Schwebebalken der Emotion

RUHIG UND BESONNEN, dabei von fast schon aufreizender Nüchternheit und Klarheit – so kennt man die Stimme von Suzanne Vega, die im Pop-Kosmos ihresgleichen sucht. Doch in den letzten Jahren schien diese Stimme so leise zu werden, dass sie in Vergessenheit zu geraten drohte. Die bewunderungswürdige Anstrengung der „Close-Up“-Serie (vier Alben mit alten Songs in neuem akustischen Gewand, erschienen von 2010 bis 2012) finanzierte ihr immerhin den Lebensunterhalt und verschaffte ihr Zeit, sich in einer Welt aus MP3, Facebook und Twitter zu orientieren, wie sie sagt. „Ich wollte meinen Back-Katalog zurückerobern. Ich habe zwar die Rechte an den Songs, aber nicht an den Aufnahmen“, erklärt sie geduldig. Mit dem üblichen Bedürfnis vieler Musiker, sich durch den Griff in die eigene Vergangenheit einen Hauch Selbstbestätigung abzuholen, habe das allerdings nichts zu tun. „Dafür hätte ich einfach auf iTunes gehen und mir meine alten Sachen anhören können. Mich nervt diese permanente Nostalgie, dieses ‚Oh yeah, she’s from the 80s‘. Meine Songs neu zu organisieren und nach einer bestimmten Playlist zu kategorisieren, gab mir die Möglichkeit, sie dieser Nostalgie zu entreißen. Ich wollte das Publikum dazu bringen, den Kontext der Stücke neu zu überdenken.“

Jetzt, nach dem einsamen Streifzug durch ihr eigenes Repertoire, nach Plattenfirmen-Querelen, nach dem Wechsel vom Major A&M über den Universal-Schützling Blue Note zu ihrem eigenen Sub-Label Amanuensis Productions/Razor & Tie wirken einige Songs ihres neuen Albums „Tales From The Realm Of The Queen Of Pentacles“ wie eine Offenbarung, wie das Brechen eines langen Schweigens, ja wie ein Befreiungsschlag. „Ich spürte, dass es an der Zeit war, noch einmal alles aufzufahren, was angesichts unseres geringen Budgets möglich war“, erzählt Vega. Was dann aber doch viel mehr war, als man bei dieser relativierten Zielsetzung vermuten könnte.

Zu verdanken ist das vor allem Produzent und Gitarrist Gerry Leonard, der mehrfach für David Bowie, unter anderem an „The Next Day“, gearbeitet hat. Er kreierte ein Sound-Panorama, das Vega selbst in entlegeneren Stilecken strahlen lässt. So taucht etwa im Song „Don’t Uncork What You Can’t Contain“ ein Streicher-Sample des 50-Cent-Hits „Candy Shop“ auf. Nun brennt Vega neuerdings nicht für Gangsta-HipHop und Porno-Rap. Ihr Interesse gilt eher den produktionstechnischen Spielereien eines Scott Storch, seines Zeichens Ex-Roots-Mitglied und einer der gefragtesten Produzenten im Bereich HipHop und Contemporary R&B. „Mir gefällt, wie er mit arabischen Klischees arbeitet“, begeistert sich Vega. „Es ist wie ein Cartoon. Wenn ich einen Film machen könnte, dann wäre es eine Animation, in der 50 Cent und ich wie Jeannie aus der Wunderlampe kommen und Macklemore im Thrift Shop steht. Es wäre eine Sammlung von Cartoons. Und so klingt auch der Sound des Albums – wie cut and paste.“ An dieser Stelle sollten vielleicht auch Atheisten Gott dankbar sein, dass er Vega statt einer Kamera eine Gitarre in die Wiege gelegt hat.

Die spielt die New Yorkerin auf „Tales From The Realm Of The Queen Of Pentacles“ manchmal überraschend energisch. Im Rocksong „I Never Wear White“ knacken die E-Gitarren so zornig, dass man Angst hat, Vega könnte für einen Augenblick vom Schwebebalken ihrer Emotionen, auf dem sie sonst so elegant balanciert, kippen. Und das nur, weil sie sich an einer Petitesse typisch amerikanischer Bigotterie aufreibt: der diskret verschwiegene Dresscode für Frauen, die die 50 überschritten haben. „Weiß zu tragen, ist vor allem bei Frauen meines Alters eine Art von …“ – sie zögert, sucht nach der passenden Formulierung, „crisp classicism. Man stößt an eine Geschmacksgrenze, wenn man schwarze Klamotten anzieht. Die Leute fragen, ob jemand gestorben sei. Wenn man am Morgen frisch aussehen will, zieht man ein weißes Shirt an. Ich habe das eine Zeitlang versucht. Ich fühlte mich unsichtbar, nicht mehr wie ich selbst.“

Den mit Abstand persönlichsten Song des neuen Albums hat sie dem großen tschechischen Politiker, Menschenrechtler und passionierten Rockmusik-Fan Václav Havel gewidmet. 2006 erhielt Vega anlässlich von Havels 70. Geburtstag eine Einladung nach Prag, wo sie auch einige Songs zum Besten gab. „Nach der Show fragte er mich, ob ich am nächsten Morgen mit ihm frühstücken wolle. Von da an kam er zu jedem meiner Konzerte in Prag. Wir hatten eine wunderbare Freundschaft und schrieben uns oft Mails.“ 2009 spielte sie dann zum 20. Jubiläum der Samtenen Revolution, gemeinsam mit Lou Reed und Joan Baez.

Sehr häufig passiert es allerdings nicht, dass amerikanische Songwriter vom Leben und Werk europäischer Politikerikonen beeinflusst sind, oder?“In seiner Seele war er ein Künstler, ein Theatermensch. Er liebte die Atmosphäre von Bohemiens und Rock’n’Rollern. Für einen Präsidenten ist das die richtige Einstellung, um zu verstehen, wie Kunst entsteht und was sie bewirken kann. Außerdem hat mich sein Schicksal bewegt. Er hat viel gelitten, im Gefängnis, aber auch später“, erzählt Vega. Havels starker Wille, sein Durchhaltevermögen und sein Charisma haben sie tief beeindruckt. Nicht zuletzt sind es diese Eigenschaften, die sie selbst auf ihren Platten zu transportieren versucht. „Musik kann immer noch eine politische Botschaft ohne hohle Posen haben. Daran glaube ich nach wie vor fest.“

EIN HIT UND EIN HALBER

Vegas bis heute mit Abstand erfolgreichstes Album ist „Solitude Standing“ von 1987. Darauf enthalten sind „Luka“ und „Tom’s Diner“

Menschen, die in den Achtzigern aufwuchsen oder musikalisch mit Formatradiosendern sozialisiert wurden, verbinden Suzanne Vega vor allem mit zwei unzerstörbaren Songs. Der eine, „Luka“, eine beklemmende Geschichte über häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch in Verkleidung eines befreienden Gitarren-Pop-Arrangements. Der andere, „Tom’s Diner“, ein von Vega bereits 1981 geschriebenes, leises A-cappella-Stück über ein Eck-Restaurant in New York. Richtig bekannt wurde es jedoch erst 1990 in der Remix-Version des britischen Produzenten-Duos DNA, das Vegas stille Beobachtungen mit klobigem Beat, ein paar Streichern und Bläser-Akzenten tunte.

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