheit. Er ist alles, was ich nicht bin“, erklärt Pallett. „Er ist ziemlich gewalttätig, und er ist sehr besorgt um seine Beziehung zu dieser höheren Macht. Also das komplette Gegenteil von mir. Inspiriert wurde die Figur hauptsächlich von Yukio Mishimas ‚Geständnisse einer Maske‘.“

Die Lektüre dieses Romans, der die Selbstentdeckung eines Homosexuellen schildert, bescherte anscheinend vielen schwulen Künstler in ihrer Jugend eine Art Erweckungserlebnis. Auch auf den letzten beiden Album von Anthony & The Johnsons spielten etwa Mishimas

Texte und Leben eine tragende Rolle. „Oh Mann, ich hasse es, darüber zu sprechen, das klingt wie erstes Semester Queer Theory“, stöhnt Pallet. „Na, jedenfalls der Erzähler dieses Romans ist so ein schwächlicher Junge, der seine Nase vor allem in Bücher steckt. Und er beobachtet diesen jungen Mann mit einer Stange auf den Schultern, an denen an jeder Seite ein Eimer Scheiße hängt. Und er fühlt sich extrem zu diesem muskulösen Typen hingezogen, weil er in ihm eine Verkörperung des einfachen Lebensstil sieht. Der repräsentiert alles, was er nicht ist. Und der Junge fühlt sich nutzlos und denkt, dass das genau das ist, was er erreichen will und was er begehrt. Als ich das mit Anfang 20 las, hat das in meinem Kopf etwas ausgelöst, und ich habe besser verstanden, was mich an anderen Menschen fasziniert und anzieht.“

Er sei selbst unter solchen „einfachen Menschen“ auf dem Land aufgewachsen, erklärt Pallett. Habe in seiner Kindheit und Jugend unter anderem viel Zeit in Utah verbracht. Der Albumtitel „Heartland“ ist also auch eine geografische Bezeichnung der Gegend, die Pate stand für diese fiktive Welt. „In Kanada wie auch in den USA benutzen Politiker den Begriff „Heartland“ als eine Art Codewort für die Arbeiterklasse. Also für Menschen, die intellektuellen Akademikern aus den Städten nicht so recht trauen und glauben, wer in New York City lebt, nimmt Drogen und kassiert Geld vom Staat (lacht). Ich habe eine Faszination für diese konservative Lebens- und Denkungsart. Sicher weil ich dort aufgewachsen bin.“

Am Ende des Albums verschmelzen die Stimmen des intellektuellen Schöpfers Owen und des athletischen, gottesfürchtigen Lewis im Duett „What Do You Think Will Happen Next“: „And though I listen to the arguments/ That most divergent Systems employ to/ Debilitate us, delineate us/ Repackage our words, demystify us/ I unceasingly affirm my love.“ Da klingt ein Satz der bereits erwähnten Julia Kristeva nach: „Der Fremde entsteht, wenn in mir das Bewusstsein meiner Differenz auftaucht, und er hört auf zu bestehen, wenn wir uns alle als Fremde erkennen.“

Da in diesem letzten Stück des Albums erstmals der Autor/Schöpfer selbst zu Wort kommt, erfahren wir auch einiges über Palletts künstlerische Vision. „Ich wollte einfach die vierte Wand einreißen“, sagt er. „So wie Puck am Ende des ,Mittsommernachtstraum“, wenn er sich an das Publikum wendet. Das tue ich hier auch. Ich habe den Song sehr spät im Aufnahmeprozess geschrieben. Da war das Album schon fast fertig. Und ich glaube, die ganze Platte war eine kathartische Erfahrung für mich. Dieser Song kam wirklich von Herzen.“

Klingt alles wie verkopftes Regietheater, Konzeptkunst gar? Klar, man kann „Heartland“ ’so hören, mit der Nase überm Textheft. Aber man muss es nicht. „Das Album ist auch nicht mehr oder weniger ein Konzeptalbum als etwa Springsteens „Nebraska“, meint Pallett. „Mit dem Unterschied vielleicht, dass ich mit der Position des Autors und der Erzählperspektive spiele.“ Vielleicht unterschätzt er da Springsteen ein bisschen bzw. fällt auf den Mythos herein, den der um sich gestrickt hat. Natürlich spielt auch der mit Perspektiven und Rollen. Er legt es nur nicht offen.

Also noch mal. „Heartland“ ist keine reine Kopfgeburt, sondern trotz all des bisher Gesagten und Geschriebenen ein leicht ins Ohr gehendes, zugängliches Album, das Final Fantasy zu der Bekanntheit verhelfen sollte, die Owen Pallett als Arrangeur bei Kollegen längst besitzt. Hatte er auf seinem Debüt „Has A Good Home“ noch viel alleine musiziert, auf „He Poos Clouds“ dann schon mit einem Streichquartett, engagierte er für „Heartland“ nun das Czech Symphony Orchestra. Das Geld dafür hat er sich selbst zusammengespart. „Ich habe keine Laster, nehme keine Drogen, habe kein Auto“, grinst Pallett. „Das Einzige, für das ich manchmal Geld ausgebe, sind teure Klamotten.“ Und nun eben osteuropäische Musiker. „Heartland‘ sollte halt eine orchestrale Platte werden“, erklärt er. „Aber nicht in der Tradition von Randy Newman, Harry Nilsson, Van Dyke Parks oder Judee Sill, sondern eher geschult am Synth-Pop. Da standen Orchestral Manoeuvres In The Dark und die frühen Eurythmics Pate. Diese Mini-Partituren, die ich für die Streicher geschrieben habe, sind ästhetisch an das angelehnt, was dort Analog-Synthesizer spielen. Und die Schlagzeug-Sounds habe ich bei den Silver Apples abgeschaut.“

Eighties-Pop, psychedelische Sixties-Elektronik, französische Philosophie „Heartland“ ist eines dieser Alben, die einem mehr geben als einfach eine Stunde gute Unterhaltung (das allerdings auch). Es gibt einem eine Welt, in die man eintauchen kann, so wie in die von Pallett so geliebten Computer-Rollenspiele. „Ich wollte ein Album machen, das drei Dimensionen hat“, sagt er. „Ich meine nicht nur die lyrische Narration, ich meine auch akustisch. Wenn man Kopfhörer aufsetzt, sollen da Sounds sein, die man direkt im Ohr hört, und andere, die weit weg sind. Die Band Xiu Xiu beherrscht das meisterhaft. Diese Mehrdimensionalität sollte für das Album als Ganzes gelten. ‚Heartland‘ sollte zunächst mal eine Pop-Platte sein, die einfach Spaß macht. Und wenn man es öfter hört, erschließen sich nach und nach die verschiedenen narrativen und akustischen Schichten, und man stellt fest, dass vieles sich im Hintergrund abspielt.“

„Heartland“ mag nur ein kleiner Planet sein im großen Pop-Universum, aber wer ihn sich erschließt, wird es nicht bereuen.

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