Schwarz auf weiß

RICKY HAT SEHR GUTE Laune. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, wir sitzen an einem der ersten warmen Tage des Jahres im Innenhof eines Berliner Hipster-Hotels, der Inhalt seiner selbstgedrehten Rauchwaren scheint ihm hervorragend zu munden. Von dem muffigen Journalistenschreck der späten Neunziger-und Nullerjahre ist nichts mehr übrig geblieben, der aktuelle Tricky ist die Herzlichkeit in Person, am Ende des Gesprächs kann ich mich kaum vor Umarmungen retten.

Nun gibt es ausnahmsweise aber auch nichts auszusetzen an seiner Musik. Nach einem beklagenswerten, über 15 Jahre währenden Regress, der unmittelbar nach seinen epochalen ersten beiden Alben „Maxinquaye“ und „Pre-Millenium Tension“ einsetzte und Anfang der Nullerjahre zu einigen der ungenießbarsten TripHop-Funk-Metal-Platten der TripHop-Funk-Metal-Geschichte führte, hat er mit „False Idols“ nun fraglos das beste Album seit seinem Debüt aufgenommen. Erstmals seit „Maxinquaye“ gelingt ihm wieder jene geisterhafte, unterdrückt-angespannte Atmosphäre, die einen damals so faszinierte; mit „Nothing Matters“ und „We Don’t Die“ hat er zwei der besten Songs seiner Karriere geschrieben.

„False Idols“ klingt wie eine bewusste Rückkehr Trickys zu seinen Wurzeln; tatsächlich wiederholt er sogar einzelne Zitate des Debüts. „Dieser geisterhafte Synthie-Sound kurz vor dem Ende des Albums“, frage ich ihn, „ist das nicht ein Sample aus ,Ghosts‘ von Japan?“ – „Oh ja“, sagt er, „ich liebe dieses Stück so sehr! Es klingt wie ein Traum, es ist der traumhafteste Song, den es gibt auf der Welt! Und David Sylvian ist so ein großartiger Künstler – und einer der meistunterschätzten! Die jungen Leute wissen überhaupt nicht mehr, wer das ist! Darum wollte ich mit diesem Song meine Liebe für ihn ausdrücken.“

Schon in „Maxinquaye“ hatte Tricky eine Passage aus „Ghosts“ montiert. In den letzten Zeilen des Stücks „Aftermath“ rezitierte er David Sylvians Text, seine wehe Beschwörung einer nicht vergehenden Vergangenheit. In den Worten von Sylvian sprach Tricky von den Geistern jener unabgegoltenen Schuld, von der sich das Ich seines Lieds immer wieder eingeholt findet: „I cannot be saved“. Im vorletzten Stück auf „False Idols“,“Hey Love“, kehrt er nun wieder zu diesen Geistern zurück: in einem winzigen, aber in seiner klanglichen Unheimlichkeit hoch charismatischen Sample, auf dessen Rhythmisierung der ganze Song dann beruht. Die Melancholie des Originals ist freilich einer optimistischen Grundhaltung gewichen, es geht um die Freude des Wiedersehens mit einem alten Freund, einer Liebe von einst.

Wie kam es damals, als er zu musizieren begann, überhaupt zu seiner Begeisterung für David Sylvian und für Japan? Und für Roxy Music und David Bowie und all diese weißen Art-Rock-Protagonisten, die er immer wieder als Einflüsse nennt? In den Achtzigern und frühen Neunzigern war es nicht unbedingt üblich, „weiße“ und „schwarze“ Musik, Art-Rock und New Wave und HipHop durcheinanderzuhören. „Oh nein“, sagt Tricky, „ich bin auch weit und breit der Einzige gewesen! Das liegt daran, dass ich aus einer mixed race family komme. Mein Vater ist Jamaikaner, meine Mutter war zur Hälfte weiß, meine Großmutter war weiß. Ich bin bei meiner Großmutter in einem weißen Ghetto aufgewachsen, aber seit ich fünfzehn war, bin ich immer, wenn ich Gras brauchte, zu meinem Vater ins schwarze Ghetto rübergelaufen. So wechselte ich ständig zwischen den Welten. Später bin ich mit meinen Freunden immer in weiße Clubs gegangen und war da der einzige Schwarze. Aber weil ich aus dem weißen Ghetto kam, war das okay. Ich war schwarz, aber auch wiederum nicht schwarz, verstehst du?“ So habe er gleichermaßen Parliament und Gary Numan, Nile Rodgers und The Cure zu hören bekommen.

Und wirklich, in den

geisterhaft gehauchten und gebrummten Stücken seines Debüts konnte man gleichermaßen die „weiße“ Postpunk- und Goth-Kultur wiederhören wie die „schwarze“ britische Clubmusik der frühen Neunzigerjahre, Jungle und Drum’n’Bass. „False Idols“ wiederholt diese Vermischung der Stile und Farben bei gleichzeitiger Verwischt-und Verwaschenheit der Musik. Gerade in dieser weidlich ausgekosteten Ästhetik der Unschärfe gelingen Tricky seit Langem die pointiertesten Songs. „Danke! Und weißt du, woran das liegt? Ich bin endlich wieder auf einem Label, dem ich vertrauen kann und dem ich gute Songs anbieten mag! Das ist ein deutsches Label, !K7 Records, und sein Chef Horst Weidenmüller ist der beste Typ, den es gibt in der Branche; er vertraut mir und lässt mich einfach gewähren.“ Nun war er vorher ja auch schon bei einem unabhängigen Label, bei Domino Records … – „… ja, bäh, was ist denn an denen unabhängig? Laurence Bell von Domino hat mich gekauft und hat geglaubt, er kriegt Tricky, die Trendmarke, die Credibility-Marke, und kann dann was Großes draus machen. Er hat sich überhaupt nicht für meine Kunst interessiert und war dann total angepisst, dass ich keine Nummer-eins-Hits bekam.“

Apropos Nummer-eins-Hits, was ist eigentlich aus Brown Punk geworden, dem Label, das er vor ein paar Jahren mit dem Ex-Island-Records-Mogul Chris Blackwell gegründet hat? Nach allerlei vollmundigen Ankündigungen war davon nie wieder etwas zu hören, und nun hat er unter dem Namen False Idols schon das nächste Label ins Leben gerufen. „Chris und ich waren Freunde. Wir haben viel zusammengehockt und Platten gehört. Aber als wir daraus ein Label zu machen versuchten, saß ich eben nicht mehr mit Chris zusammen, sondern mit irgendwelchen Geschäfts-und Mittelsmännern, die sich nicht für Musik interessierten, sondern bloß für Zahlen. Das hat mir keinen Spaß gemacht, das wollte ich nicht. Also haben wir das Ding eingestampft.“

Auch das sei bei False Idols nun wieder anders, das Label werde von !K7 vertrieben, aber bei der Auswahl des Repertoires lasse man ihm freie Hand. Wer sind die ersten Künstler, die er herausbringen will?“Es gibt da eine Frau namens Francesca Belmonte, die hört man auch auf dem ,False Idols‘-Album singen: Die hat sich bei einer öffentlichen Probe bei mir einfach als Sängerin beworben -und sie ist wirklich fantastisch! Oder Fifi Rong, die kommt aus Hongkong, lebt aber in London und singt abwechselnd auf Englisch und auf Chinesisch! Und mein jüngerer Bruder Marlon, der wird auch ein Album da herausbringen.“

Mit Belmonte und Rong scheint Tricky auch wieder Sängerinnen und Musen gefunden zu haben, die ihn ähnlich inspirieren wie weiland Martina Topley-Bird. Und die in ähnlich heiserer, körperloser Weise zu singen verstehen wie er. Warum sucht er sich eigentlich immer heisere Sängerinnen aus?“Weil ich keine ,vollen‘ Stimmen ertragen kann! Ich hasse Overacting, ich hasse jede Art von Extemporieren. Es geht mir um die Spannung, um die Ambivalenz, um die Unschärfe. Ich sing ja selber auch nicht wie ein Macho-Mann!“

Stimmt, vielleicht kann man Trickys sexuell ambivalente Ästhetik, das Geisterhafte, Effeminierte, seinen Verzicht auf jedes Dicke-Eier-Gerappe ja sogar als einen Vorreiter der aktuellen Queer-HipHop-Welle betrachten. Für einen der prominentesten Protagonisten dieser Szene, den New Yorker Rapper Zebra Katz, hat er jedenfalls gerade einen Remix produziert. Und mit einem anderen, Mykki Blanco, tritt er bei seinem ersten „False Idols“-Showcase in Deutschland im Berghain auf.

„Aha! Tue ich das? Mit Mykki Blanco? Wer ist Mykki Blanco?“ Äh, ein schwuler Rapper aus New York, der in Drag-Kostümen auftritt. „Nie gehört!“ Ich dachte, dass du als Künstler jetzt alles selber bestimmst? Bloß nicht die Leute, mit denen du auftrittst?“Hm. Mykki Blanco. Kenn ich nicht. Ist der cool?“ Absolut! Eigentlich ist er wie der junge Tricky, er entzieht sich dem Macho-Diskurs des Genres, er mischt „weiße“ und „schwarze“ Stile, und er ist ein begnadetgeschmackvoller Crossdresser, wie du selber damals auf dem Cover von „Overcome“.“Super, wenn du sagst, dass der Typ cool ist, dann sprech ich den beim Soundcheck mal an! Und dann werden wir auf alle Fälle ein Stück miteinander aufnehmen!“

WOHER DIE „GHOSTS“ FÜR TRICKYS ALBUM KOMMEN

Die Band Japan schrieb 1981 das Lieblingslied des TripHop-Gründungsvaters: ein Stück zwischen romantischer und elektronischer Ästhetik zur Zeitenwende

Das erste Album der englischen Band Japan erschien 1978 und schlug die Brücke von Glam-Rock zu den New Romantics der frühen 80er-Jahre. David Sylvian, Mick Karn, David Jansen und Richard Barbieri waren inspiriert vom unterkühlt-ästhetizistischen Pop von David Bowie und Roxy Music und entwickelten die Elektronik weiter; 1979 arbeiteten sie mit Giorgio Moroder, auch mit Ryuichi Sakamoto an ihrer Musik. Moroder ging bald darauf nach Hollywood, und Japan veröffentlichten „Gentlemen Take Polaroids“. 1981 erschien das letzte Studio-Album der Band, „Tin Drum“, auf dem „Ghosts“ enthalten ist. Der Song war ein Top-5-Hit in England und der größte Chart-Erfolg der Gruppe. Im Dezember 1982 gingen die Musiker auseinander. David Sylvian nahm viele gefeierte Soloplatten auf; Mick Karn ein paar wenige; Barbieri und Jansen veröffentlichten ein Album als The Dolphin Brothers. 1992 gab es eine letzte Platte der vier Musiker unter dem Moniker Rain Tree Crow, die zum endgültigen Zerwürfnis führte.

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