Shirley Manson von Garbage im Interview

Am Freitag erscheint das neue Album von Garbage - außerdem spielen sie auf dem von uns präsentieren Hurricane und Southside Festival. Zwei, bzw. gleich drei gute Gründe, Sängerin Shirley Manson zum Interview zu bitten.

In diesem Jahr finden die Festivals Hurricane und Southside am Wochenende vom 22. bis  zum 24. Juni statt – präsentiert vom ROLLING STONE. Wir stellen jede Woche einen Act des Line-ups vor – die großen ebenso wie die kleinen. Für das Feature in dieser Woche trafen wir Shirley Manson von Garbage, die uns verriet: „Der einzige Vorteil am Älterwerden: Man sieht vielleicht nicht mehr ganz so toll aus wie früher, fühlt sich aber viel besser.“ Alle weiteren Texte und Interviews zum Hurricane / Southside 2012 finden Sie hier auf unserer Themenseite.

Shirley Manson hat ihren Koffer verloren. Nicht zum ersten Mal: Seit sie 1994 von Duke Erikson, Steve Marker und Butch Vig zu Garbage geholt wurde – und so mit einem Schlag auf die große Weltbühne wechselte − verbringt die schottische Sängerin einen Großteil ihrer Zeit in Flugzeugen. Bereits mit dem Debüt „Garbage“ gelang der ursprünglich als Projekt konzipierten Band der große Durchbruch, bald waren die Musiker beinahe­ durchweg auf Reisen: „Mit bereitet das ständige Unterwegssein weniger Probleme als den anderen“, sagt Manson. „Ich liebe das Reisen, es weckt meine Lebensgeister.“ Nur die Sache mit dem verlorenen Gepäck sei ärgerlich: „Ich halte diesbezüglich klar den Bandrekord.“

Es ist Ende März und Shirley Manson in Berlin. Am Wochenende reiste sie aus Los Angeles an, wo sie gemeinsam mit ihrem zweiten Mann, dem Garbage-Kollaborateur Billy Bush, wohnt. Aber nichts ist mit Shopping, Galerien und Biergärten − Shirley Mansion muss sich erst mal auf auf die Suche nach ihrem verlorenen Gepäck machen. Kein Umstand indes, welcher der 45-Jährigen die gute Laune verderben könnte: Nach schwierigen Jahren, endlosen Querelen mit der alten Plattenfirma und dem misslungenen Versuch, ein Soloalbum zu veröffentlichen, hat Manson vergangenes Jahr mit Garbage deren insgesamt fünftes Album, „Not Your Kind Of People“, aufgenommen. Ein Werk, mit dem die Band so zufrieden ist, dass sie sich dieses Frühjahr zum ersten Mal seit langer Zeit wieder auf eine größere Tournee wagt, die sie auch zu den Hurricane- und Southside-Festivals führen wird.

Shirley Manson, waren die vergangenen sechs Jahre von Anfang an als lange Pause geplant oder dachten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt auch ernsthaft an eine dauerhafte Trennung von der Band?

Ich glaube nicht, dass irgendeiner von uns jemals wirklich aufhören wollte. Es stand immer fest, dass wir noch mindestens eine Platte machen würden. Dass es dann so lange gedauert hat, war nicht geplant, wir haben uns da nicht festgelegt.

In der Zwischenzeit haben Sie unter anderem an einem Soloalbum gearbeitet, das die Plattenfirma jedoch nicht veröffentlichen wollte. Was war da los?

Sie haben mich das Album noch nicht einmal aufnehmen lassen – die Songs, die im Netz kursieren, sind Demoversionen. Heutzutage kann man zwar einigermaßen hochwertig im Heimstudio produzieren, aber um das Ganze rund zu machen, muss man schon in ein richtiges Studio gehen. Die Leute von der Plattenfirma wollten aus mir einen großen Popstar machen, die Annie Lennox unserer Zeit, wie sie sagten. Nichts gegen Annie Lennox, ich respektiere sie sehr. Aber ich wollte meine eigene Karriere und nicht ihre. Es war schrecklich, ich hätte heulen können.

Vorsichtig formuliert muss es jedem, der Sie kennt, mindestens gewagt erscheinen, ausgerechnet aus Ihnen eine schillernde Popdiva machen zu wollen …

Das ist es ja! Natürlich gab es immer Pop-Elemente in meiner Arbeit, aber eigentlich stehe ich doch für komplett andere Dinge. Ich war jedenfalls völlig fertig und verzweifelt. Also fuhr ich heim und sagte zu meinem Mann: „Wenn sie mich tatsächlich nicht diese Platte machen lassen, werde ich wohl erst mal gar keine Musik mehr machen.“ Das war tatsächlich eine Weile der Plan: mich zurückzuziehen, meine Wunden zu lecken und zu überlegen, was ich sonst noch so mit meinem Leben anfangen könnte. Als Nächstes stand ich am Set und spielte in einer Fernsehserie mit. (lacht)

Sie spielten die Rolle der Catherine Weaver in der Sci-Fi-Serie „Terminator: The Sarah Connor Chronicles“, richtig?

Genau. Dadurch eröffnete sich mir eine ganz neue Welt, es war großartig, eine fantastische Erfahrung.

Aber doch keine ganz neue, Sie hatten ja bereits in Ihrer Jugend Theater gespielt.

Das ist richtig, aber Fernsehen ist anders. Es war jedenfalls in jeglicher Hinsicht ein Fest. Zu dieser Zeit starb meine Mutter, was − neben der Ablehnung des Albums − dazu führte, dass ich völlig niedergeschlagen war und neben mir stand. Und die Arbeit an der Serie ließ mich wieder aufleben. Meine Rolle, Catherine, kriegt absolut alles hin und erreicht jedes Ziel, diese Mentalität hat ein bisschen auf mich abgefärbt.

Trotzdem war das natürlich Science-Fiction, nicht das wahre Leben ...

Genau, ein Genre, in das ich mich richtig verliebt habe. Mir hat es geholfen, die Realität auszublenden.

Parallel haben Ihre Fans eine Online-Petition ins Leben gerufen, um die Plattenfirma zu bewegen, Ihr Album doch noch zu veröffentlichen …

Das war rührend, Gott segne sie. Aber heutzutage ist die Vermutung wohl naiv, man könne ein Majorlabel bewegen, eine einmal getroffene Entscheidung zu revidieren.

Warum wollten Sie überhaupt solo arbeiten, konnten Sie sich bei Garbage musikalisch nicht ausleben?

Nein, aber es war mir in der damaligen, völlig zerfahrenen Situation wichtig, ein wenig Abstand zu Garbage zu gewinnen. Das war kein Statement gegen die Band, eher das Gegenteil. Ich wollte eine Weile diesem dauerhaften Druck entweichen, den es mit sich bringt, eine Major-Radioband zu sein. Denn das ist irgendwann die einzige Frage, die für diese Leute noch zählt: Kann man das ans Radio verkaufen? Nichts gegen das Radio, vermeintliche Massenkompatibilität ist für mich nur keineswegs ein geeignetes Instrument für die Bewertung von Kunst. Aber darum geht es diesen Leuten ja auch gar nicht.

Vermutlich der Hauptgrund, weshalb Sie für die Veröffentlichung des neuen Albums, „Not Your Kind Of People“, ein eigenes Label gegründet und alles selbst finanziert haben.

So ist es. Wir mussten erst noch diese schreckliche Greatest-Hits-Platte über uns ergehen lassen, die sie uns aufgezwungen haben, aber dann war der Weg endlich frei.

War Freiheit auch inhaltlich die treibende Idee hinter den neuen Songs?

Mir war klar, dass wir unbedingt eine wirklich gute und aufregende Platte machen mussten, an die wir alle glauben können. Wir gehen ja auch ein Risiko ein, schließlich haben wir praktisch unsere kompletten Ersparnisse in die Aufnahmen gesteckt. Unsere Zukunft als Band hängt also von dieser Platte ab. Wir dachten: Wenn wir uns selbst mit dieser Musik begeistern können, gelingt uns das vielleicht auch mit anderen Leuten.

Als wir uns das letzte Mal trafen, erzählten Sie nicht nur von Problemen mit der Plattenfirma, sondern auch von massiven zwischenmenschlichen Spannungen innerhalb der Band. Damals wurde ja sogar die Tour zum Album „Beautiful Garbage“ abgesagt. Wie sind Sie jetzt miteinander ausgekommen?

Sehr gut. Unsere damaligen Spannungen hatten rückblickend gar nicht so viel mit uns selbst zu tun, sondern mit unserer Gesamtsituation. Das hat uns, wie gesagt, wahnsinnig belastet und da es niemand sonst gab, haben wir das aneinander ausgelassen. Als wir später Zeit hatten, das in Ruhe zu reflektieren, ist uns allen unabhängig voneinander klargeworden, dass es nichts mit uns und unserer Freundschaft zu tun hatte. Bei der Arbeit am neuen Album haben sich sämtliche Spannungen in nichts aufgelöst.

Manchmal hilft ja auch das Alter, besser mit den Macken anderer umgehen zu können.

Das stimmt − und es gibt ja eh keine Alternative. Wir wissen heute alle zu schätzen, was wir miteinander haben. Wenn wir vier in einem Raum sind, passiert etwas ganz Besonderes.

Die Band als verschworene Einheit, die dem Rest der Welt ein herzhaftes „We Are Not Your Kind Of People“ entgegenschleudert?

Ungefähr so. Damit sind im Prinzip alle gemeint, die uns nicht verstehen können oder wollen. Die Industrie, Teile der Presse, wer auch immer. Wir sind uns unserer Grenzen und Schwächen durchaus bewusst, aber wer damit ein Problem hat, braucht ja nicht zuzuhören.

Nicht zuletzt für Sie dürfte diese selbstbewusste Haltung ein großer Entwicklungsschritt sein, nachdem Sie Ihr ganzes Leben lang immer wieder mit Depressionen und Minderwertigkeitsgefühlen zu kämpfen hatten.

Seit dem Tod meiner Mutter vor sieben Jahren habe ich mir das Leben erkämpft, das ich immer haben wollte. Es klingt vielleicht komisch, weil ich ja damals schon über 30 war, aber in gewisser Weise bin ich erst so richtig erwachsen geworden, als sie nicht mehr da war.

Der Tod der eigenen Eltern trifft einen Menschen wohl immer auf ganz besondere Weise, egal, wie alt man ist.

Absolut. Niemand wird mich jemals wieder so selbstlos und bedingungslos lieben, wie sie es getan hat. Eine ernüchternde und irgendwie seltsame Erkenntnis.

Wie haben Sie dieses traumatische Erlebnis denn konkret überwunden, so was ergibt sich ja nicht einfach von selbst?

Ich habe tolle Leute um mich herum. Unter anderem habe ich eine Zeit lang eine Schauspielschule besucht, wo ich einen ganz tollen Lehrer hatte. Er hat mir enorm viel darüber beigebracht, wie ich als Sängerin, Autorin, Schauspielerin mein Selbstverständnis ausdrücken kann, ohne mich von der Bewertung anderer abhängig zu machen. Ich bin heute bereit, Risiken einzugehen, in gewisser Weise habe ich noch mal ganz von vorne angefangen. Früher habe ich mich selbst limitiert, weil ich ständig in dem Bild gefangen war, das die meisten Leute von Shirley Manson haben. Ich wollte Erwartungshaltungen erfüllen, ein selbstgebautes Gefängnis. Um zu überleben, war ich gezwungen, mich endlich selbst zu akzeptieren.

Entsprechend kämpferisch geben Sie sich in vielen Texten des neuen Albums …

Auch diesbezüglich habe ich meine Herangehensweise geändert, indem ich es irgendwie geschafft habe, die Texte den ganzen Entstehungsprozess über offen und lebendig zu halten. Früher habe ich mich stets der Grundidee sklavisch unterworfen, auch wenn sie nicht funktioniert hat, dadurch wurde manches ein bisschen statisch. Ein Fehler, den wir alle bisweilen gemacht haben. Diesmal waren wir zu jeder Zeit offen für alles, das hat den Songs gutgetan.

Optimale Voraussetzungen also, um demnächst wieder auf Tour zu gehen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren spielen Sie auch große Festivals. Was geht einem durch den Kopf, wenn man vor diesen riesigen Massen steht?

An guten Tagen ist man total auf die Musik konzentriert und geht in ihr auf. Wenn es nicht so läuft, fällt mir plötzlich ein, dass ich etwa vergessen habe, Sonnencreme aufzutragen – für mich sehr wichtig. Oder dass ich keinen Slip trage. (lacht)

Gibt es bei Festivals hinter der Bühne eine Konkurrenz zwischen den auftretenden Musikern?

Jüngere Leute mögen das anders sehen, ich aber habe erkannt: Ich stehe mit keinem in Konkurrenz – außer mit mir selbst. Je früher man das begreift, desto besser ist es. Der einzige Vorteil am Älterwerden: Man sieht vielleicht nicht mehr ganz so toll aus wie früher, fühlt sich aber viel besser.

Aber ist das wirklich ein Automatismus? Das muss man sich doch erarbeiten, es gibt ja auch 80-Jährige, die keineswegs weise sind.

Das ist absolut richtig, klar.

Was war Ihr größter Rock’n’Roll-Moment auf einem Festival?

Als wir Headliner beim Glastonbury waren, der totale mindblow. Wenn ich heute die Bilder sehe, kann ich gar nicht glauben, dass wir das wirklich getan haben. Das ist alles einfach viel zu verrückt. Vor einigen Tagen habe ich ein Interview mit Alex Turner gelesen, in dem er davon sprach, wie sehr er den Arctic-Monkeys-Auftritt beim Glastonbury­ bereut, wie unzufrieden er mit der Show war. Und ich konnte total verstehen, was er meinte. Dort aufzutreten, ist so surreal und wahnwitzig, dass man fast nur scheitern kann. Wir hatten damals auch das Gefühl, es verbockt zu haben.

Mögen Sie Alex Turner und die Arctic Monkeys?

Er ist großartig, ich bin völlig besessen von ihm. Ein Rockstar der alten Schule und gleichzeitig eigentlich immer noch ein Kind. Es ist schön zu sehen, wie er immer mehr in diese Rolle reinwächst, das gelingt nicht jedem auf so überzeugende Weise.

Was dürfen wir beim Hurricane/Southside von Garbage erwarten?

(lacht) Oh mein Gott, keine Ahnung. Ehrlich gesagt sind wir froh, wenn wir unseren Kram irgendwie zusammenkriegen, da bleibt keine große Zeit für Pläne. Es gibt ein wunderbar glorreiches, naives Element an dieser Band, wir sind nicht besonders organisiert. Es gelingt uns so gerade, über den ersten Auftritt nachzudenken: in zwei Wochen in Los Angeles.

Auf welche anderen Bands freuen Sie sich beim Hurricane/Southside?

Die Stone Roses! Ich habe kaum eine Platte so sehr geliebt wie ihr Debüt, ich war regelrecht besessen von ihnen. Dementsprechend werde ich vermutlich in Tränen ausbrechen, wenn sie auf der Bühne stehen.

Das neue Garbage-Album „Not My Kind Of People“ erscheint am kommenden Freitag. Hier das Video zur neuen Single „Blood For Poppies“:

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